Installationen:Das Zucken der Zwangsjacke

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Zwei Ausstellungen in Basel und Metz zeigen das Werk von Rebecca Horn, das lange von seinen eigenen Effekten verschattet war.

Von CATRIN LORCH, JOSEPH HANIMANN

Ein trocken metallisches Scheppern mit der Schere empfängt einen am Ausstellungseingang. Bei jedem Schnitt geht auf dem Bildschirm ein Zucken übers Gesicht der Frau. Die Videosequenz von der Performance, in der die Künstlerin sich Locke um Locke die Haare abschneidet, zeigt die Momente harter, ruckartiger Endgültigkeit im Werk Rebecca Horns. Der andere Pol ihres Werks ist die stets fließende Verwandlung der Themen, Motive, Materialien über nunmehr fünfzig Jahre hinweg. Zwei Ausstellungen stecken zur Zeit die Spannweite dieses Œuvres ab, die eine im Centre Pompidou in Metz, wo das Video zu sehen ist, die andere im Museum Tinguely in Basel. "Theater der Metamorphosen" heißt die eine, "Körperphantasien" die andere.

Rebecca Horn hat für ihr künstlerisches Engagement früh mit ihrer Gesundheit bezahlt. Als Kunststudentin an der Hamburger Hochschule für Bildende Künste atmete sie bei der Arbeit mit Polyester und Fiberglas giftige Dämpfe ein und musste sich 1967 einem achtmonatigen Sanatoriumsaufenthalt unterziehen. Dort lernte die Dreiundzwanzigjährige in ihrer Abgeschiedenheit die Welt der verminderten Körperkapazität inmitten von Bandagen, Apparaturen und Prothesen kennen. Mit der aus dieser Erfahrung entsprungenen Faszination für Körpererweiterung durch Korsetts, Masken, Federkleider, Fächer und sonstige Extensionen setzt die mehr thematisch als chronologisch angelegte Ausstellung in Metz ein.

Auch das "Einhorn", das die Künstlerin sich 1970 auf den Kopf montierte und das ihr zwei Jahre später eine Einladung von Harald Szeemann zur Documenta 5 nach Kassel einbrachte, kann als eine solche Körperextension angesehen werden. Horns Schaffensspektrum weitete sich in den Folgejahren aus. Eros und Thanatos, Weiblichkeit und Männlichkeit, Mythos und Privatobsession, tierische und menschliche Welt, Maschinen und organische Körper waren die Pole ihres Arbeitsfelds. Eine in Metz an die Wand montierte Zwangsjacke erschreckt durch jähe Zuckungen, eine sanft ins Wasser tauchende Schlange bezaubert im Werk "Heartshadows for Pessoa" (2005) mit den vom Wasser an Wände und Decke geworfenen Lichtringe.

Bei den großen Installationen, dem Klavierflügel "Concert for Anarchy", der dem Besucher von der Decke seine Eingeweide entgegenstreckt, oder dem Lichtspiegelraum "Bee's planetary map", kommt dieses Pulsieren zwischen Mythos und Anekdote, Ironie und historischem Drama zu seiner Entfaltung. Horns Kreationen sind beseelte Apparaturen, das Gegenteil jener banalen Roboterwesen, die unsere techno-mythologische Fantasiewelt bevölkern. Insofern besteht eine gewisse Nähe zu Jean Tinguelys Maschinen.

Am überzeugendsten sind die Werke, in denen Horn den Körper ausstattet wie mit Prothesen

Die stehen im Fokus der Ausstellung im Baseler Museum Tinguely, wo einen schon im Eingang die "Pfauenmaschine" aus dem Jahr 1981 empfängt. Sie besteht aus nicht mehr als einer schlanken, silbrig schimmernden Mechanik, die unentwegt die langen Federn zum Halbrund spreizt und wieder zusammenzieht. In diesem Haus gibt die Maschinenkunst des Schweizers Jean Tinguely der Auswahl den Takt vor - was den Pathos der Installationen etwas dämpft und sogar eine hoch an der Wand montierte Geige fast spielerisch und leicht wirken lässt.

Am überzeugendsten sind die Werke, die nicht einfach der Technik einen Federschmuck aufstecken, sondern die Arbeiten, in denen Horn den eigenen - oder fremde - Körper ausstattet wie mit Prothesen. Der Film "Weißer Körperfächer" (1972), in dem sie selbst flügelschlagend auftritt wie ein gewaltiger Schmetterling, dem es nie ganz gelingt, seine Schwingen zum Kreis auszubreiten, ist auch ein Bild vom Scheitern, von den Begrenzungen des Körpers, der Unmöglichkeit, sich eine andere Daseinsform zu konstruieren. Und so ist die sorgfältig und sparsam kuratierte Schau die erste Möglichkeit seit langem, sich auf die Qualitäten eines Œuvres zu konzentrieren, das lange von seinen eigenen Effekten verschattet schien.

Es ist aber vor allem die Ausstellung im Centre Pompidou, die das Werk Rebecca Horns klar in den künstlerischen Horizont ihres Jahrhunderts stellt - ohne es allerdings direkten Einflüssen zuzuordnen. So werden Horns "Federfinger" und "Fingerstäbe" in die Nähe von Alberto Giacomettis Handräderwerk "Main prise" aus dem Jahr 1932 gebracht, unmittelbare Zusammenhänge mit dem surrealistischen Erbe aber beispielsweise geleugnet.

Auch die Nähe mancher ihrer Installationen zu Antonin Artauds "Theater der Grausamkeit" findet dort ihre Grenze, wo die Künstlerin auf jede Ritualisierung verzichtet. Und wenn Horns "Preußische Brautmaschine" mit ihren über die Stöckelschuhe tropfenden Farbspritzern Duchamps "Junggesellenmaschine" im "Großen Glas" zitiert, fehlt ihr jedes spekulative Beiwerk über Zufall und vierte Dimension.

Diese Künstlerin hat zahlreiche Anregungen aufgegriffen, steht aber jeder Art von Epigonentum fern, raunt uns die Ausstellung von Metz in jedem Saal zu. Seltsam nur, dass trotz dieser behaupteten Eigenständigkeit und inneren Kohärenz die Exponate nach dem Prinzip der Wunderkammer wie Relikte vergangener Aktionen lose nebeneinander gereiht werden.

So steht die Apparatur "Die sanfte Gefangene", deren schneeweiße Federn im Film "Der Eintänzer" 1978 die junge Akteurin umhüllten, bewegungs- und scheinbar beziehungslos, schlaff und etwas schmuddelig im Raum. Wie ein Eingeständnis, dass auch die Kunstrequisiten die Performance nicht überleben.

Rebecca Horn. Théâtre des métamorphoses. Centre Pompidou, Metz. Bis 13. Januar. Katalog 39 Euro. R ebecca Horn. Körperphantasien. Museum Tinguely, Basel. Bis 22. September. Katalog 38 Euro.

© SZ vom 15.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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