Jugendliteratur:Halt und Fluch

Lesezeit: 2 min

(Foto: h)

Ein türkisches Mädchen wird zum Opfer der Familie, als sie eine Liebesgeschichte mit einem Jungen beginnt. Leider eine misslungene Integrationsgeschichte.

Von Güner Yasemin Balci

Eine gute Muslimin trägt Kopftuch und bedeckt selbst im Sommer ihre Arme, wenn sie das Haus verlässt. Sie vermeidet es, mit einem Jungen allein in einem Raum zu sein und achtet darauf, sich nicht in einen Nicht-Muslim zu vergucken. Muslimin sein und trotzdem ganz normal leben - ist miteinander unvereinbar. Das ist die Lehre, die man am Ende aus Colette Victors Roman Kopf Gefühl & Bauch Zerbrechen zieht, der davon handelt, wie die pubertierende Zeynep sich in ihren Klassenkameraden Alex verliebt und deren Leben deshalb aus den Fugen zu geraten droht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Colette Victors Versuch, den Konflikt auszudrücken, in den ein Mädchen gerät, wenn die patriarchalischen Wertvorstellungen von zu Hause und das Leben in einer freien Gesellschaft aufeinanderprallen, bleibt flach und legt die Berührungsängste gegenüber dieser "anderen" Kultur frei.

Die sie umsorgende Familie ist für Zeynep Halt und Fluch zugleich, denn die Mutter wird zum Feind der eigenen Tochter, sobald die in den Verdacht gerät, sich nicht an die ungeschriebenen Keuschheitsgebote zu halten. Und auch der Vater lebt seine Gewalt gegenüber der sonst so geliebten Tochter ganz still aus. Er straft sie mit Missachtung und redet tagelang nicht mehr mit ihr, wenn nur das Gerücht kursiert, Zeynep hätte etwas Unanständiges getan. Eine beklemmende Unfreiheit durchzieht die Geschichte und wird doch kaum thematisiert. Sie hängt wie ein dunkler Schatten über der ersten Liebe zwischen Zeynep und Alex, die dann doch zu kraftlos ist. Zeyneps zaghafte Versuche, sich ein wenig mehr Freiheit zu erkämpfen, entwickeln keinen Elan, auch wenn sie eines Abends beschließt, zu ihrer Tante zu fliehen, weil sie es nicht länger erträgt, dass ihre Eltern Gericht über sie halten, nur weil sie mit einem Jungen gesichtet wurde. Am Ende überwiegt die Angst, eine ständige Begleiterscheinung des schlechten Gewissens einer Tochter, die alles richtig machen möchte, um nicht aus dem Schoß der Familie zu fallen. Eine Angst, die nachvollziehbar wird, als Zeynep sich ausmalt, wie es sein würde, wenn die Eltern sie noch stärker in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkten, um ihre Jungfräulichkeit zu wahren: nie wieder zur Schule und im schlimmsten Fall für immer in die alte Heimat.

Doch auch das Problem des Jungfräulichkeitsgebots bleibt unbehandelt. Man erkennt es überhaupt nur, wenn man mit dem Thema bereits sehr vertraut ist. Es ist schon ein Kunststück, ein Jugendbuch über die Nöte einer pubertierenden Muslimin zu schreiben und dabei nicht einmal das Wort Sex zu erwähnen. Es ist schade, dass Colette Victor nicht gewagt hat, ihrer Heldin ein wenig mehr von jenem Rebellionsgeist einzuhauchen, den muslimische Mädchen oft an den Tag legen, wenn sie für mehr Selbstbestimmung kämpfen. Denn es wirkt wenig überzeugend, wenn Zeynep sich am Ende dann trotz der täglichen Entrechtung freudestrahlend für das Tragen eines Kopftuches entscheidet - nein, dieser Versuch die Gender-Apartheid zum glücklichen Normalzustand im Leben einer Muslimin zu machen, geht nach hinten los. Es bleibt der Nachgeschmack einer falsch verstandenen Toleranz und Unkenntnis gegenüber den tatsächlichen Nöten und Wünschen junger Frauen aus patriarchalisch-muslimischen Milieus, die im echten Leben glücklicherweise facettenreicher und mutiger sind als in Colette Victors Türken-Folklore. (ab 14 Jahre)

Colette Victor: Kopfgefühle und Bauchzerbrechen. Aus dem Englischen von Ilse Rothfuss. Chicken House 2015. 224 Seiten, 12,99 Euro.

© SZ vom 04.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: