Internetvideo der Woche:Da lacht die Business Class

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David gegen Düsentrieb: Wer hört denn schon zu, wenn im Flugzeug die Benutzung der Schwimmwesten erklärt wird? Jetzt macht ein Steward die Durchsage zur Hauptattraktion.

Christian Kortmann

Selbstdarsteller mit Ambitionen hatten es nie besser als heute. Kann man etwas besonders gut oder benimmt man sich bewusst neben der Spur, bleibt dies nicht unbemerkt, selbst wenn es im hintersten Winkel der Welt passiert. Denn irgendjemand ist immer in der Nähe, der die Kamera hochreißt und die Darbietung später bei YouTube hochlädt. Die globale Bühne kann es sich nicht leisten, lokales Handeln zu ignorieren. So wird auch ein unspektakulärer Inlandsflug nach Oklahoma City, in den USA eine bessere Busreise, zum weltweit bestaunten Ereignis.

Skurrile Ansagen im Flugzeug
:Kapitän Crash und seine Crew

Meine Damen und Herren: Wir freuen uns, Ihnen heute ausgewählte Versprecher im Flieger und Passagierbeschimpfungen zu präsentieren.

Der Flugbegleiter David ragt aus seiner Berufsgruppe heraus, in deren Alltag die Individualität hinter Uniformen und Ritualen verschwindet. Im standardisierten Arbeitsablauf eines Stewards ist das Verlesen der Sicherheitshinweise und Shoppingregeln der Höhepunkt der wiederkehrenden Pflichten. Vortragenden wie Zuhörern sind diese Minuten immer ein bisschen peinlich - gemeinsam versucht man, die Peinlichkeit ironisch wegzulächeln, weil man um den Ernst der Sache weiß. Selbst gelegentliche Flugreisende hören ostentativ weg und blättern vertieft im Bordmagazin; allein schon, um die Kluft zu den Vielfliegern nicht zu groß werden zu lassen. Manchmal kommt die Ansage vom Band, dann wird sie vom Personal zumindest mit Schwimmwesten-Anzieh- und Aufpump-Scharaden unterstützt.

Auch David erträgt die normale Ansage nicht mehr. Müsse er den öden Text noch einmal aufsagen, würde er sofort einschlafen, sagt der Steward im Clip "Flight Attendant doing raps!!". Deshalb erfüllt er seine Pflicht in Form eines Sprechgesangs und verwandelt die fliegenden Blechröhre in einen Hip-Hop-Workshop mit Jugendfreizeit-Touch. Er fordert dabei sogar das Unsägliche, nämlich Publikumsbeteiligung. Und es funktioniert, weil in diesem Rahmen niemand mit einer solchen Aufforderung rechnet, sie also noch den Überraschungseffekt hat, den sie wohl früher mal besaß, als das Publikum noch nicht automatisch beim geringsten Anzeichen eines Rhythmus in stampfendes Mitklatschen verfiel.

"Are you guys with me?", fragt David und stellt die Atmosphäre eines gemeinschaftlichen Ritus her. Besonders die Passagiere in den vorderen Reihen, die zunächst skeptisch dreinblickende Business Class also, fordert er zum Mitmachen auf. Er dürfe doch wohl ein wenig Engagement erwarten. Und tatsächlich: Die Herren legen die Akten beiseite, stecken den Kuli in den Mund, klatschen mit und verfallen in Davids Beat. Sein Rap löst vorübergehend die Barrieren der Klassengesellschaft auf, die in den klar getrennten Sitzkategorien der Flugzeuge noch intakt ist.

Hinweise aufs Getränkeangebot, Kreditkartenzahlung, die Position der Rückenlehnen und schließlich noch gewitzte Eigenwerbung für seine Fluglinie verschmelzen in Davids Rap. Die Informationen verwandeln sich zwischen Tür und Angel in Unterhaltung, die nicht die volle Aufmerksamkeit der Zuhörer benötigt - manch einer ist ja noch mit dem Einräumen des Handgepäcks beschäftigt. Allen wird etwas vermittelt: Wer tatsächlich zum ersten Mal fliegt, erfährt das Wesentliche; wer das alles schon x-mal gehört hat, freut sich über die neue Form.

Die Performance findet zum idealen Zeitpunkt statt, um scheinbar zufällig gefilmt zu werden und im Netz zu landen. David verkündet selbst, dass die Passagiere wenig später alle elektronischen Geräte ausschalten müssen. Kurz vorher sind Lust und Drang, das Gadget noch einmal zu benutzen, besonders groß. Nachdem sie platzgenommen haben, nehmen fast alle Fluggäste ihr Mobiltelefon in die Hand, um entgangene Anrufe und SMS zu kontrollieren - keine Postfächer werden häufiger "gecheckt" und sind doch so oft leer. Kurz vor dem Start eines Flugzeugs gibt es wie kurz nach der Landung neuralgische Momente, in denen die Wirklichkeit dazu neigt, sich in Medienrealität zu verwandeln: Deshalb kann man bei YouTube verschiedene Auftritte von David aus verschiedenen Perspektiven sehen.

David erzeugt den Grad an Ekstase, der in dieser unekstatischen Standardsituation - ölsardinen-eng sitzend, vom Reisen verschwitzt, vielleicht unter Flugangst leidend - möglich ist. Für diesen Rahmen fällt auch der Applaus lang anhaltend aus, und das Hochreißen der Arme muss als Äquivalent einer Standing Ovation gewertet werden.

Mit seiner Show schraubt David die Ansprüche nach oben. Für regelmäßige Gäste auf seinen Flügen wird er stärkere Reize bieten müssen, um ihre Aufmerksamkeit zu fesseln. Sonst empfinden sie seine gerappte Durchsage bald ähnlich fade wie einst die gelangweilt genuschelten Hinweise und Schwimmwestenscharaden. Oder die untreuen Ölsardinen sagen gar: "Schade, dass wir nicht Davids Stewardess-Kollegin erwischt haben, deren Country-Song gefällt uns noch viel besser ..."

Die Kolumne "Das Leben der Anderen" erscheint jeden Donnerstag auf sueddeutsche.de. Bookmark: www.sueddeutsche.de/lebenderanderen

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