Interview mit Malcolm McDowell:"Ich habe nichts dagegen, wenn man mich nicht mag"

Lesezeit: 11 min

Schauspieler Malcolm McDowell spricht über Zorn, seine Rolle als jugendlicher Gewalttäter in "Clockwork Orange" und den ahnungslosen Stanley Kubrick.

Willi Winkler

Sonst regnet es ja nie im südlichen Kalifornien, aber heute gießt es. Die Stadt und Land zudeckende Weihnachtsdekoration wirkt deshalb gleich noch trostloser. Die Südkalifornier aber sind froh und glücklich über den Regen. Das ganze Jahr war zu trocken, ständig hat es gebrannt, Buschfeuer, Gerölllawinen, versperrte Straßen. Malcolm McDowell wohnt in einem Haus in den Bergen, weit weg von Hollywood und vom Strand von Malibu. Sein Wohnzimmer ist ein riesiger Raum, der bis unters Dach mit amerikanischer Volkskunst vollgestellt ist. In der Ecke steht eine Kiste mit dem Gesamtwerk von Stanley Kubrick auf DVD. Baby Finn kriecht noch auf dem Boden, der dreijährige Beckett spielt mit allem, was ihm in die Hände fällt, während im Fernseher ein Mickey-Mouse-Film läuft. Malcolm McDowell präsidiert als stolzer Familienvater.

Malcolm McDowell 2004 beim American Film Festival in Deauville. (Foto: Foto: AP)

SZ: Mr. McDowell, darf ich gleich mit einer ganz fürchterlichen Schmeichelei beginnen: Heute Nacht im Flugzeug hatte jemand auf seinem Laptop eine DVD laufen. Als ich aufschaue, sehe ich - Sie.

Malcolm McDowell: Was war das, ein alter Film?

SZ: Ich habe den Nachbarn gefragt, es war eine Serie mit dem Titel "Entourage".

McDowell: Ja, die ist gut. Eine Serie über Hollywood, produziert von Mark Wahlberg.

SZ: Es sind diese blauen Augen, dieser Blick, diese Bewegungen. Man erkennt Sie immer.

McDowell: Ich weiß nicht, was Sie meinen, wenn Sie von diesem Blick sprechen. Paul Newman erzählte einmal, es sei sein größter Albtraum, dass er morgens in den Spiegel schaut, und seine Augen sind nicht mehr blau.

SZ: Ihre stechenden Augen müssen Stanley Kubrick fasziniert haben.

McDowell: Seine Witwe Christiane wusste noch, wie Kubrick in seinem Projektionsraum "If... sah, meinen ersten Film. Ich hatte meinen Auftritt mit Hut, dem Schal vorm Gesicht, dem Schnurrbart, und er sagte zu Christiane: "Lass das noch mal laufen, wir haben unsern Alex." Er war so glücklich.

SZ: Sie haben damit immerhin Mick Jagger ausgestochen.

McDowell: Ich weiß, die Rolling Stones hatten "A Clockwork Orange" von Anthony Burgess gekauft und wollten es selber verfilmen.

SZ: Anthony Burgess jammerte immer, dass er nur fünfhundert Pfund dafür bekommen hätte.

McDowell: Burgess war einer der größten Lügner.

SZ: Aber das war doch das Tolle an ihm!

McDowell: Burgess war natürlich auch einer der größten Geschichtenerzähler. Ich habe ihn geliebt. Wie könnte ich nicht - er schrieb mir eine der besten Rollen der ganzen Filmgeschichte.

SZ: Sie hatten gar keine richtige Ausbildung als Schauspieler.

McDowell: Nein, ich wollte nur einer sein. Die anderen schwärmten von ihrem Shakespeare, und ich sagte nur: "Ich will ins Kino."

SZ: Immer schon?

McDowell: Seit ich im "Odeon" in der Lime Street in Liverpool "Samstagnacht bis Sonntag- morgen" mit Albert Finney sah. Da wusste ich: Das kann ich auch!

SZ: In Liverpool? Ich dachte, Sie kommen aus Leeds?

McDowell: Da bin ich nur geboren. Mein Vater war in der Royal Air Force, und wir sind viel umgezogen, aber in Liverpool bin ich aufgewachsen.

SZ: Als die Beatles noch dort spielten?

McDowell: Ja, und ich habe sie gesehen, ehe sie berühmt waren. Ich bin Woche für Woche in den Cavern Club gegangen, um sie zu hören.

SZ: Spürte man da schon die Kraft, die von ihnen ausging?

McDowell: Man merkte die ungeheure Energie der Band, vor allem bei John Lennon.

SZ: Wo kam diese Energie her, diese Aggression, die auch in Ihren Filmen steckt?

McDowell: Ich komme aus dem Norden Englands. In England gilt alles jenseits von London als unzivilisiert. Liverpool ist nicht bloß Provinz, sondern gilt als barbarisch. Es war sehr schwer, sich in die festgefügte englische Klassengesellschaft hineinzudrängen, sich durchzusetzen gegen das Establishment. Das Establishment wollte alles so haben wie vor dem Krieg. Im Unterschied zu damals aber war England inzwischen bankrott, ein absolut trostloses Land. Die Stimmen des Widerstands meldeten sich im neuen Theater, im Film, in der Musik. Ein Schauspieler wie Albert Finney - ohne ihn hätte es mich nicht gegeben - verkörperte diesen Widerstand. Ein Regisseur wie Lindsay Anderson, der in Oxford gewesen war, wurde nicht ernstgenommen, weil er aufforderte, sich John Fords Western anzuschauen und erklärte: John Ford ist unser Picasso.

SZ: Lindsay Anderson war Ihr erster Regisseur. Ich dachte, Sie würden nicht gern über Ihre frühen Filme reden.

McDowell: Das stimmt nicht. Man kann die Geschichte doch nicht umschreiben. Lindsay hasste dieses angelsächsische, südliche, ahnungslose, besserwisserische Establishment, und ich habe viel von diesem Widerwillen gegen das emotional bankrotte Establishment übernommen. Da, schauen Sie mal, ein Kojote!

SZ: Wo?

McDowell: Da draußen vor dem Fenster! Kelley, hol schnell Beckett, da ist ein Kojote!

SZ: Malcolm McDowell springt zum Fenster.

McDowell: Jetzt ist er weg.

SZ: Der dreijährige Beckett erscheint.

McDowell: Da, da hinten ist er! Hast du ihn gesehen? Schwupp und weg. Wozu habe ich eigentlich eine Mauer ums Haus?

SZ: Wie groß ist Ihr Grundstück?

McDowell: 35 Hektar, der ganze Hügel, der Berg gehört dazu.

SZ: Und was wächst da?

McDowell: Orangen und Avocados.

SZ: Bewirtschaften Sie das selber?

McDowell: Nein, das macht eine Firma. Ich verliere jedes Jahr unglaublich viel Geld dabei, aber nach amerikanischen Begriffen bin ich ein Rancher. Es hat was Besonderes, wenn man sein eigenes Obst zieht. Ich glaube, ich habe meine erste Avocado erst mit 24 gegessen.

SZ: In seinem Film "It's a Gift" von 1934 träumt der Komiker W.C. Fields von einer Orangenplantage in Kalifornien und geht beinah pleite.

McDowell: Das Schönste daran ist, dass es dem Bild sehr nahekommt, das Los Angeles zu Beginn des 20. Jahrhunderts abgab. Damals wuchsen links und rechts vom Sunset Boulevard noch Orangenhaine. Mir gefällt diese Periode, ich lese gern die Geschichten über die Pioniere, die nach Los Angeles kamen, und wie es in den 1910er und 1920er Jahren in Kalifornien war.

SZ: Beckett blitzt den Besucher mit einer Instantkamera.

McDowell: Sehen Sie, Beckett trägt ein Seepferdchen auf dem Hemd. Das war das Abzeichen meiner alten Schule in England.

SZ: Sie sind nach Amerika ausgewandert, aber jetzt werden Sie doch nostalgisch. Ich dachte, Sie müssten Ihre Schule wie in "If..." hassen.

McDowell: Das hatte nichts mit der Schule, sondern mehr mit einem Vater zu tun, der Alkoholiker war. "If..." war mein wichtigster Film, "Clockwork Orange" eingeschlossen.

SZ: Der Film hat eine ungeheure Kraft. Es wirkt wie zwangsläufig, dass die Schüler am Schluss auf ihre sadistischen Lehrer schießen, und als Zuschauer ist man begeistert dabei.

McDowell: Der Film ist nicht realistisch, sondern eine Phantasie. In Amerika haben sie das zu wörtlich genommen, und es endete in Columbine.

SZ: Und dieser Zorn, diese Aggression bei Alex - wo kommt das her?

McDowell: Das ist Schauspielerei. Ich weiß nicht, wo ich dieses Selbstbewusstsein hernahm, aber ich hatte immer großes Selbstvertrauen. Ich weiß noch, welchen Spaß es mir machte, den einen Regisseur gegen den anderen auszuspielen. Zu Kubrick sagte ich: "Lindsay würde das niemals so machen." Und Kubrick: "Wie würde er es machen?"

SZ: Das hat sich der weltberühmte Kubrick gefallen lassen?

McDowell: Ja.

Auf der nächsten Seite: Wie Malcom McDowell einen Serienmörder in der Ukraine spielt, der kleine Kinder isst.

SZ: Einfach so? Sie waren doch viel jünger als er.

McDowell: Ich weiß auch nicht, warum. Als wir uns kennenlernten, hatte Stanley "2001: Odyssee im Weltraum" hinter sich, einen Film, der als Pleite galt, weil er 14 Millionen gekostet hatte, aber sein Geld nicht einspielte. "Clockwork Orange" sollte deshalb ein Lowbudget-Film werden.

SZ: Danach sieht er aber nicht aus.

McDowell: Kubrick dachte bereits an "Eyes Wide Shut", den er als letzten Film drehen sollte. Er wollte ein verheiratetes Paar, das ein verheiratetes Paar spielen sollte. Ich sagte zu ihm: "Stanley, das ist das Dümmste, was ich je gehört habe. Soll das heißen, dass ein Schauspieler nicht verheiratet spielen kann?"

SZ: Dafür holte er sich dann Tom Cruise und Nicole Kidman, die zwar verheiratet waren, aber angeblich einen Sextherapeuten brauchten, um verheiratet zu wirken.

McDowell: Nach dieser Regel hätte ich ein Mörder sein müssen, um den Alex spielen zu können. Die Wahrheit ist, dass Kubrick nicht das Geringste von Schauspielerei verstand. Er hatte keine Ahnung von dem, was da vorging. Vielmehr hatte er immer ein bisschen Angst vor ihnen, denn sie konnten alles ruinieren. Die perfekteste Rolle in einem Kubrick-Film ist die von HAL, dem Computer.

SZ: Der in "2001" darum bettelt, nicht abgeschaltet zu werden.

McDowell: Ein unglaublicher Film.

SZ: Kubricks Filme sind Maschinen. Er hatte eine rein mechanische Vorstellung von Schauspielern.

McDowell: Darum gab er einem auch so viel Freiheit. Ich komme wie gesagt aus dem Norden und bin deshalb auch nicht sehr diplomatisch. "Ich weiß, wie Lindsay Anderson das macht, wie willst Du das machen?" Und er: "Hm, keine Ahnung. Ich weiß nicht, was ich will, aber ich weiß, was ich nicht will." Einmal sagte ich zu ihm: "Schau mal, was hier steht: 'S. Kubrick, Regisseur'. Wie wär's mit ein bisschen Regie?" Dann lachte er. Da merkte ich, dass ich etwas ausprobieren konnte.

SZ: War Kubrick immer so?

McDowell: Nein, nur wenn er jemandem traute. Wahrscheinlich traute er außer sich keinem Menschen oder nur Christiane, seiner Frau.

SZ: Trotzdem hat er auf Sie gehört?

McDowell: Ja.

SZ: Aber warum?

McDowell: Weil ich in jeder einzelnen Einstellung zu sehen war; er brauchte mich. Es dauerte natürlich seine Zeit. In der ersten Einstellung in der Korova-Milchbar fährt die Kamera zurück. Nach ein paar Tagen, als er die Aufnahmen gesehen hatte, kam Kubrick und sagte: "Malcolm, ich muss mit dir reden. Ich habe eben die Eröffnungsszene gesehen." Und ich: "Wie ist es?" Er: "Mir gefällt es." Und dann: "Wenn Du das da machst mit dem Glas, da grüßt Du das Publikum, oder? Das geht doch nicht." Und ich: "Hast Du das jetzt erst gemerkt? Ich habe das gemacht, um dem Publikum zu zeigen, dass sie jetzt den ultimativen Trip erwarten dürfen." Darauf er: "Wow, hm, gut." Und ging weg. Das war seine Art, Begeisterung zu zeigen.

SZ: Wobei man ja denkt, dass bei Kubrick alles ins Kleinste ausgedacht wäre.

McDowell: Ist es aber nicht.

SZ: Und die Szene mit der Vergewaltigung, wenn Alex mit seinen Droogs bei der Frau mit den Katzen einfällt?

McDowell: Reine Improvisation.

SZ: Tatsächlich, die ganze Szene mit "Singin' in the Rain"?

McDowell: So etwas kann man in kein Drehbuch schreiben.

SZ: Aber das Lied passt doch nicht ins futuristische England von "Clockwork Orange", es ist ganz und gar amerikanisch.

McDowell: Nein, es gehört der ganzen Welt. Diese Worte, dieses Bild von Gene Kelly - das hat Hollywood der Welt als Inbegriff der Euphorie, des Hochgefühls geschenkt. Es war so: Wir saßen eine Woche lang herum und überlegten, wie wir die Szene drehen sollten. Alles lief schief: Der Stuntman fiel zwei Stufen runter und verletzte sich am Rücken. Die Katzenlady, mein Opfer, gab nach zwei Tagen auf. Wir hockten nur rum und hatten nach fünf Tagen noch immer nichts.

SZ: Eine Woche lang nichts gedreht?

McDowell: Nein, nichts, eine ganze Woche lang keinen Meter belichtet, nur überlegt, wie wir's machen könnten. Kein anderer Regisseur hätte sich diese Zeitverschwendung leisten können. Ich sitze dumm da, Stanley starrt ins Leere. Schließlich sagt er, tonlos fast: "Kannst du tanzen?" Ich sprang auf und gab zurück "Ob ich tanzen kann?" und machte das und das und das Er springt auf und macht die Schritte und singt: "I'm Sin-gin-in-the rain, just-sin-gin'-in the raaain..." Kubrick sofort: "Mein Gott, wir haben es. Komm mit." Er schleppt mich zu seinem Auto, fährt zurück zu seinem Haus, geht ans Telefon und kauft die Rechte an "Singin' in the Rain". Dann zurück ans Set, wo wir überlegen: Wie war das gleich wieder?

SZ: Was hat denn Gene Kelly dazu gesagt? Es müsste ihm doch eigentlich gefallen haben.

McDowell: Ein Jahr später, als der Film in den USA ins Kino kam, war ich in Los Angeles auf eine Party eingeladen. Der Gastgeber sagte: "Malcolm, ich würde Dich gern mit Gene Kelly bekanntmachen." Er nimmt mich mit zu Gene Kelly und sagt: "Gene, kennen Sie Malcolm McDowell?" Und was macht der? Gene Kelly machte nur das: Malcolm McDowell steht auf, dreht sich wortlos weg und geht. Ganz offensichtlich hasste er meine Art zu singen.

SZ: Dabei war es eine Hommage an Gene Kelly.

McDowell: Natürlich, aber er konnte das nicht begreifen. Gene Kelly war die Verkörperung von Euphorie, und ich der Schauspieler, der zu dieser euphorischen Begleitung eine Frau vergewaltigte, der mit aller Macht tat, wozu er geboren war. Wäre Alex Soldat im Krieg gewesen, dann hätte er wahrscheinlich einen Orden für Tapferkeit erhalten. Gene Kelly war also nicht besonders amüsiert. Schade, zwischen uns hat es nicht gefunkt. Er lacht.

SZ: Er hat Sie für Alex gehalten, was sonst?

McDowell: Alex ist ein Mörder und Vergewaltiger, aber er ist auch ein Mensch, ein Mensch mit großen Fähigkeiten. Wie kann ein solcher Mensch ein Monster werden? Hat der Staat das Recht, ihn zu domestizieren? Natürlich geht es in "Clockwork Orange" um die Freiheit des Willens. In dieser Figur zeigt sich die ganze Brillanz von Burgess. Alex ist schrecklich und widerlich, aber ein Schauspieler muss sich überlegen, wie er die Rolle anlegt, damit beides herauskommt: der Mörder und der Mensch.

SZ: Es soll Nachfolgetaten gegeben haben; junge Männer, die nach dem Verlassen des Kinos gewalttätig wurden.

McDowell: Als "Clockwork Orange" herauskam, wurde der Film als "faschistisch" beschimpft, grade dass sie Kubrick nicht mit Hitler verglichen und mich als seine Marionette entlarvten. Die New York Times warnte vor dem Film. Beim Anschauen hatte er den Kritikern noch gefallen, aber als sie ins Freie kamen, hatten sie das Gefühl, dass sie hereingelegt worden waren - was in gewisser Weise sogar stimmte.

SZ: Anthony Burgess schrieb dann ein Buch über seine Erlebnisse in New York, und wie er für die Gewalttätigkeit nach dem Film verantwortlich gemacht wird. Der Held heißt Enderby und sitzt die ganze Zeit auf dem Klo, wo er Sonette schreibt.

McDowell: Und ich sollte diesen Enderby spielen, aber wie sollte das gehen, die Hauptperson immer auf dem Klo! Burgess war - typisch englisch - absolut besessen von seiner ausbleibenden Darmtätigkeit. Ich fuhr mit ihm nach New York, um für "Clockwork Orange" zu werben. Er stieg in die Limousine, in der wir herumgefahren wurden, und sagte: "Ich kann einfach nicht, es kommt nichts. Geht's bei dir?" Immer nur seine Verstopfung, furchtbar! Ich hätte liebend gern wieder mit ihm zusammengearbeitet, aber immer nur auf dem Klo? Aber was für ein großer Geist!

SZ: Burgess hat später einen Roman über die römische Kaiserzeit geschrieben, "Das Reich der Verderbnis". Kaiser Tiberius ist so dekadent, dass er sich in einem Goldfischteich von den Stichlingen karessieren lässt.

McDowell: Diese Praxis ist mir neu.

SZ: Aber Sie haben doch 1979 Caligula gespielt, in dem Pornofilm von Bob Guccione.

McDowell: Ja, der Film verfolgt mich noch heute. Gore Vidal schrieb das Drehbuch, drum dachte ich mir nicht viel dabei. Caligula war der Nachfolger von Tiberius, nur ungleich grausamer. Aber ich glaube, der Film gibt ein recht getreues Abbild des dekadenten Rom. Am liebsten erinnere ich mich noch an John Gielgud, der unter einem großen Hut auf der Terrasse saß, das Kreuzworträtsel in der Times löste und immer wieder bemerkte: "Ich glaube, das wird ein ganz großer Film."

SZ: Es war eine große Zeit, es waren große Filme.

McDowell: Ich hatte Glück, weil ich als Anfänger mit den größten Regisseuren zusammenarbeiten durfte. Mit zwanzig hatte ich dieses Gesicht und alles und konnte deshalb nie romantische Rollen spielen. Ich hätte deshalb unglücklich sein können, aber ich bin wirklich froh darüber.

SZ: Die Amerikaner nennen das "natural", und der Regisseur sagt, sei einfach du selber.

McDowell: Gut, das ist in Ordnung, aber für mich nicht genug. Ich möchte Sachen ausprobieren. Schauspielerei ist wie Zwiebelschälen, es kommt immer was Neues raus. Man weiß nie vorher, was es ist, wie es ist, es bleibt immer ein Geheimnis. Ich will nicht, dass das Publikum alles erfährt. Es soll immer etwas übrigbleiben, irgendwo hinter verschlossenen Türen.

SZ: Das passt zu "Halloween", das Sie jetzt auch machen.

McDowell: Ich hatte eine tolle Karriere mit vielen Rollen und viel Quatsch dabei. Aber wenn ich einen Serienmörder in der Ukraine spiele, der kleine Kinder isst, dann ist das zwar eine furchtbare Sache, aber es kommt darauf an, das darzustellen und trotzdem bei Verstand zu bleiben. Der Zuschauer merkt, da ist was, ein Blinken im Auge, irgend etwas, das über das Monster hinausgeht. Wissen Sie, was mich von anderen unterscheidet?

SZ: Dieser intensive Blick?

McDowell: Nein, nein. Ich habe nichts dagegen, wenn man mich nicht mag. Das ist eine große Erleichterung. Damit kann ich auf die dunkle Seite gehen, ohne mir Sorgen zu machen, wo ich damit lande.

Malcolm McDowell, 64, wurde als Mick Travis in dem Internatsfilm "If..." (1969) und als Alex in "A Clockwork Orange" (1971) bekannt. Er arbeitet mit Regisseuren wie Lindsay Anderson, Stanley Kubrick, Paul Schrader, Blake Edwards und Robert Altman zusammen, war aber auch in "Star Trek" und "South Park" zu sehen und hat die Nachfolge von Donald Pleasence in "Halloween" angetreten. Irgendwann möchte er Thomas Manns Novelle "Mario und der Zauberer" verfilmen. Vom 6. Januar an tritt er in der ZDF-Serie "Krieg und Frieden" als Fürst Bolkonski auf. Malcolm McDowell ist mit der Malerin Kelley Kuhr verheiratet und hat aus dieser Ehe zwei kleine Kinder. Er lebt, obwohl mit Leib und Seele Brite, seit Jahrzehnten in Kalifornien.

© SZ vom 5./6.1.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: