Irische Literatur:Der geschrumpfte Allesfresser

Lesezeit: 4 min

Zu lange im Kochgang gewaschen: In seinem neuen Roman "Die blaue Gitarre" will John Banville "die Essenz des Augenblicks festhalten". Aber allzu oft scheitert sein Held an dieser Aufgabe. Dabei steckt doch so viel in ihm.

Von Nico Bleutge

Drei Sprünge macht die Zungenspitze den Gaumen hinab. Und schon hat Vladimir Nabokov mit dem Namen seiner Heldin zugleich den Titel des Romans auf die Seiten gezaubert: "Lo. Li. Ta." Bei John Banville und seiner Hauptfigur Oliver Orme indes wirkt der Tanz der Buchstaben ein wenig umständlicher: "Das O ein eulenhaftes Auge, das r einigermaßen Art Nouveau oder eher wie ein griechisches, das m ein Schulterpaar, bebend vor satter Fröhlichkeit, das e wie - ach, ich weiß nicht, was. Oder doch, ich weiß: wie der Henkel eines Nachtgeschirrs." Das saloppe Spiel mit den Lauten ist nicht die einzige Nabokov-Anleihe, die sich der irische Autor John Banville in seinem neuen Roman gönnt. Wo Nabokovs Humbert Humbert seine Sätze bisweilen wie in einem Plädoyer anordnet und die Leser als "meine Damen und Herren Geschworenen" anredet, versucht es Banvilles Oliver Orme mal mit der Gerichtssituation, mal wird ihm der Leser zum "nicht vorhandenen Beichtvater".

Es ist symptomatisch, dass Banville seinen Erzähler eingangs nicht den Namen einer Geliebten beschwören lässt, sondern den eigenen. Der irische Autor inszeniert hier einen Erzähler, der eigentlich immer nur mit seiner Person beschäftigt ist. Das hat, was die Selbstreflexivität des Romans angeht, durchaus seinen Reiz. Banville zahlt für die dauernde Koketterie aber auch einen Preis, und keinen kleinen.

Ein Maler ist dieser eulenhafte Oliver Otway Orme. Oder genauer. Er war ein Maler. Denn er hat das durchlaufen, was er selbst in seiner bisweilen hochtrabenden Art eine künstlerische Krise nennen würde. Der Spalt zwischen der Welt und dem Bild, das wir uns immer nur von dieser Welt machen können, treibt ihn um wie nichts sonst. Der "mörderische Abgrund" (Zitat Orme) zwingt ihn sogar zur Aufgabe seines künstlerischen Tuns. Da seine Krise wie jede gute künstlerische Krise eine existenzielle ist, hat sie bald auch Auswirkungen auf sein Privatleben. Obwohl die Verbindung zu seiner Frau Gloria nicht unglücklich zu sein scheint, beginnt Orme eine Liaison mit Polly, die nicht weniger ist als die Partnerin seines Freundes Marcus.

Doch John Banville wäre nicht John Banville, würde er diese Geschichte einfach heruntererzählen. Wie in fast jedem Roman des Iren berichtet der Erzähler aus der Rückschau. Konkret hat sich Orme zu Beginn des Romans im Haus seiner Eltern verkrochen, um über seine Zeit als Maler und seine Affäre nachzudenken. Allerdings ist diese Rückschau in der "Höhle" in eine umfassendere Perspektive des Erzählers eingelassen, mit allerlei philosophischen und pseudophilosophischen Spekulationen verbunden.

Die Kluft zwischen den Dingen und der Art, wie wir sie wahrnehmen, erfahren wir etwa, war ihm nicht immer ein Problem. Im Gegenteil, auf dem Höhepunkt seiner Malerkarriere gewann Orme seine Kraft gerade aus der Möglichkeit, die Dinge in der Fantasie umzuwandeln, etwas Neues, Lebendiges aus ihnen zu machen.

Von einem Mann, der alles mitgehen lässt: Eine Tube Farbe, die Frau des besten Freundes

So ähnlich verteidigt Orme auch seine zweite Leidenschaft, das Stehlen. Schon als Kind hat er kleine Dinge mitgehen lassen, hier eine Farbtube, dort eine Figur aus Glas. Beim Stehlen wie beim Malen besteht die Lust für ihn darin, sich Materialien einzuverleiben. Ja, überlegt er einmal, verhält es sich nicht auch im Falle seiner Liebschaft so, hat er nicht seinem Freund Marcus die Frau gestohlen?

Oliver Orme, das legen schon die Laute seines Namens nahe, ist ein Omnivor, ein Allesfresser, dem es um den absoluten Besitz geht. So gesehen, ist es nur konsequent, wenn Banville seinen Erzähler nicht bloß in Sachen Beziehungsfragen von einem Rechtfertigungsversuch zum nächsten hüpfen lässt. Auch was seine Erzählung angeht, versucht Orme sich permanent abzusichern, jede mögliche Kritik vorwegzunehmen. Er reflektiert ironisch über die "hübschen Ausdrücke" oder die formalen Tricks, die er benutzt, hinterfragt die Struktur und lamentiert fortwährend über seine eigene Verkommenheit.

Stoff und Gestaltung bleiben sich so zwar in gewisser Weise treu, was jedoch immer mehr in den Hintergrund gerät, ist der Anspruch, "die Essenz des Augenblicks festzuhalten, den Funken herauszupräparieren". Vor allem aber: Einer Figur dabei zuzusehen, wie sie sich alles einverleibt, ist gerade dann problematisch, wenn es sich bei ihr um den Erzähler handelt. Für den Leser bleibt so im Wortsinne nichts übrig. Einen Funken herauszupräparieren, glückt nur der Übersetzerin Christa Schuenke mit ihrer Verwandlung der englischen Sätze ins Deutsche. Der Versuch des Erzählers aber, sich unangreifbar zu machen, schlägt in sein Gegenteil um. Er wird hochgradig angreifbar, weil man ihn in all seiner Weinerlichkeit und ironischen Selbsthinterfragung irgendwann nicht mehr ernst nimmt.

Dabei böte der Romanstoff durchaus andere Möglichkeiten. So haben Orme und seine Frau in jungen Jahren ihre kleine Tochter verloren, ein Schmerz, der jedenfalls bei Gloria noch tief zu sitzen scheint. Doch Banville versucht erst gar nicht, Vergangenheit und Gegenwart, Komik und Trauer auszubalancieren, wie ihm das etwa in seinem Roman "Die See" (2005, dt. 2006) gelungen ist. Stattdessen gerät ihm die eigentliche Konstruktion zunehmend aus dem Blick, die Dinge zerfasern, und er behilft sich mit dem billigen Trick, Oliver Orme genau das formulieren zu lassen: "Ach, es wird nichts, ich habe den Faden verloren."

Der Titel des Romans verweist auf Wallace Stevens und seinen Gedichtzyklus "The Man with the Blue Guitar". Stevens arbeitet darin an der Verwandlung der zerstückelten Welt in jenen "zarten Stoff des Geistes", der es Banville von jeher angetan hat. "The world washed in his imagination", heißt es bei Stevens einmal emphatisch über den Helden. Banville bemüht sich um etwas Ähnliches. Doch ist die Waschmaschine der Imagination bei ihm gleichsam zu heiß eingestellt, sodass die Welt, die er besingen möchte, ganz und gar einläuft. Was bleibt, ist eine Ansammlung geschrumpfter Dinge, zwischen die kein Leser mehr passt.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: