Jugendliteratur:Aufgeheizter Asphalt

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Nora Hoch: Das Salzwasserjahr. Roman. Mit Illustrationen von Annika Heine. dtv München 2020, 219 Seiten, 13,95 Euro (Foto: N/A)

Jannick ist zum Austausch in Australien und lebt in einer Familie, die er erst kennen lernen muss.

Von Antje Weber

Das Salzwassergefühl ist vielleicht das Wichtigste. Jannick liebt es, wenn eine Welle über ihn hinweg rollt: "Abtauchen. Nichts denken. Nur das Gewicht des Wassers fühlen. Stille. Dröhnen. Prickeln." Ein Jahr lang will er das Salzwassergefühl genießen; der Traum vieler Jugendlicher von einem Austauschjahr scheint sich für ihn aufs Schönste zu erfüllen. 15 817 Kilometer entfernt von Berlin sitzt er auf dem Flughafen von Brisbane auf seinem Koffer und wartet, bereit fürs Abenteuer. Das kommt allerdings nicht - erst lange Stunden später erscheint die Gastfamilie, um Jannick abzuholen. Und was sich hier andeutet, wird sich bald bestätigen: Ganz so einfach ist es eben doch nicht, seine Salzwasserträume zu verwirklichen.

Der Berliner Dramaturgin und Theaterpädagogin Nora Hoch ist es gelungen, einen zugleich sommerleichten und lebenssatten Debütroman zu schreiben. "Das Salzwasserjahr" ist das perfekte Buch für Jugendliche, die sich auf ein Austauschjahr vorbereiten - oder auch nur danach sehnen. Denn erwachsen werden kann man natürlich auch in Berlin; dort bleibt Jannicks ehemals bester Freund, um die Welt zu verändern. Jannick hingegen will die Welt erst einmal entdecken, und da ist ein australischer Surfer-Ort natürlich nicht die schlechteste Wahl.

Trotz aller Begeisterung für das Meer ist es für den Sechzehnjährigen mühsam, in der für ihn fremden Welt anzukommen. Direkt und schnörkellos erzählt die Autorin von seinen widersprüchlichen Gefühlen; ohne übermäßig zu psychologisieren, bringt sie in dieser handlungsgetriebenen Geschichte Emotionen und Probleme auf den Punkt. Der Ich-Erzähler Jannick, der in Australien zu Nik wird, ist dabei eine gute Identifikationsfigur, bei aller Unerfahrenheit ehrlich bemüht und empathisch. Und bald, auch das gehört dazu, rettungslos verliebt.

Das alles wirkt sehr sympathisch, wie auch die Botschaften, die unpädagogisch in diesem Buch mitschwingen: dass nicht alles so ist, wie es auf den ersten Blick erscheint, dass alles seine Zeit braucht. So wird zum Beispiel die anfangs sehr schwierige Beziehung zum Gastbruder allmählich besser, entwickelt sich langsam eine Freundschaft zu einem Klassenkameraden. Man darf nichts erwarten und muss selbst einiges geben, dann kommt manchmal Zuneigung von unerwarteter Seite - zum Beispiel von einem Obdachlosen namens Beautiful, der einiges vom Leben begriffen hat.

Und so gerät in diesem Jahr im jungen Nik einiges in Bewegung. Als er schließlich wieder im Flieger zurück nach Hause sitzt, nimmt er Geschichten mit, Geheimnisse - und die Erinnerung an den aufgeheizten Asphalt der Straße, die zum Strand führt. Dorthin, wo das Salzwassergefühl beginnt. (ab 13 Jahre)

© SZ vom 13.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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