Jenseits von "Borat":Wenn Kasachen nicht mehr lachen

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Wie der Filmverleih zur Lancierung der ,,Borat''-DVD einem Land Gerechtigkeit widerfahren lassen will, das vom Rest der Welt für einen Witz gehalten wird.

Harald Hordych

Action ist hier überall, seit der Film draußen ist. Die Geschichte Kasachstans wird bald eine neue Zeiteinteilung einführen müssen: a.b. muss es dann heißen, ante Borat natum.

Nach dem Film ist hier alles und doch nichts mehr wie vor dem Film. Wie war das noch 2007, werden sich Nachgeborene fragen, als Fernsehsender mit High-Tech-Ausstattungen kamen und Journalisten busseweise ihre Metropolen überfielen? Auf der Suche nach, ja was denn nun eigentlich? Dem wirklichen, echten Leben? Dem Urgrund der Kunstfigur? Dem gespielten Witz auf der Straße?

Bauarbeiter drehen sich nach den Kamerateams um, die aus Kleinbussen rausklettern, obwohl sich der Tag auch um elf Uhr morgens nicht recht blicken lässt. Der "Platz der Unabhängigkeit" liegt im Schneegestöber, von gutem Licht für Kameras kann keine Rede sein.

An der Frontseite der Tribüne, von der einst sowjetische Führer die Paraden abgenommen haben, ist ein Wappen aus Bronze eingelassen, das auf Kasachstans nationale Wurzeln in der Steppe des Riesenreichs weisen soll: Nomaden und Jurten. Das schwedische Team ist am schnellsten. Der Reporter des Musiksenders "The Voice" baut sich vor dem Wappen auf und legt los.

Wissbegierige Ausländer

Wie ein fliegender Händler preist er mit kreisenden Armen das Bronzewappen, dessen Zeichensprache sich Fremden nur schwer erschließt. Unterdessen filmen andere Kamerateams andere Reporter dabei, wie sie versuchen, die achtspurige Straße vor dem Nationaldenkmal der Kasachen zu überqueren, ohne auszurutschen oder überrollt zu werden. Alles ist komisch, alles hat das Potential des Komischen, denn wir befinden uns im Lande Borat.

Ein Belgier, ein Franzose und drei Deutsche stehen frierend mit ihren Stenoblöcken neben der Säule mit dem Goldenen Mann. Alles wollen sie wissen, denn alles ist jetzt interessant. Sie lauschen dem Fremdenführer, erfahren, was sich 1986 auf diesem Platz zugetragen hat und welche Rolle der kasachischen Sowjetrepublik beim Ende des sowjetischen Reiches zugefallen ist.

Als Gorbatschow den Chef der kasachischen KP, Dinmuchamed Kunajew, durch einen linientreuen Mann aus der Moskauer Zentrale namens Gennadij Kolbin ersetzte, war das eine Demütigung zu viel: Kasache raus, Russe rein - der Wechsel an der Regierungsspitze provozierte den ersten Aufstand in Gorbatschows Ägide; auf dem Platz vor der Tribüne und dem protzigen Regierungskasten protestierten die Studenten, bis die Sowjetmacht dem Unmut gewaltsam ein Ende machte.

Nach Parteiangaben starben dabei zwei Menschen. Doch vielleicht waren es eher tausend, sagt der Fremdenführer. Das ist nicht komisch, das ist tragisch. Aber wie geht man mit dem Tragischen um, wenn die Welt Kasachstan nur noch mit der Brille des Komischen betrachten will?

1991 war die junge Republik Moskau endgültig los. Warum sich 16 Jahre später an einem trüben Montagmorgen mehr als 20 Journalisten aus neun Ländern, unter ihnen Kamerateams aus Schweden, den Niederlanden, Großbritannien und Spanien unter brutalen Witterungsverhältnissen diesem der Welt wenig bekannten historischen Ereignis tapsig zuwenden?

Das hängt einerseits mit der Veröffentlichung einer DVD und andererseits mit der Rolle zusammen, die der englische Komiker Sacha Baron Cohen Kasachstan in seinem Film "Borat" zugewiesen hat. Um den weltweiten Start der Borat-DVD (ab Montag in Deutschland) zu promoten, hat die 20th Century Fox eine Pressereise in die Film-Heimat von Borat organisiert.

"Ein Schwein von einem Mann"

Das hält das Werbebudget aus, weil die sehr, sehr komische Kinoreise des ignoranten Reporters Borat nach Amerika weltweit 284 Millionen Dollar einspielte. Was bei 18 Millionen Dollar Produktionskosten ein schöner Gewinn ist. Nun soll auch die DVD ein Geschäft werden, aber die Fox in ihrem Großmut wollte Kasachstan diesmal Gelegenheit geben, sich nach den Boratschen Späßen einer weltweiten Öffentlichkeit einmal anders zu präsentieren.

Es war ja nicht unbekannt geblieben, dass Cohen alias Borat Kränkungen zu verantworten hat. Der kasachische Botschafter in London hatte sich beispielsweise zu der Bemerkung hinreißen lassen, Cohen sei "ein Schwein von einem Mann".

In Borats Heimatdorf leben die Menschen mit Kühen und Schweinen gemeinsam in stallartigen Häusern. Strom, fließendes Wasser und Kanalisation gibt es nicht. Typisch Kasachstan? Dass Cohen diese Szenen nicht in Kasachstan, sondern in dem rumänischen Dorf Glod drehte, ist bekannt.

Auch, dass die hier abgefilmten Männer und Frauen den Komiker inzwischen auf 30 Millionen Dollar Schadensersatz verklagt haben. Zu allem Überfluss handelt es sich um ein Roma-Dorf. Kasachstans Rolle bei all dem ist am besten mit dem Wort passiv umschrieben.

Die Wurzeln von Borats Verbohrtheit und Impertinenz hingegen liegen nun mal in Kasachstan. Das Alphabet des Hinterwäldlers ist kyrillisch, denn in Kasachstan wird Russisch gesprochen, und sein Englisch ist so osteuropäisch getränkt wie sein Schnurrbart mit schwarzer Farbe.

Alle lachen über den "Toilettenhumor"

Am 22. Dezember fand in Almaty im mit 350 Gästen ausverkauften Filmklub des Journalisten und Cineasten Oleg Borezkiy eine private Vorführung von "Borat" statt. Kein anderes Kino zeigte "Borat", erzählt Borezkiy im Hyatt in der einstigen Hauptstadt Almaty, die früher Alma Ata hieß. "Alle Zuschauer haben damals sehr über diesen Toilettenhumor gelacht", sagt Boretzkiy. "Es geht um eine Satire über Amerika, und sie haben alle Klischees eines Hinterwäldlers hineingestopft. Es war einfach Zufall, dass es Kasachstan getroffen hat."

Wegen dieses Zufalls erfahren 20 Journalisten nun, dass Kasachstan flächenmäßig das neuntgrößte Land der Welt ist, so groß wie Westeuropa zusammen. Wenn die kasachischen Fußballklubs, die übrigens im Uefa-Pokal mitspielen dürfen, zu ihren Spielen reisen, sind sie manchmal 32 Stunden mit der Bahn unterwegs.

15 Millionen Einwohner aus 120 verschiedenen Volksgruppen leben zwischen dem Kaspischen Meer und China. Das Interesse an Kasachstan bewegte sich vor Borat gegen null. Nur ein deutschsprachiger Reiseführer ist erhältlich. Die Reise durch Kasachstan ist eine Entdeckungsfahrt, im Gepäck den Hinweis der Fox, Kasachstan bitte nicht so wie in dem Film "Borat" darzustellen.

Es ist nun sehr sonderbar, so durch Almaty zu fahren, sozusagen als Botschafter des schlechten Gewissens, das ein Film ausgelöst hat, der gar nicht in Almaty spielt, sondern nur einen Helden zum Thema hat, der nun mal aus Kasachstan kommt, was, wie Cohen nicht müde wurde zu betonen: rein gar nichts zu bedeuten hat. Ebenso gut hätte er aus Österreich oder Albanien kommen können.

In die Leere gebaut

Derart wohlmeinend vorbereitet, spähen wir also durch beschlagene Scheiben und schaukeln im Schritttempo durch den Stau einer 1,5 Millionen-Stadt, in der an jeder Ecke gebaut wird, und zwar nach wie vor in den Dimensionen, die sich der Kommunismus, als er sich noch für erfolgreich hielt, immer gegönnt hat: lieber richtig groß als nur groß. Wir befinden uns mitten in der Weite der eurasischen Landmasse, die Stadt liegt am Fuße von Gebirgszügen, die bis auf 5000 Meter ansteigen.

Almaty ist eine Stadt, der man überall anmerkt, wie viel Platz sie hat, um jedes erdenkliche Gebäude aufzunehmen, eine Stadt, einfach in die Leere gebaut. Die geraden Straßen scheinen endlos, und immer wenn man denkt, das Zentrum hinter sich zu haben, erhebt sich die Stadt beeindruckend von neuem.

Für die Kasachen ist Almaty mit seinen Theatern, Universitäten und Nachtklubs trotz des Umzugs der Regierung in die neue Hauptstadt Astana das Zentrum geblieben. Jeder zehnte Kasache lebt hier. Aber die Stadt ist nicht auf Touristen eingestellt, womöglich weil der Reichtum an Bodenschätzen die junge Nation unabhängig macht. Die Kaufhäuser sind voll mit Diesel und Daniel Hechter und Armbanduhren groß wie Untertassen.

Der Winter, so zeigt sich, ist für die Stadt der Äpfel keine gute Zeit. In die Leere des Raums haben die Stadtplaner nach den verheerenden Erdbeben von 1887 und 1911 ein Meer von Bäumen gepflanzt, manchmal sieht man vor lauter Birken und Kiefern die Stadt nicht mehr.

Jetzt fehlt der Charme des Sommers. Wenn es dunkel wird, legt Almaty viel Schminke auf, jedes Schaufenster, jede der zahlreichen Bars, jedes Restaurant und jeder Nachtklub werden von blinkenden Lichterketten so aufdringlich umschlungen, wie Borat das mit Kasachstan gemacht hat.

Die Menschen, die man hier auf der Straße nach ihrem neuen nationalen Paten fragt, sie haben dementsprechend andere Sorgen und andere Freuden. Wenn sie überhaupt davon gehört haben, dann winken sie ab: Das kann man doch gar nicht ernst nehmen, sagt einer. Im Gewirr des grünen Marktes rufen die Händler "van Damme" oder "Schwarzenegger", wenn die Sprache auf Film kommt.

Werbung für Kasachstan

Der Direktor und Gründer der Media-Holding Kanal 31 hält nichts davon, auf Borats Witze empfindlich zu reagieren. Auf dem Tisch liegt eine Ausgabe der Wochenzeitung Megapolis, auf deren Titelseite die Meldung, dass ein als klagefreudig bekannter kasachischer Rentner die Fox und Cohen auf 15 Milliarden Dollar verklagt hat: "Besser, es wird über einen gesprochen als gar nicht. Natürlich war Borat Werbung für Kasachstan", findet der smarte Armanzhan Baitasov: "Er hat den Fokus auf Kasachstan gerichtet."

Im Newsroom des zum Konzern gehörenden Nachrichtensenders TV 31, einen Stock tiefer, gehen die Meinungen auseinander. Wie wird sich die Redaktion verhalten, wenn im März auch in Kasachstan die "Borat"-DVD zu kaufen sein wird? Der Nachrichtenchef findet nichts dabei, darüber zu berichten. Die Direktorin sagt schneidend, dass sie von "Borat" nichts zeigen würde, wenn sie noch mehr zu sagen hätte. "Er ist es nicht wert, promotet zu werden." Mehr sagt sie nicht, aber ihr Gesicht macht weitere Worte unnötig.

Am Ende werden angehende kasachische Journalisten westliche Journalisten interviewen, nachdem diese zuvor die angehenden Journalisten interviewt haben, wie sie die Beziehungen zwischen "Borat" und "Kasachstan" beurteilen, weil sie hierher gebracht worden sind, um Werbung für die DVD zu machen.

Als ein Student Cohen das Recht abspricht, Witze über Kasachstan zu machen, ohne Kasachstan zu kennen, und ihm das am liebsten verbieten würde, entgegnet ein Journalist irritiert: "Borat is only a Joke! Es bedeutet praktisch nichts."

Die Antwort bleibt nicht aus. "Warum sind Sie dann hier, wenn alles nur ein Witz ist?" schnappt eine junge Kasachin zurück. "Weil Sie uns eingeladen haben", kommt es von der Journalisten-Seite. Da wird es still. Es ist, als ob jemand die Medienmaschine für einen Moment einfach blockiert hat.

Frauen heiraten als Jungfrauen

Dann geht es weiter: "Wenn jemand Witze über die Queen macht, dann weiß jeder, wie die Queen wirklich ist. Das Problem für uns ist, dass die ganze Welt absolut nichts von Kasachstan weiß, und nun kann sie nicht vergleichen und kennt nur das Kasachstan von Borat", sagt eine junge Studentin.

Es drängt sich die Frage auf, wie die modernen Frauen hier Borat-Späße wie diesen aufnehmen: "Mehr als fünf Frauen auf einem Platz werden in Kasachstan sofort verhaftet, es sei denn, sie sind Prostituierte." Die Studentinnen lachen und fragen sich, ob Cohen wohl wisse, dass es in diesem Land immer noch Brauch sei, dass Frauen als Jungfrauen in die Ehe gehen.

Offiziell wurde Borat übrigens nie verboten, bestätigt der Direktor von Kanal 31, Baitasov. Offenbar hat eine öffentlich verbreitete Äußerung des Präsidenten genügt. Der machtbewusste Nasarbajew ist es freilich auch, der die Bildung der Jugend energisch vorantreibt.

Kasachstan, das Land der Steppen und Halbwüsten, der turkstämmigen Nomaden und Jurten, ist offiziell ein zweisprachiges Land. Die kasachische Sprache war während der Sowjetherrschaft praktisch verboten. Kurz vor dem Zusammenbruch gab es so gut wie keinen Unterricht mehr in kasachischer Sprache.

Noch immer können 30 Prozent der Kasachen, die mehr als die Hälfte der Bevölkerung stellen, ihre eigene Sprache nicht sprechen. Das Kasachische soll bald in lateinischer Schrift wiedergegeben werden, nicht mehr in Kyrillisch. Der Fremdenführer erzählt auf der langen Fahrt im dampfenden Bus voller Journalisten, dass in Almaty Moslems, Buddhisten, Katholiken, Protestanten und Juden zusammenleben, ohne dass es je zu Konflikten kam.

Es ist eine komische Sache, dass ausgerechnet eine vergleichsweise tolerante Vielvölkernation für Borat-Antisemitismus und Borat-Zigeunerhass herhalten musste, ein Zufall eben. Natürlich ist alles ein Witz. Das wusste man vor dieser Reise schon. Es gibt aber auch Witze, die im Halse stecken bleiben.

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