John le Carré: Verräter wie wir:Wo steckt bloß der Verräter?

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Coole Attitüde, fetzige Handlung - aber erzkonservatives Genre: John le Carrés neuem Geheimdienst-Thriller "Verräter wie wir" mangelt es an Zynismus.

Burkhard Müller

Dass der Geheimdienst-Thriller, seiner coolen Attitüde und fetzigen Handlung ungeachtet, ein erzkonservatives Genre darstellt, ersieht man schon am ersten Satz von John le Carrés neuem Roman "Verräter wie wir": "An einem Karibikmorgen um sieben spielte auf der Insel Antigua ein gewisser Peregrine Makepiece, kurz Perry, Universalsportler und Noch-Anglistikdozent an einem renommierten Oxforder College, drei Sätze Tennis gegen einen muskulösen Mittfünfziger, einen braunäugigen Russen mit kahlem Kopf und hoheitsvoller Haltung, der Dima hieß."

John le Carré heißt mit richtigem Namen David Cornwell. (Foto: AP)

Mit solch langem Atem exponiert das 19. Jahrhundert. Alles ist hier versammelt, was der Leser zum Verständnis braucht: der Schauplatz, die beiden Hauptakteure samt wichtigsten Charakteristika, der Einstieg in die Fabel.

Der Satin-Rebell

Perry, dreißig Jahre alt, steht an einem Wendepunkt seines Lebens; wütend begehrt er gegen die ihm vorbestimmte Rolle eines Oxford-Gelehrten auf, er will eine wahre, echte Aufgabe finden, eine, die ihn zu einem Mann macht, welchen das Leben geformt hat (so eine seiner Lieblingswendungen). Um Abstand zu gewinnen, fährt er erst einmal mit seiner Freundin, der hinreißenden jungen Anwältin Gail, in einen karibischen Luxusurlaub zum Tennisspielen; ein rechter Satin-Rebell ist er also.

Sein unbestimmtes Sehnen trifft in günstiger Konstellation auf die sehr viel bestimmteren Pläne des Russen Dima, dessen Geformtheit durch das Leben ihn schwer beeindruckt. Die Figur des Dima scheint von le Carré in der Überzeugung entworfen, dass alle Vorurteile stimmen und Abweichungen vom Schema nur in der Überbietung zulässig sind. Ein Bär von einem Mann ist er, mit Tattoos, die seine Haut in einen Bildersaal verwandeln, brutal und sentimental, oszillierend zwischen Champagner in den überschwänglichen und Wodka in den melancholischen Momenten seines Lebens, und andere Momente hat er eigentlich nicht. Nachdem er mit fünfzehn den Liebhaber seiner Mutter erschoss, verbrachte er viele Jahre in einem Straflager am Polarkreis, wo er in jene ehrengesteuerten mafiosen Strukturen hineinwuchs, die zur Grundlage seiner späteren Laufbahn wurden.

Nunmehr jedoch steht ihm ein ernstes Problem ins Haus: Er hat sich mit den anderen Mitgliedern der Sieben Brüder überworfen, dem großen russischen Kartell, dem er bislang als Spezialist für Geldwäsche diente. Sein wichtigster Mitarbeiter und Ziehsohn ist bereits tot, und er kann sich ausrechnen, wann es ihn selbst erwischt. Also benötigt er dringend für sich und seinen ausgedehnten Familien-Tross einen sicheren Hafen. England wäre nicht schlecht. Darum kommt ihm Perry wie gerufen, dessen Person ihm als der Inbegriff des Fairplay erscheint.

Beide, der Brite und der Russe, hegen überaus romantische Vorstellungen voneinander. Perry soll den Kontakt mit dem britischen Geheimdienst herstellen. Im Gegenzug für eine neue, sichere Existenz wäre Dima bereit, einen wahren Schatz an Informationen zu liefern.

Wird es gelingen, die überaus komplizierte Transaktion durchzuführen und Dima und die Seinen zu retten? Aus dieser Frage bezieht der Plot seine Spannung.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, woran der Plot krankt.

Als weitere Hauptfigur tritt nun Hector auf, gealterter exzentrischer Agent, der sich wütend dem Verfall der britischen Nation im Allgemeinen und der Schwunglosigkeit seiner vorgesetzten Behörden im Besonderen entgegenstellt. "Das Dumme ist nur, wen gibt es außer uns? Die Regierung kaspert sich einen ab, die halbe Beamtenschaft können Sie in der Pfeife rauchen. Das Außenministerium ist ein Schuss in den Ofen, das Land geht auf dem Zahnfleisch, und die Banker nehmen unser Geld und zeigen uns den Finger. Was sollen wir da machen? Heulend zur Mami laufen oder den Karren aus dem Dreck ziehen?" Ja, genauso ist es! Das versteht Perry jetzt auch; endlich hat er die große Aufgabe gefunden, zu der es ihn undeutlich zog.

Mit einem Wort, le Carrés Thriller krankt an einem betrüblichen Mangel an Zynismus. Wo bitte wäre hier Raum für die titelgebenden Verräter, gar "Verräter wie wir"? Die Guten und die Bösen verteilen sich auf völlig unmissverständliche Weise. Die Bösen, das sind die russische Mafia, ihre britischen Komplizen aus Finanz und Politik und die unfähige, träge, pedantische Bürokratie; die Guten Hector, Perry und der reuige Dima - eine vom moralistischen Standpunkt überaus langweilige Veranstaltung. (Eher trifft es schon das englische Original, "Our Kind of Traitor"; es deutet immerhin an, dass Dima, seinerseits ein mehr als schwerer Junge, nur darum solche Sympathien genießt, weil es dem Autor und dem Personal seines Buchs in den Kram passt.) Da hilft denn alle Markigkeit der männlichen und Rassigkeit der weiblichen Charaktere nichts - seicht bleiben sie trotzdem.

Wenn man diese Schwäche auf die Rechnung le Carrés schreiben muss, so gehört der andere Defekt des Buchs wohl der Gattung überhaupt an. Beim klassischen Krimi dreht sich alles um einen bestimmten Mord, der soll aufgeklärt werden und teilt dem Handlungsverlauf die Dringlichkeit des konkreten Leichnams mit. Doch womit hat es der Geheimdienst-Thriller zu tun?

Die ganze Aufregung - umsonst

Was Dima dem britischen Secret Service zu bieten hat, existiert nur in Form einer hübsch durchnummerierten Liste. Es betrifft erstens die Umetikettierung von Öl aus Embargo-Staaten im Nahen Osten, zweitens die Einschleusung von Schwarzgeldern bei Ölimporten und Steuerzahlungen, drittens das Schwarzfällen seltener Hölzer in Afrika, viertens Medikamentenfälschungen aus Indien, fünftens, sechstens, siebtens ...

Das alles ist nirgends gestaltet und bleibt im Modus der Behauptung stecken. Die ganze Aufregung der Jagden, Intrigen, geheimen Zusammenkünfte berührt nirgends das Objekt der Begierde und schlägt zuletzt um in einen leer klappernden Mechanismus. Die James-Bond-Filme wissen das und retten sich in die Ironie der gänzlich unglaubwürdigen Action, die gerade deshalb ein solch rasendes Tempo vorlegen kann, weil es eigentlich um nichts geht.

Le Carré aber weiß es nicht und trägt eine Miene von gravierendem Ernst zur Schau, die keine Deckung im Sachlichen besitzt.

"Verräter wie wir" ist, wie es heißt, sein vierundzwanzigstes Buch. Demnach hätte er dieses Muster mit Erfolg schon dreiundzwanzigmal durchgezogen? So muss es sein - und ist doch schwer zu glauben.

JOHN LE CARRÉ: Verräter wie wir. Roman. Aus dem Englischen von Sabine Roth. Ullstein Verlag, Berlin 2010. 413 Seiten, 24,95 Euro.

© SZ vom 30.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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