Interview mit Leander Haußmann:"Wir haben kein Zeug zum Helden"

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Der Mensch sei doch immer nur auf sein persönliches Glück aus - und wenn er das nicht bekommt, wird er eben politisch. Das denkt und sagt der Theater- wie Film-Mann Leander Haußmann. Aber das ist nicht der Grund, warum er jetzt einen Film über die Nationale Volksarmee der DDR gedreht hat.

Jürgen Schmieder

Leander Haußmann gilt als humorvoller Mensch. Ernste Themen verarbeitet der Regissuer in Komödien. So in der "Sonnen-Allee". In seinem neuen Film "NVA" geht es um die Wehrpflicht im Osten. Haußmann weiß, wovon er spricht, wurde er doch selbst als Obermatrose Haußmann zum Wehrdienst in der DDR eingezogen. Mit Jürgen Schmieder spricht Haußmann über Komödie, das Soldatentum und menschliche Bedürfnisse.

Haußmann auf dem Weg zu Dreharbeiten auf einem ehemaligen Kasernen-Gelände in Bad Düben bei Leipzig (Foto: Foto: ddp)

SZ: Waren Sie ein guter Soldat, Herr Haußmann? Haußmann: Was glauben Sie denn? (Er lacht und deutet auf die Rückseite seines Romans. Dort ist sein Dienstausweis der NVA abgebildet.) Es soll klar werden, dass hier jemand erzählt, der weiß, wovon er spricht. Es ist aber ungerecht zu behaupten, dass die ganze NVA schuldig ist im Sinne der grauenhaften Ereignisse an der Grenze. Dann wäre ich auch schuldig. Aber einen wie mich hätten sie nicht an die Grenze geschickt.

SZ: Warum nicht? Weil Sie ein schlechter Soldat waren? Haußmann: Nein, ich war unsicherer Kantonist. Die wussten sowieso nicht, wo sie mich einordnen sollten. Meine merkwürdige Art, einen Humor zu entwickeln, wo es mir schon reicht, über mich selber zu lachen: Das hat mein Leben dort für mich erträglicher gemacht.

SZ: Lachen gegen die Grausamkeit? Haußmann: Ja, aber wissen Sie, was man ebenfalls nicht unterschätzen sollte als Straftat des Systems: Zeitdiebstahl! In dieser Form jungen Menschen 18 Monate ihres Lebens zu stehlen. Aus diesem Grund halte ich die Wehrpflicht auch heutzutage für absolut antiquiert und nutzlos. Da kann lachen helfen.

SZ: Und deshalb verwenden Sie auch heute noch die Komödie? Haußmann: Genau. Über Menschen in unangenehmen Siutationen. Und dazu gehört für mich die Armee innerhalb einer Diktatur. Diese Form der kollektiven Demütigung mit Uniform und Haare schneiden. Das kann eine Tragödie sein. Ich habe mich für die Komödie entschieden, weil sie Dinge unterhaltsamer deutlich macht. Das Lachen der Zuschauer ist für mich deutlichste Form der Interaktion zwischen Künstler und Zuschauer, nicht das Hinwegschwimmen in irgendeinem diffusen Tränenstrom. Schon damals hatte ich das Gefühl: Ich bin in einer Komödie.

SZ: Was haben Sie dagegen gemacht? Haußmann: Mein Part in der Komödie war des sich Bemühenden. Vielleicht vergleichbar mit Buster Keaton oder meinetwegen "Dick und Doof". Ich war ungeschickt im Lügen, vielleicht weil ich dabei immer grinsen musste. Ein Beispiel: In der Schauspielschule habe ich versucht, die Früchte zu ernten, die eine FDJ-Mitgliedschaft bieten kann.

SZ: Sie waren in der FDJ, ohne in der FDJ zu sein? Haußmann: Ja, um auch einmal an den schönen Dingen teilhaben zu können. Dann haben mich meine Freunde zum Sekretär gemacht, weil sie sagten: "Mensch, Du hast so ne große Fresse, Du kannst uns vertreten!" Aber von denen da oben wollte keinen mit mir reden. Dann habe ich nach zwei Wochen wieder aufgehört.

SZ: Deshalb jetzt der Film "NVA"?Haußmann: Nicht nur deshalb, sondern weil Film für mich eine Form von Metapher ist, auch für die Gegenwart. Im Fall von "NVA" ist es eine Metapher der deutschen Art, in der man sich auch heute noch als Unterdrückter oder Unterdrückender wiederfinden kann.

SZ: Was möchten Sie statt dessen darstellen? Haußmann: Dass wir keine Helden waren! Allerdings guckten wir auch nicht die ganze Zeit in die Mündung von Kalashnikovs. Aber dieses Klischee gibt es: Die im Osten sollen die Opfer, die im Westen die Samariter sein. Eins ist aber klar: Die wirklichen Opfer und Helfer sind diejenigen, die am wenigsten darüber sprechen. Sie waren im Westen, waren Sie denn ein Helfer?

SZ: Ich habe mit meinem Cousin einen Schokoladen-Schwarzhandel aufgebaut...Haußmann: Genau deshalb hielt sich das Bild, dass alle im Westen nette Leute sind, freundlich, hilfsbereit, freigebig. Und als Helfer hat man ein Selbstbewusstsein, das des Stärkeren. Und bei dem, dem geholfen wird, stellt sich eine Art Komplex ein.Trotzdem war es so, dass der Osten hoffnungsvoll auf die Leute im Westen geschaut hat.

SZ: Und als die Mauer fiel, wurde alles anders? Haußmann: Nicht nur für mich. Für mich war es ein Befreiungsschlag nach 30 Jahren in einer Diktatur. Und daran hat sich in meiner Einstellung bis heute nichts geändert. Bei vielen kam nach einer Woche der Katzenjammer, quasi mit der ersten Kehrmaschine: "Die sind ja gar nicht so nett!" Und auf der anderen Seite hieß es: "Die müssen uns doch auch mal Danke sagen!"

SZ: Das klingt alles sehr politisch. Würden Sie sagen, dass Sie politische Filme machen? Haußmann: Ich bin genauso politisch wie meine Figuren, eigentlich ja und eigentlich nicht. Ein gutes Beispiel ist Krüger: Er will in einer komplizierten Situation seine ganz persönliche Gier stillen: Frauen, tanzen, Spaß haben. Da man es ihm verwehren will, erzwingt er es sich. Damit wird er politisch, aber wider Willen. Er reagiert aus einem rein persönlichen Motiv heraus. Der Mensch an sich ist kein Held.

SZ: Warum nicht? Haußmann: Weil das seiner Natur widerspricht. Der Mensch ist immer auf ein ganz persönliches Glück aus. Und wenn er das nicht bekommt, wird er politisch. Und davon handeln alle meine Geschichten, die ich erzähle: Die Menschen, über die ich erzähle, wollen tanzen, wollen lieben, wollen reich werden, aber sie wollen nicht sterben. Sie wollen leben.

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