Johannes Mario Simmel:Unterhaltender Rausch der Verzweiflung

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Von der Impfung des Lesers durch den Roman: Der Schriftsteller Johannes Mario Simmel lebt nicht mehr. Er starb im Alter von 84 Jahren.

Fritz Göttler

Man mag heute selbst ein wenig staunen - aber damals, in den Siebzigern, als man geduldig sich durch Walser und Böll und Grass hindurchfraß, stieß man irgendwann auch auf Simmel, und plötzlich steckte man fest in "Es muss nicht immer Kaviar sein", den man auf dem Nachttisch der Mutter gefunden hatte. Ein Buch, das getrüffelt war mit Kochrezepten, was ein wenig albern war, aber das dann doch die Geschichte Deutschlands, von Nazizeit und Wirtschaftswunder, auf denkbar unverkrampfte, fast amerikanische Weise erzählte.

Tod eines Bestsellerautors: Der Schriftsteller Johannes Mario Simmel lebt nicht mehr. Er starb im Alter von 84 Jahren. (Foto: Foto: AP)

Es waren Bücher, die unmittelbar aus der Nachkriegszeit entstanden, und auf diese Zeit so direkt reagierten wie wenig andere. Simmel, 1924 in Wien geboren, ausgebildeter Chemiker, arbeitete nach dem Krieg als Übersetzer und Dolmetscher für die US-Militärregierung. Damals musste man flexibel sein, Simmel schrieb Reportagen, Feuilletonartikel, Filmkritiken, für die Wiener Tageszeitung Welt am Abend. In den Fünfzigern arbeitete er für die Quick - und man spürt in seinen Romanen immer wieder, wie wichtig ihm die Recherche geblieben ist.

Auch als Drehbuchautor hat er sich vielfach versucht, und fast jeder seiner Romane ist von den Fünfzigern bis in die Siebziger verfilmt worden, darunter "Hurra, wir leben noch" (1978) von Peter Zadek. Und nun wird er gerade, fürs junge Publikum, in der Zeitalter der Soaps und der Telenovelas, mit Neuverfilmungen ins Fernsehen gebracht.

Ein Journalist blieb er auch als Autor von Romanen, Theaterstücken und Drehbüchern. Denn sein Journalismus bestand darin, seine Geschichten dem Druck der Aktualität auszusetzen. Die Form aber kam woanders her, aus der literarischen Tradition des neunzehnten Jahrhunderts, aus Melodram, Verschwörungstheorie und Kolportage.

Mitspielen in der Welt der Uniformen

Freigiebig mischt er Sentimentalität in die Liebesgeschichten seiner Roman, denn es ging ihm nicht um die Liebe: es ging ihm Kriegsgefahr um biologische Waffen und die Geheimdienste, um Ökokatastrophen und Genmanipulation. Er nutzte, wie jeder Erfolgsautor seit dem 19. Jahrhundert, den Roman udas alte Mittel der Identifikation, um seine Leser in Deutschland und Österreich gegen die Dämonen des Nationalsozialismus zu impfen. Es wirkt wie eine Impfung, wenn in seinem Durchbruchsroman "Es muß nicht immer Kaviar sein" (1960) der Held eine Odyssee durch die Geheimdienste der kriegführenden Mächte machen muss.

Zum Schein muss er, der Pazifist, mitspielen in der Welt der Uniformen, die er hasst. Und viele der bösen Figuren Simmels vertreten ihre menschenfeindlichen Thesen sehr überzeugend. Auch das ist typisch für die sechziger und siebziger Jahre: die Aktualität der Zeitgeschichte, vor allem der Geschichte des Dritten Reiches, und nie war sie so aktuell wie in jenen Jahren. Und Simmel war der Autor, der den Roman - und sich selbst - unter Aktualitätsdruck setzte.

"Der Stoff, aus dem die Träume sind", das ist einer seiner bekanntesten Titel, und er liefert ein Programm für sein ganzes Schreiben, aber auch für die Zeit und die Gesellschaft, in der dieses Schreiben sich vollzog. Eine Zeit, in der das Träumen noch eine Wirkungsmacht war, in der Utopie Kraft hatte. Simmels große Zeit waren die Siebziger, die sozialliberalen Jahre. Sie haben in Böll und Grass auf der einen und Simmel auf der anderen Seite große Galionsfiguren der öffentlichen moralischen Diskussion - was sie einte, war, dass sie Literatur, dass sie ihr Erzählen immer als moralische Anstalt sahen. Simmel blieb von ihnen der Hoffnungsvolle, der Glauben an die Vernunft und an die Zukunft einer vernünftigen, demokratischen, humanen Gesellschaft ließ er sich nicht nehmen.

Es war diese Aufrichtigkeit, die ihn langsam unzeitgemäß machte. Man brachte das nicht mehr zusammen, diese Art erzählerischer Sozialberichterstattung, Literatur und Reportage drifteten auseinander. Das heißt, sie wollte möglichst nahe dran bleiben an dem, wovon es zu berichten galt. Aber in dem, was die anderen Kolportage nannten, sah er eine ehrenwerte Form der Aufklärung. "Kolportage bieten", schrieb Joachim Kaiser in der SZ zu Simmels Achtzigstem, "Situationen so hautnah darstellen, dass man als Leser die Zwänge sympathisierend-angstvoll und ohne Ausflucht mitempfindet, denen Roman- oder auch Bühnenfiguren ausgesetzt sind, darauf kommt es an . . ." Simmel zeigte keine Scheu vor brisanten Themen, und die brisantesten waren ihm gerade gut genug. In den späteren Werken wurde das ein wenig schematisch - wenn er sich jeweils ein großes, brennendes Thema pro Roman vornahm und auf fünfhundert Seiten abhandelte. Da war die Weltlage schon so komplex, dass die großen Fragen einzeln nicht mehr behandelt werden konnten - geschweige denn gelöst.

Schreiben, um zu überleben

An Simmel begann hierzulande die Diskussion um die Trivialliteratur - die lange Zeit nicht der literaturkritischen Erwähnung wert gewesen war. Er hat sich selbst immer gegen diesen Begriff gewehrt, gegen die Herabsetzung, die pejorativ wirkte, selbst wenn sie wohlwollend gemeint war. "Zuerst war ich der Illustriertenschreiber, dann der Erfolgsautor, heute bin ich das Phänomen. Unlängst hat mir jemand gesagt, ich sei eine Kultfigur", erklärte er in einem Interview. "Ich gehe davon aus, daß ich ein richtiger Schriftsteller bin, der richtige Bücher schreibt, keine Unterhaltungsmaschine. Ich sehe mich, das ist jetzt hochfahrend genug, in der Gegend von Fallada, Graham Greene oder Simenon." Walser respektierte Simmel, Böll respektierte ihn. Und im Problem mit der Trivialliteratur sah er sich wirklich auf einem Gleis mit Böll - auch bei diesem liebten es einige prominente Literaturkritiker "ihn zu verdammen und hinabzustoßen in die Vorhölle der Trivialliteratur, nur weil er so erzählt, daß die Menschen ihn verstehen."

Während Grass und Böll allmählich sich skeptisch zeigten, was die literarische Effektivität, die Arbeit des Schriftstellers anging, und sich eher politisch direkt engagierten, blieb Simmel Schriftsteller. Er glaubte an die Kraft des Wortes, an die Macht des Erzählers. Und seine Technik hat er, über die Jahrzehnte, wahrlich beherrscht. "So bieten seine politischen Statements nichts allzu Aufregendes", schrieb Joachim Kaiser in seiner Würdigung: "Doch ändert sich Simmels Attitüde, seine Mitteilungs-Art, seine Äußerungs-Temperatur in dem Moment, da er plötzlich epische Zusammenhänge entdeckt, eine Fährte wittert, auf eine Blutspur stößt. Dann beseelt ihn so etwas wie ein Verzweiflungs-Rausch."

Schreiben, um zu überleben, das war seine Devise. Er hat sie an der Figur der Reporterin Norma Desmond in seinem Roman "Doch mit den Clowns kamen die Tränen", 1987, noch einmal demonstrativ entwickelt. "Du überlebst nur, wen du arbeitest, also arbeite." Norma Desmond, so hieß Gloria Swanson in Billy Wilders "Sunset Boulevard" - der engagierte Autor war zur Diva geworden. Am Neujahrstag ist Johannes Mario Simmel im Alter von 84 Jahren gestorben.

© SZ vom 03.01.2009/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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