Internet-Kolumne:Netznachrichten

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Macht euch die Welt, wie sie euch gefällt: Die Virtual-Reality-Brille soll neue Wege für den Umgang der Menschen miteinander öffnen. Erst muss sie aber andere Probleme lösen - denn noch strapaziert die Brille die Netzhaut.

Von Michael Moorstedt

Die vergangene Woche war reich an bedeutungsschwangeren Bildern. Es gab etwa ein Foto, auf dem man Facebook-Gründer Mark Zuckerberg zu einer Bühne schreiten sah. Das anwesende Publikum bekam davon nichts mit, weil jeder einzelne eine Virtual-Reality-Brille vor den Augen hatte. In einem anderen Video sah man einen jungen Mann mit dem klobigen Brillengestell auf dem Kopf. Er versuchte, nicht existente Objekte mit seinen Händen zu greifen. Neben ihm saß seine Freundin, die resignierend in die Kamera zwinkerte.

Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, wohin die Entwicklung der Unterhaltungselektronik geht. Virtual Reality soll nicht nur zu noch detailgetreueren Videospielen und eindrucksvollen Rundumfilmen führen, so wie sie es teilweise heute schon gibt. Stattdessen soll sie zu einem sozialen Raum werden, in dem die Nutzer Zeit miteinander verbringen. In der Virtualität, wie sie sich Zuckerberg und seine Mitarbeiter erträumen, gibt es "keine Punkte, kein Ziel" und stattdessen vor allem neue Wege, wie Menschen miteinander umgehen.

Bis es so weit ist, gilt es nicht nur, noch zahlreiche technische Hürden zu überwinden - höhere Bildschirmauflösung oder geringere Übertragungslatenzen etwa -, sondern auch gar nicht mal so triviale ergonomische Probleme zu lösen. Vereinfacht gesagt, geht dem Betrachter mehr als zehn Minuten virtuelle Realität, egal, wo er sie nun verbracht hat, ziemlich auf die Augen. Wenn die Displays nicht mehr als nur Zentimeter von der Netzhaut entfernt sind, scheint sie fast taktil gereizt zu werden.

Die Idee von einer Anderswelt des Alltäglichen ist ungefähr 40 Jahre alt

Neu ist die Idee von einer Anderswelt des Alltäglichen nicht. Neal Stephenson beschrieb sie in seinem Roman "Snow Crash" mit dem sogenannten Metaverse in den frühen 90er-Jahren und bereits 1974 entwickelte der Moralphilosoph Robert Nozick in einem Gedankenspiel eine "Erlebnismaschine, die einem jedes gewünschte Erlebnis vermittelt. Super-Neuropsychologen können das Gehirn so reizen, dass man glaubt und das Gefühl hat, man schreibe einen großen Roman, schlösse eine Freundschaft oder läse ein interessantes Buch", schreibt Nozick.

Man könnte also jedes Leben führen, das man für erstrebenswert hielte. Würden sich die Menschen einstöpseln lassen? Nozick hielt das trotz allem für unwahrscheinlich. Unter anderem deshalb, weil man sich "durch den Anschluss an die Erlebnismaschine auf eine von Menschen geschaffene Wirklichkeit beschränkt, die nicht tiefer und bedeutungsvoller ist als das, was Menschen konstruieren können".

Auf solche Bedenken angesprochen, antworten die Virtual-Reality-Entwickler mit Sätzen, die man entweder gnadenlos naiv finden kann oder die man für ihren stoischen Optimismus beinahe schon wieder bewundern muss. Eskapismus ist im Silicon Valley keine Sünde. Es gebe "keinen Unterschied zwischen einem Leben, das in der virtuellen Realität gelebt wird, und einem, das in der echten Realität verbracht" würde, sagt etwa Philip Rosedale, der vor mehr als zehn Jahren bereits den Virtual-Reality-Vorläufer Second Life entwickelte.

John Carmack, ein legendärer Videospielentwickler, der mittlerweile bei der von Facebook übernommenen Firma Oculus arbeitet, spricht gar von einem "moralischen Imperativ", Virtual Reality den Massen zur Verfügung zu stellen. Jeder könne die Welt dann so erleben, wie sie heutzutage nur den Reichen und Privilegierten offenstehe. Am konsequentesten aber fasst es Palmer Luckey zusammen, jenes 23-jährige Wunderkind, das Oculus gegründet hat, und dem man den gegenwärtigen Virtual-Reality-Hype zu verdanken hat. Er sagt: "Wenn man Virtual Reality perfektioniert hat, lebt man in einer Welt, in der nichts anderes mehr perfektioniert werden muss."

© SZ vom 29.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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