Jugendbuch:Etwas gegen das Gesocks tun

Lesezeit: 2 min

Molotowcocktails ins Kinderzimmer: Reiner Engelmann erzählt in "Anschlag von rechts" von einer authentischen Attacke auf eine Flüchtlingsunterkunft.

Von Ralf Husemann

Reiner Engelmann: Anschlag von Rechts. Cbj Kinder- und Jugendbuchverlag, München 2017. 185 Seiten, 14,99 Euro. (Foto: Verlag)

Ein Fenster zersplittert, die Matratze fängt durch den explodierenden Molotowcocktail Feuer, das Kinderzimmer brennt aus. Nur weil der elfjährige Joshua in dieser Nacht bei seiner Mutter und den jüngeren Schwestern schlafen wollte, bleibt er am Leben: ein weiterer Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Deutschland. Attacken auf Ausländer sind längst Alltag. Oft kommt es "nur" zu Sachbeschädigungen und Nazi-Schmierereien, aber auch noch zwei Jahre nach der großen Flüchtlingswelle brennen Wohnungen von Menschen, die sich in das vermeintlich sichere Deutschland retten wollten.

Reiner Engelmann, seit Langem aktiv bei Amnesty international und Autor zweier Bücher über Auschwitz, hat sich diesmal ein brandaktuelles Thema vorgenommen. Sein sachlicher Ton, in dem er das menschenverachtende Tun von drei jungen Leuten beschreibt, macht das Geschehen noch erschreckender. Aus einer bloßen Laune heraus, mit viel Alkohol im Blut und befeuert von rechtsradikaler "Landser- Musik" beschließen der 31-jährige Robert und der 25-jährige Matze, "jetzt endlich etwas zu tun". Etwas gegen die "Flüchtlingsschwemme", gegen die "ausländischen Bälger", gegen "das ganze Gesocks". Robert prahlt sogar: "Wenn der Neger brennt, dann feiere ich richtig!" Beate, 24 Jahre alt und Mutter zweier Kinder mit zwei und fünf Jahren, die "Heil Hitler" sagen können, fährt ihre Freunde zum Tatort. Der Mann von Joshuas Mutter Mary, die sich wie die anderen Flüchtlinge ins Freie retten kann, wurde in Simbabwe ermordet. Er wurde getötet, weil er sich als Journalist für freie Wahlen in dem diktatorisch regierten Land eingesetzt hatte. Und jetzt dieser Mordanschlag auf ihren Sohn. Fast jede Nacht um zwei Uhr, dem Zeitpunkt des Anschlags, schreckt sie bis heute hoch. Das Landgericht lässt sich nicht von der Verteidigung der Angeklagten irritieren und fällt harte Urteile: acht Jahre und vier Monate Haft für den Haupttäter Robert, sieben Jahre für Matze und vier Jahre und sechs Monate für Beate.

Der Autor schildert einen authentischen Fall, auch wenn er die Namen verändert hat und den Tatort nicht verrät. Er war bei der Gerichtsverhandlung dabei, er hat die entsetzlichen Geschichten der Wohnheimbewohner recherchiert und er hat versucht, sich einen Einblick in die wirren Gedankengänge der Täter zu verschaffen. Er verkennt nicht, dass es in der Gesellschaft Ängste gibt, vor sozialem Abstieg, vor Altersarmut und Unmut über diverse Missstände. Diese Sorgen würden aber von Populisten angefacht und auf eine einzige Ursache reduziert: auf die "Fremden". Engelmann zitiert als Beispiel den CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer, der mit einem üblen Ausspruch 2016 Schlagzeilen machte: "Das Schlimmste ist ein fußballspielender, ministrierender Senegalese, der über drei Jahre da ist - weil den wirst du nie wieder abschieben." Wie ging es weiter? In dem renovierten Heim leben inzwischen andere Flüchtlinge, die von vielen Bürgern unterstützt werden. Die früheren Bewohner haben Freunde in anderen Städten gefunden, sie sprechen inzwischen alle Deutsch, einer, der in Pakistan von Taliban-Milizen terrorisiert wurde, will wieder in seinem Beruf als Anwalt arbeiten, ein Mediziner-Elternpaar aus dem verwüsteten syrischen Homs bemüht sich um Praktika in einer Klinik. Alle Kinder besuchen Schulen, ein junger Somalier, dessen Bruder von Al-Shabaab-Milizen erschossen wurde, spielt in einem Fußballverein. Also alles gut? Reiner Engelmann ist skeptisch. Er fürchtet, Hass und Gewalt gegen Ausländer könnten sich "wie Sandkörner zu Dünen anhäufen, die über uns hinwegfegen und alles, was schön und lebenswert ist, überdecken". (ab 13 Jahre).

© SZ vom 02.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: