Jugendbuch:Kleine Raupen

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Zafer, der zurückgezogen lebt, soll Aufzeichnungen einer Überwachungskamera verändern, zum Beispiel ein Nummernschild manipulieren. In diesem Hacker-Thriller wird nicht nur die Realität der Bilder verändert.

Von Thomas Feiler

Margit Ruile: Dark Noise. Loewe Verlag, Bindlach 2017. 14,95 Seiten, 14,95 Euro. (Foto: oh)

Zafer lebt zurückgezogen in seiner Wohnung, hängt vor seinem Computerbildschirm und manipuliert die Wirklichkeit, die Fernsehkameras aufgenommen haben. Zafer ist Bildretuscheur. Er verändert im Nachhinein Aufnahmen einer Daily Soap. So entfernt er etwa das Logo von Produkten, die in einer Szene zu sehen sind; die Aufträge bekommt er von den Machern der Serie, sie wollen Vorwürfe der Schleichwerbung verhindern.

Der erste Auftrag ist, in einer Aufnahme ein Nummernschild zu manipulieren ...

Manchmal erlaubt Zafer sich einen Spaß und setzt kleine Raupen fast unsichtbar ins Bild, ansonsten ist sein Leben aber ziemlich ereignislos. Die Wirklichkeit, die er am Computer manipuliert, interessiert ihn mehr als die Wirklichkeit außerhalb seiner Wohnung. Er will nicht raus. Höchstens um Essen einzukaufen, verlässt er die Wohnung, lieber lässt er sich eine Pizza liefern. Dann bekommt er aber einen anderen Auftrag: Er soll Aufzeichnungen einer Überwachungskamera verändern. Erst mal ein Nummernschild manipulieren, später einen Mann von einer Aufnahme in eine andere hineinschneiden. Die Aufträge werden seltsamer, die Gehälter aber üppiger, also macht Zafer weiter. Bis es dann zu spät ist und jemand stirbt, ein Journalist.

Bis dahin hat der Thriller von Margit Ruile schon Fahrt aufgenommen. Die Autorin beschreibt die namenlose Stadt, in der Zafer lebt, genauso dicht wie sein Innenleben. Dabei erzählt nicht Zafer, sondern eine anfangs noch unbekannte Person dem Leser diesen Thriller, in dem bald Zafer und eine Gruppe von Hackern gegen die Überwachung aller ankämpfen. Der Bösewicht ist dabei nicht etwa die Regierung oder eine NSA-ähnliche Behörde, sondern ein Großkonzern, der Schritt für Schritt alle Straßenlaternen mit Überwachungskameras und Gesichtserkennungstechnologie ausstattet. Dabei steckt sich der Leser mit jeder Seite, die er umblättert, immer weiter mit der Paranoia der Hacker an. Dazu trägt auch die düstere Atmosphäre, die Ruile schafft, erheblich bei.

Irgendwann hat man den Eindruck, dass es nicht mehr reicht, die Videokamera am eigenen Laptop abzukleben oder dem Internet ganz abzuschwören, um der totalen Überwachung zu entgehen. Eine Nebenfigur, eine anscheinend harmlose Omi, die sich als Hacker-Urgestein herausstellt, verändert ihren Gang, um von den Kameras und dem Überwachungssystem unerkannt zu bleiben. Wir werden nicht mehr nur dann überwacht, wenn wir online am Computer sitzen - sondern ständig, sowohl online als auch offline.

Die Charaktere, mit denen es Zafer im Laufe von "Dark Noise"zu tun bekommt, könnten aus (Hacker-) Thrillern entsprungen sein. Ruile geht aber einen Schritt weiter, als klar wird, dass die Firma nicht zufrieden damit ist, nur der alles sehende Big Brother zu sein. Nein: Der Große Bruder will die Realität auch noch verändern.

Diese Zuspitzung hätte noch etwas mehr ausgebaut werden können und mehr Raum verdient. Das Ende kommt dann ziemlich plötzlich oder zumindest überraschend schnell; das kann aber auch daran liegen, dass "Dark Noise" in Zafer einen so spannenden Helden geschaffen hat, dass man sich noch 40, 50 Seiten mehr gewünscht hätte. (ab 14 Jahre)

© SZ vom 04.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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