Interview mit Nick Drnaso:Die Trauer und das weiße Blatt

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Fragen an Nick Drnaso, den Zeichner und Autor der subtilen, erschreckenden und enorm erfolgreichen Graphic Novel "Sabrina", die als erstes gezeichnetes Werk für den Man Booker Prize nominiert war.

Interview von Thomas von Steinaecker

Nick Drnaso hatte mit seiner Graphic Novel "Sabrina" sensationellen Erfolg: Als erster Comic überhaupt war sein Buch im vergangenen Jahr für den Man Booker Prize nominiert (SZ vom 7. September 2018), und Künstler wie Zadie Smith und Chris Ware überschlugen sich in ihrer Begeisterung. Von einem Meisterwerk ist die Rede. Und Drnaso ist gerade mal 30 Jahre alt. Jetzt gibt es "Sabrina" in der Übersetzung von Daniel Beskos und Karen Köhler auch auf Deutsch (Aufbau Verlag). Die Geschichte über eine Frau, deren Mord auf Video online gestellt wird, ist subtil erzählt und ein kluges Lehrstück in Sachen Fake News. Beim Gespräch in München macht Drnaso den Eindruck eines Künstlers, der sein Leben seiner größten Leidenschaft widmet, dem Comic.

SZ: Das Buch enthält viele Themen, die aktueller nicht sein könnten: Ist "Sabrina" ein Kommentar auf die Trump-Ära?

Nick Drnaso: Ich habe lange vor Trump damit begonnen. Mir gingen ein paar Themen im Kopf herum. Ein verschwundenes Mädchen. Ihr Freund, der Trost bei seinem Kumpel sucht und mit ihm in einem seltsamen Haus wohnt. Es sollte auch ein Buch über Terrorismus und die Medien werden. Und über Trauer. Ich war ein wenig erschrocken, als mir klar wurde, wie sehr mich diese Dinge faszinieren. Sie befeuern die Kreativität. Aber sie können auf Dauer auch ungesund werden.

Das klingt nach einer eher intuitiven Arbeit.

Zunächst dachte ich nicht, dass daraus eine Graphic Novel wird. Ich wollte sehen, was passiert. Es brauchte vierzig, fünfzig Seiten, bis klar war, dass die Ideen tragen. Und dann befindet man sich am point of no return und hofft, dass es schon irgendwie wird. Ich hatte keinen Plan, sondern zeichnete einfach drauf los.

Wie darf man sich die konkrete Arbeit vorstellen?

Nick Drnaso, geboren 1989, kommt aus Chicago. (Foto: Kevin Penczak)

Ich brauchte etwa zweieinhalb Jahre und schaffte zwei Seiten pro Woche. Zunächst ist da immer ein Skript. Wie ein Theaterstück. Ich fühle mich dabei immer noch sehr unsicher, weil ich zwar auf der Kunstakademie war, aber nie Unterricht im Schreiben hatte. Dann zähle ich die Zeilen und überlege, wie viele Bilder ich brauche und wie sie aussehen könnten. Für einen Außenstehenden wirkt das wahrscheinlich, als säße ich untätig da. Ich starre auf ein weißes Blatt und beginne erst zu zeichnen, wenn ich alles im Kopf fertig habe. Dann arbeite ich ziemlich mechanisch. Beim Reinzeichnen und Kolorieren von "Sabrina" habe ich Comedy-Shows gehört.

Besonders eindrucksvoll sind die Passagen, in denen Sie die rechten Verschwörungstheorien eines fiktiven Radiomoderators wiedergeben.

Wenn irgendwo auf der Welt etwas passierte, wusste ich immer schon, wie die Verschwörungstheorien dazu lauten würden. Ab einem gewissen Punkt ist es vorhersehbar. Alles bedeutet etwas für Verschwörungsfanatiker. Ich wollte den Trost zeigen, den diese Theorien für die bedeuten, die Angst davor haben, bei der Arbeit oder in der Schule getötet zu werden.

Frappierend ist der Realismus, mit dem die ungewöhnlichen Schauplätze des Comics gezeichnet sind: Eine der Hauptfiguren arbeitet in einem fensterlosen Schachtelbüro in einer Air-Force-Base.

Ich habe einen Freund in Colorado, der dort bei der Air Force arbeitet, und das Vorbild dafür war. Ich besuchte ihn zur Recherche und fotografierte viel. Ich arbeite immer so. Ich sammle Fotos. Und dann ist die Frage, wie sehr man sie reduzieren will, damit die Geschichte noch einen Flow hat. Das hat eigentlich nichts mit Kunst, sondern mit Logik zu tun. Aber ich zweifle immer an meinen Entscheidungen.

Es heißt, Sie wollten das Buch nicht veröffentlichen, als es fertig war.

Als ich im April 2017 damit fertig wurde, war Trump Präsident geworden, alles war auf einmal negativ und ich dachte: Braucht es jetzt wirklich auch noch einen Comic, der so unerfreulich ist? Ich hatte außerdem das Gefühl, unehrlich gewesen zu sein. Mein Buch ist Fiktion. Trotzdem erkennt man die Anspielungen auf all die Massaker in den USA. Ich wollte auf keinen Fall voyeuristisch wirken. Mein Verlag verstand mich und akzeptierte meine Entscheidung. Dann beschloss ich, das Geld der ersten Auflage zu spenden. Das nahm mir etwas von meinen Schuldgefühlen.

Das Buch erhielt nicht zuletzt durch die Nominierung für den Man Booker Prize sehr viel Aufmerksamkeit. Hat sich Ihre Situation dadurch geändert? Man hört ja immer, wie hart es ist, als Comickünstler zu überleben.

Am Ende war diese Nominierung nur die Entscheidung von fünf Leuten. Meine ambivalenten Gefühle gegenüber dem Buch haben sich dadurch nicht geändert. Während der Zeit von "Sabrina" arbeitete ich als Hausmeister in einem Museum und am Fließband. Durch den Erfolg kann ich nun Vollzeit an meinem neuen Buch arbeiten.

© SZ vom 28.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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