Wie krass sich die Wahrnehmung von Jubiläen unterscheiden kann: Tschechien sucht derzeit intensiv zu bewerten, wie wirkmächtig die vor 20 Jahren verkündete deutsch-tschechische Deklaration gewesen ist. In Deutschland hingegen weiß kaum einer mehr von der Existenz eines Dokuments, das in Zeiten bittersten Streits und Argwohns angesichts der jüngeren Geschichte Tschechen und Deutsche entscheidend zu befrieden half. Dass der Vertrag, in Prag damals von den Regierungschefs Klaus und Kohl unterzeichnet, so wirksam werden konnte, ist auch Verdienst eines weiteren Jubilars: Vor 70 Jahren wurde der Adalbert-Stifter-Verein gegründet. An diesem Freitag wird man das im Maximilianeum feiern.
In Unkenntnis oft als rückwärtsge-wandte Vertriebenenvorfeldorganisation verdächtigt, benannt nach einem der wortmächtigsten Poeten, Literaten und Pädagogen Mitteleuropas, pflegt der Verein schon lange einen aus landmannschaftlicher Weltsicht ziemlich radikalen Ansatz: Die mentale Verwandtschaft innerhalb zweier Sprachen, die Verbundenheit in der gemeinsamen Geschichte - und sei es zeitweilig in Gegnerschaft - sei als unveräußerliches Erbe an Gemeinsamkeit zu begreifen, im Kontrast zu den Beschwörungen des Trennenden.
Gegründet wurde der Verein 1947 aus einer reaktionären Ecke heraus, in der die Vertreibung der deutschen Volksgruppe aus Böhmen und Mähren nach 1945 beinahe anlasslos und wie vom Himmel gefallen als pure Bosheit interpretiert wurde, ohne sie zu den Gräueln der Nazi-Herrschaft in Beziehung zu setzen. Doch noch während des Ost-West-Konflikts, als Landsmannschaftliches meist als Kanonenfutter des kalten Krieges missbraucht oder als reaktionäre und revisionistische Heimattümelei diffamiert wurde, wand sich der Adalbert-Stifter-Verein aus dieser dogmatischen Klemme. Er mauserte sich nach 1989/ 90 zu einem Motor des deutsch-tschechischen Kulturaustausches und wurde zu einer Art künstlerischem Wortführer unter verständigungsorientierten Gruppierungen im Vertriebenenkosmos. Seit 1968 schon hatte der Verein aus der Tschechoslowakei vertriebene Künstler und Schriftsteller unterstützt. So erworbenes Vertrauen verlieh ihm nach der Wende in der tschechischen Gesellschaft hohe Glaubwürdigkeit, während Anliegen der Vertriebenen dort sonst beinahe als staatsgefährdend interpretiert wurden. Schon 1986 hatte der heutige Geschäftsführer Peter Becher, der als dynamische Seele des Ganzen gilt, zu diesem ungewöhnlichen Verein gefunden.
Der Stifter-Verein wird von der Bundesregierung gefördert, in ihm ist heute der offizielle "Kulturreferent für die Böhmischen Länder" beheimatet. Das ist derzeit Wolfgang Schwarz, der sein Grundhandwerk beim deutsch-tschechischen Zukunftsfonds erlernt hat, der auf der Deklaration von 1997 fußt. Der Verein gibt ein Jahrbuch und eine Vierteljahresschrift mit dem - etwas drögen - Titel Sudetenland heraus und vergibt regelmäßig einen Kunstpreis: An wagemutige tschechische und deutsche Geister geht überkreuz je ein Kunstwerk aus der Hand eines deutschen und eines tschechischen Künstlers.
Stipendien, Kolloquien, Vortragsreihen - unter Vielem wagte der Verein eine kritische Auseinandersetzung mit dem Begriff Mitteleuropa; schon 1989/ 90 machte eine Ausstellung über Prag als Drehscheibe des deutschen Exils der 1930er Jahre Furore. Dichterpräsident Václav Havel bezeichnete die Arbeit des Adalbert-Stifter-Vereins schon zum 50. Gründungstag als "festen Grund, auf dem die tschechisch-deutsche Zusammenarbeit bauen kann". In der erhitzten heutigen Debatte über Fremdheit und Integration hält man hier hohe Kenntnis über integrative Kulturprozesse vor. Man sollte solche Institutionen intensiver dazu befragen.