Jüdische Kulturtage:Offenes Herz und offene Ohren

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Beim Ausflug ihrer Kinder in den Zoo haben sie sich vor dem Flamingokäfig angefreundet, jetzt sind Judith Epstein (links) und Sunnyi Melles gemeinsam im Vorstand der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition. (Foto: Sabine Grudda)

Judith Epstein und Schauspielerin Sunnyi Melles wollen die Jüdischen Kulturtage voranbringen

Von Christiane Lutz

Mit Religionen geht es Sunnyi Melles wie mit Pässen: "Am liebsten hätte ich gar keinen - oder ganz viele". Damit meint sie, dass sie die Dinge eigentlich ganz gern beobachtet, aus einer unvoreingenommenen Position heraus. Dass sie sich nicht unbedingt festlegen muss. Dass sie neugierig bleiben und aufsaugen will, was andere Länder und andere Religionen für Geschichten parat halten. Mit diesem Satz hat die Schauspielerin eigentlich auch schon beantwortet, warum sie seit Kurzem im Vorstand der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition ist. Gemeinsam mit Judith Epstein, Vorstandsvorsitzende, hat Melles das diesjährige Programm der Jüdischen Kulturtage München mit gestaltet. Die Frauen verbindet eine lange Freundschaft, ihre Kinder gingen gemeinsam zur Schule.

Seit 18. November laufen die Kulturtage, bisher trat die Schauspielerin Jasmin Tabatabei auf, Christian Ude sprach über Kurt Eisner. An diesem Donnerstag liest Sunnyi Melles aus dem Roman "Rausch" von Irène Némirovsky und spricht im Anschluss mit Yves Kugelmann, dem Herausgeber des jüdischen Magazins Tacheles. Irène Némirovsky, eine gebürtige Russin, die auf Französisch schrieb, zählte zu den bedeutendsten Autoren Frankreichs - vor dem Zweiten Weltkrieg. Sie war Jüdin und starb 1942 in Ausschwitz.

Sunnyi Melles ist katholisch, zumindest auf dem Papier. Im Katholizismus aber fühlt sie sich nicht mehr zuhause als im Judentum. Einer Gemeinde gehört sie nicht an. "Mit dem Judentum war ich immer verbunden", sagt sie. "Mein Vater war Jude, ich war mit Buddy Elias befreundet, dem Cousin von Anne Frank, beschäftigte mich am Theater viel mit jüdischen Künstlern. Man kann das Zufall nennen, ich halte es für Schicksal." Zwischendurch habe sie mal überlegt, zu konvertieren, aber dann wiederum: Es ist doch egal, welcher Religion man angehört, so lange man offen füreinander bleibt. "Am liebsten würde ich sowieso alle Religionen in mir tragen."

Judith Epstein freut sich sichtlich über ihre prominente Verbündete. Melles gehört zur Schauspiel-Elite des Landes, das schafft natürlich Aufmerksamkeit. Gemeinsam, so der Plan, wollen sie die Jüdischen Kulturtage aufmischen. Nächstes Jahr sollen Konzerte und Lesungen im Internet übertragen werden, das Angebot soll vor allem für Kinder interessanter sein. Denn, so Epstein, "viele kennen die jüdische Kultur immer noch nicht." Gerade für Kinder sei es seltsam, wenn sie zwar überall in Kirchen hinein marschieren könnten, vor jeder Synagoge aber bewaffnete Polizisten auf und ab gingen. Das verstärke den Eindruck, dass es sich beim Judentum um etwas Fremdes handle.

Deshalb, auch das ist Teil des Plans, soll möglichst viel weiter gegeben werden. Und über Kultur - also Musik, Bilder, Geschichten - ginge das besonders gut. Ohne dabei missionieren oder belehren zu wollen. Einfach verschiedene Menschen zusammenbringen, Genres vermischen. Behutsam erneuern. Judith Epstein ist selbst Jüdin. "Jüdische Kultur", sagt sie, "ist in München fast 70 Jahre nach Kriegsende endlich wieder lebendig. In der Stadt aber soll jüdisches Leben noch zugänglicher werden, nur so entsteht doch wieder eine Selbstverständlichkeit und nur so schaffen wir Vorurteile ab." Natürlich sagt sie all das nicht, ohne auch die Arbeit von Ilse Ruth Snopkowski zu loben, die 30 Jahre lang die jüdischen Kulturtage mitprägte und sich vergangenes Jahr zurück zog.

Viele Künstler bekennen sich nicht offen zu Religionen, wollen sich nicht mit Interessensgruppen in Verbindung bringen lassen. Sunnyi Melles fragte sich gar nicht erst, ob es klug ist, sich als Schauspielerin für die Kulturtage zu engagieren. Und ob sie überhaupt Zeit hat, das Ehrenamt zu übernehmen. "Ich kann da gar nicht anders - auch mit meiner Biografie." Als Schauspielerin sei es für sie normal, über die Kunst mit Menschen in Kontakt zu treten. Jetzt eben bei den Jüdischen Kulturtagen. Sie möchte, dass es für alle Kinder normal ist, dass der Schulfreund eben kein Weihnachten, sondern Chanukka feiert. So, wie es ihre Kinder Dank Familie Epstein erfahren konnten.

Sunnyi Melles , Lesung aus "Rausch" von Irène Némirovsky, Gespräch mit Yves Kugelmann, Donnerstag, 23. November, 19 Uhr, Gasteig

© SZ vom 23.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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