Jahresgaben:Die smartesten Finger

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Immer zum Jahresende bieten die Kunstvereine ihren Mitgliedern Editionen, Multiples und andere erschwingliche Werke. Längst sind sie eine wichtige Ergänzung des Ausstellungsbetriebs.

Von Kito Nedo

Smartphones sind eine böse Plage. Sie verwüsten unsere Umwelt, machen süchtig, zerrütten unsere Manieren, unsere Produktivität, unsere Liebes- und sonstigen Beziehungen. Schrecklich ist das! - Gibt es denn gar nichts Positives an diesen Dingern? Doch - und dies scheint der Punkt zu sein, auf den der Berliner Maler Gunter Reski verweist. "Die Verbesserung des Fingers" lautet der Titel einer lakonisch-ambivalenten Schrift-Bild-Tafel: Daumen und Zeigefinger einer Hand scrollen hier nicht, sondern durchdringen das gallertartige Display eines Telefons.

Das Motiv hat Reski in diesem Jahr exklusiv für Mitglieder des Düsseldorfer Kunstvereins als Dreifarben-Lithografie auf Büttenpapier in einer Auflage von 20 produziert. Mit einem Preis von 290 Euro handelt es sich bei dem Blatt nicht nur ästhetisch, sondern auch ökonomisch um ein äußerst verführerisches Angebot. "Wir hatten nie klügere Finger", erklärt Hans-Jürgen Hafner, der Direktor des Düsseldorfer Kunstvereins. Reskis Grafik-Edition bringt den Zeitgeist auf den Punkt.

Die Smart-Finger-Lithografie ist eines von sechs Kunstwerken, die Hafner in diesem Jahr den mehr als 3000 Mitgliedern des Kunstvereins als Jahresgaben anbietet. Zu kaufen gibt es außerdem eine Mappe mit Digitaldrucken der jungen Mailänderin Anna Franceschini, eine psychedelische Jogging-Kombi aus dem Atelier des Künstlerduos GENRE (Moritz Fiedler und Lukas Müller), eine broschierte Künstler-Edition des Münchners Berthold Reiß, eine zweiteilige Konzept-Fotografie von Katharina Sieverding sowie ein Zeitungspapier-Faltobjekt vom belgischen Maler Walter Swennen. Die Preisspanne liegt zwischen 190 und 3000 Euro.

Julius von Bismarck: "Schlaf". Kunstverein Göttingen. Auflage: 10, 1250 Euro für Mitglieder. (Foto: Courtesy the artist and Alexander Levy)

Die jährliche Produktion und der Verkauf von Jahresgaben, so Hafner, seien eben nicht einfach nur ein Ritual: "Tatsächlich bekommt man für relativ wenig Geld relativ gute Kunst." Es ist ein Geschäft, von dem im besten Fall alle profitieren: das Publikum, der Verein und natürlich die Künstler - denn Einnahmen und Produktionskosten werden zu gleichen Hälften geteilt.

Nicht nur in Düsseldorf, sondern in ganz Deutschland ist jetzt der Zeitpunkt, an dem Kunstvereine ihren Mitgliedern Unikate und Editionen zum Vorzugspreis offerieren. Und es ist der Moment, an dem Kunstenthusiasten zu Kunstvereinsmitgliedern werden. Die Qualität der angebotenen Multiples, Grafiken und Unikate ist ein Grund. Ein anderer ist: Traditionell wird für Jahresgaben weniger Geld verlangt als für vergleichbare Werke auf dem regulären Markt, also in Galerien, auf Messen oder Auktionen.

Hinzu kommt das gute Gefühl, etwas Gutes zu tun: Jeder Käufer unterstützt die Arbeit seines Vereins und damit ein Netzwerk von unabhängigen Ausstellungsorten. In diesen Ausstellungshäusern beginnen oft internationale Künstlerkarrieren.

Seine Wurzeln hat der Jahresgaben-Brauch im frühen 19. Jahrhundert - ursprünglich nahmen die Mitglieder eines Kunstvereins einmal im Jahr automatisch an der Verlosung eines vom Verein angekauften Kunstwerkes teil. Unter den Verlierern dieser Tombola wurden sogenannte Nietenblätter ausgegeben: grafische Reproduktionen des Hauptpreises, die heute als Vorläufer der Jahresgabe gelten.

In der Gegenwart lässt sich an der Jahresgaben-Politik der verschiedenen Häuser beinahe so etwas wie eine Vereinsphilosophie ablesen. Hafner etwa verteidigt die Idee, dass ein Kunstverein mit all seinen Aktivitäten vorrangig die Künstlerinnen und Künstler unterstützen sollte - und nicht umgekehrt. Dazu gehörten nicht nur Ausstellungen, sondern auch die Jahresgaben. Mit deren Hilfe könne man junge oder weniger marktaffine Künstler durchaus ein wenig mehr in den Fokus der Öffentlichkeit schieben.

Antje Engelmann: "Mother (How to Give Birth to an American)". Heidelberger Kunstverein. Edition: 10, 750 Euro für Mitglieder. (Foto: N/A)

Wie gut das funktioniere, bleibe allerdings ungewiss, der Erfolg lasse sich nicht berechnen. Doch dieses Risiko geht Hafner lieber ein, als Werke von Künstlern herauszugeben, die längst im Markt etabliert sind. Die erfolgreichen Künstler meidet er andererseits auch nicht, sondern bindet sie strategisch ein - wie die diesjährige Zusammenarbeit mit der Konzeptkunst-Ikone Katharina Sieverding beweist. Es kommt allein auf die Arbeit an.

Für viele Kunstvereine sind die Jahresgaben eine wichtige Einnahmequelle

Andererseits ist das Jahresgaben-Geschäft für viele Kunstvereine eine wichtige Einnahmequelle geworden, auf die sie nicht verzichten können oder möchten. "Mit den Jahresgaben akquirieren wir finanzielle Mittel, die in neue Ausstellungsprojekte fließen oder in bauliche Maßnahmen am Haus", sagt etwa Moritz Wesseler, Leiter des Kölnischen Kunstvereins.

Doch es geht nicht nur um das Geld, sondern auch darum, ein jüngeres Publikum an das Haus zu binden. "Das Problem der notwendigen Verjüngung betrifft alle Kunstvereine", so Wesseler. Als zusätzliches, starkes Lockmittel benutzt der Ausstellungsmacher, der seit 2013 den Kölnischen Kunstverein leitet, die sogenannte Vereinsgabe: Bereits in Wesselers Antrittsjahr schenkte der Kunstverein allen seinen Mitgliedern eine Edition: 2013 wurde sie von der international renommierten Künstlerin Rosemarie Trockel gestaltet, 2014 gab es eine signierte Arbeit der amerikanischen Konzeptkunst-Legende Lawrence Weiner.

In diesem Jahr gelang es Wesseler, Künstler Kai Althoff von der Aktion zu überzeugen. Ein echter Coup: Der 1966 geborene Künstler, der auch als Musiker arbeitet, wird im kommenden Herbst mit einer Retrospektive im New Yorker MoMA geehrt. Seit Mitte November können sich Kunstvereinsmitglieder gegen Vorlage ihres Mitgliederausweises ein von Althoff und dem Künstlerkollegen Yair Oelbaum unter dem Namen Orla gemeinschaftlich produziertes Vinyl-Musikalbum abholen, um dessen Hülle eine Althoff-Originalgrafik gefaltet ist. Diese Dankeschön-Aktion scheint im Sinne ihres Erfinders zu funktionieren: Mit dem Kunst-Geschenk konnte der Kunstverein in drei Jahren mehrere Hundert neue Mitglieder gewinnen.

Gunter Reski: "Die Verbesserung des Fingers". Kunstverein Düsseldorf. Edition: 20, 290 Euro für Mitglieder. (Foto: N/A)

Abgesehen von der Auffrischung der Finanzen und der Werbung neuer Mitglieder lassen sich Jahresgaben aber auch gut dazu benutzen, noch einmal grundsätzlich zu demonstrieren, wie Kunstvereine eigentlich arbeiten. Für Susanne Weiß, seit 2012 Direktorin des Heidelberger Kunstvereins, sind sie "ein wichtiges Instrument, um die Idee der Kunst-Produktionsstätte tiefer in die Gesellschaft hineinzutragen".

In Kunstvereinen gehe es schließlich um weit mehr, als nur Bilder aufzuhängen - die Ausstellungen würden gemeinsam mit den Künstlern konzipiert und erarbeitet. Die meisten Jahresgaben sind Ergebnis dieser Zusammenarbeit und spiegelten so das gegenseitige, produktive Verhältnis zwischen Künstler und Institution.

In diesem Jahr bietet der Heidelberger Kunstverein ein halbes Dutzend Jahresgaben an, darunter Fotoarbeiten der Künstlerin Antje Engelmann und des Fotografen Peter Woelck, zwei Gemälde-Unikate von der Malerin und Kuratorin Sarah Schumann sowie von Sati Zech, die schon Mitte der Nullerjahre im Heidelberger Kunstverein ausstellte.

Dank der Jahresgaben bleibt die Erfahrung, Kunst zu besitzen, nicht auf Reiche beschränkt. Kunstkäufer können sich in ein intensiveres Verhältnis zur Kunst setzen als bei einem Ausstellungsbesuch. Und sie können das Ausstellungserlebnis räumlich und zeitlich weitertragen: hinein in die eigenen vier Wände, vielleicht ein ganzes Leben lang.

© SZ vom 19.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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