Jugendbuch:Vielleicht geküsst

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Ein Tag im Leben einer Vierzehnjährigen, vom frühen Morgen, den Schulstunden, dem Besuch beim Vater, der die Familie verlassen hat, und von der Zuneigung zu einem Jungen, der sie wieder küssen wird.

Von Michael Schmitt

Erst überlagern sich die inneren Bilder und die äußeren Eindrücke und ringen um die Aufmerksamkeit von Beatrice, genannt Beh, dann treten die Muster ihres Alltags mit Mutter, Schule und Freundinnen deutlicher hervor, auch die Erinnerung an einen Kuss.

Es ist früh am Morgen, die Schule wartet. Geküsst sollte man immer aussehen, denkt Beh auch am Ende von Tamara Bachs Roman Vierzehn, doch ist es ein weiter Weg bis dahin, obwohl das Buch nur von einem einzigen Tag, vom Aufwachen bis zum Schlafengehen handelt: vom ersten Schultag nach den Sommerferien, von Mitschülerinnen, die nach einer Klassenfahrt, an der Beh nicht teilnehmen konnte, berichten wollen, was seither ihr halbwüchsiges Dasein mit Aufregungen und Hoffnungen versorgt. An Beh perlen diese erregten Botschaften jedoch an diesem Tag ab; sie muss unter anderem damit zurechtkommen, dass ihre Eltern sich getrennt haben, dass ihr Vater mit einer anderen Frau eine neue Familie gründen wird.

Tamara Bachs sechster Roman verdichtet das auf wenigen Seiten in kurzen, oft stark verkürzten Sätzen. Die Auslassungen verraten viel mehr als die expliziten Schilderungen. Vierzehn beschreibt Behs Erleben als Pendeln zwischen Erinnerungen und Stimmungen, die noch nicht in Worte zu fassen sind, zwischen Enttäuschungen, unklaren Hoffnungen und mancherlei Tristesse. Als einen Zustand, der nicht in Begriffe gefasst werden kann, ohne sofort an Reichtum einzubüßen; der eher wie eine an- und abklingende Musik aufgefasst und erzählerisch umgesetzt werden muss. Ganz nah an der Vierzehnjährigen, wenn Traumbilder und Radiowecker am frühen Morgen gegeneinander antreten, und Beh, ohne sich dessen bewusst zu sein, endlos lange aus dem Fenster auf die Straße starrt; ganz nah auch an den Lesern, denen die Erzählperspektive, ein personales vertrauliches "Du", Anteilnahme und Identifikation anbietet. Gedankensplitter, Schlüsselszenen und die Suche nach Halt - manchmal auch nur nach Fassung - werden ineinander geschoben und verschachtelt, gut einhundert Seiten genügen, um alles auszuleuchten, was Beh die Luft zum Atmen nehmen könnte. Und dennoch - und das ist die literarische Kunst - lässt der Roman eine Tür offen für ein Lächeln, das per Smartphone verschickt wird und alle Bedrängnisse letztlich überstrahlt.

Wer schreibt, "versucht sich in Trance zu schreiben", hat Tamara Bach einmal erklärt, in der Literatur fließe dann Musik, vielleicht gelange auch ein Bruchstück aus einem Song ganz direkt hinein, so wie in Vierzehn eine Ode der Hippie-Ära, Joni Mitchells Paradise, ein Lied, das vom Verfließen der Zeit handelt, von dem was bleibt und was stets weniger ist als das, was einem versprochen wurde.

So fängt Tamara Bach die Erschütterungen ein, die sie ihrer Heldin zumutet; so mildert sie den Schmerz. Und lässt den Leser das alles intensiv spüren, durch die bei aller Nähe dennoch intensive wie diskrete Art des Schreibens, ungewöhnlich für ein Jugendbuch (ab 14 Jahre)

Tamara Bach : Vierzehn. Carlsen Verlag, Hamburg 2016. 112 Seiten, 13,99 Euro.

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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