Jubiläum:Ausgefeilte Künstlichkeit

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Feierte in den schlimmsten Zeiten größte Erfolge: Opernsängerin Elisabeth Schwarzkopf. (Foto: dpa)

Zum 100. Geburtstag der Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf erscheinen Aufnahmen von romantischem Liedrepertoire.

Von Helmut Mauró

Die bedeutende Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf hat Opernfiguren wie die Arabella in der gleichnamigen Oper von Richard Strauss oder die Marschallin in dessen "Rosenkavalier" so sehr geprägt, dass man die Sängerin mit den Bühnenfiguren assoziativ gleichsetzt. Schwarzkopf, vor 100 Jahren im heute polnischen Jarotschin geboren, studierte in Berlin als Altistin, Mezzosopranistin, schließlich Koloratursopranistin. 1938 debütierte sie am Deutschen Opernhaus in Richard Wagners "Parsifal", machte 1940 als Zerbinetta in Strauss' "Ariadne auf Naxos" auf sich aufmerksam; 1942 holte sie Karl Böhm an die Wiener Staatsoper - eine Blitzkarriere. Nach dem Krieg förderten sie die Dirigenten Josef Krips und Herbert von Karajan vor allem in Mozart-Partien.

Ihre NSDAP-Mitgliedschaft verschwieg und leugnete sie, aber eine Trennung von Kunst- und kompromissgesteuertem Alltagsleben hat man ihr so wenig geglaubt wie der bedeutenden Filmemacherin Leni Riefenstahl. Beide feierten in schlimmsten Zeiten größte Erfolge. Bei Elisabeth Schwarzkopf kam hinzu, dass sie mit ihrer herrischen Art nicht nur Gesangsschüler vor den Kopf stieß. Maria Callas war eine der wenigen Konkurrentinnen, die sie gelten ließ. Die Schweizer Sopranistin Lisa Della Casa dagegen war unmittelbare Gefahr, seit deren "Ariadne" von 1954 und einer spektakulären "Arabella" 1958 gehörte sie zum Salzburger Stammensemble. Schwarzkopf dagegen hatte sich mehr erhofft von der Zusammenarbeit mit Karajan und vor allem mit dem einflussreichen englischen Produzenten Walter Legge, den sie 1953 heiratete. Die 31 "Complete Recitals 1952-1974", nun auf CD erschienen (Warner), sind vor allem romantisches Liedrepertoire. Darunter ein legendärer Hugo-Wolf-Abend mit Wilhelm Furtwängler am Klavier und zwei Aufnahmen der "Vier Letzten Lieder" von Strauss.

Schwarzkopf hat zwar nicht die letzte Klarheit und Abgeklärtheit, wie sie Gundula Janowitz in diesen Liedern so eindrucksvoll verkörpert, aber sie wächst weit über einen ambitioniert kunstvollen Gesangsstil hinaus, ohne falsche Natürlichkeit. All diese Lieder von Brahms, Wolf, Sibelius und Schubert leben von ausgefeilter Künstlichkeit, wirken nicht als Gassenhauer, sondern als hohe Konzertkunst. Bei Schwarzkopf vibrieren Nervosität und Erschütterung mit, gleichsam das persönliche Hin- und Her-Geworfensein. Das korrumpiert den Klang, bringt aber zwingendere Dramatik, reißt den Hörer beinahe gewaltsam hinein in diese Musik; man fühlt sich selber getrieben. Auch der Schwarzkopf, wie einst der Callas, ist um der Glaubwürdigkeit willen ein persönlich gefärbter Ausdruck allemal wichtiger als hart lackierte Perfektion. So weit geht Schwarzkopf aber nicht, dass sie die Brüche selber als Stilmittel einsetzt. Ihre Abweichungen sind subtiler, und in der individuellen Tonfärbung ist auch individuelle Eitelkeit. Aber anders als Dietrich Fischer-Dieskau, mit dem sie Liederabende bestritt, fühlt sie sich so sehr in eine Rolle hinein, dass das gewichtige Selbstverständnis mit dem zu generierenden Charisma der Bühnenfigur wirkungsvoll verschmilzt. Das gilt auch für Liedfiguren, sogar für Begrifflichkeiten wie Strauss' "Waldseligkeit": "Und unter ihren Zweigen, da bin ich ganz allein, da bin ich ganz mein eigen: ganz nur Dein." Da ist die Schwarzkopf bei sich angekommen, und wenn man genau hinhört, versteht man die Tragik, warum sie sich davon auch nie wieder wegbewegen wollte. Nicht in andere Zeiten, vielleicht nicht einmal ernsthaft zu anderen Menschen.

© SZ vom 12.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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