Im Kino: "Wolverine":Der Doppelripper

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Im neuen "X-Men"-Film spürt Hugh Jackman den Anfängen von Wolverine nach: Der adamantiumgestählte Krallen-Mann ist ein Einzelkämpfer, die Freaks sind seine Kumpanen.

Fritz Göttler

Der Bürgerkrieg zwischen den Süd- und den Nordstaaten, der Erste und der Zweite Weltkrieg, Vietnam . . . amerikanische Geschichte, das führt dieser Film gleich zu Beginn in einer unglaublichen Montage vor, ist durchweg Krieg und Eroberung, und die amerikanische Seele ist von Grund auf martialisch, militant, zerstörerisch.

Auch er konnte Schiesser nicht retten: Doppelripp-Ripper Wolverine, a.k.a. Hugh Jackman. (Foto: Foto: dpa)

Die Brüder Logan und Victor (Hugh Jackman und Liev Schreiber) ziehen alle Kriege durch, und das immer in vorderster Reihe, beim Sturm der Schützengräben des Bürgerkriegs, bei der Invasion an der französischen Atlantikküste, bei den Massakern in den nordvietnamesischen Dörfern - überall dort, wo eine besonders große Verlustquote zu erwarten ist, die jungen Soldaten haufenweise geopfert werden müssen.

Die Brüder aber überleben, weil sie Mutanten sind, absolut regenerationsfähig, immer und überall, sogar nach einer standrechtlichen Erschießung. Dieser Überlebenswille ist elementar, eine amerikanische Urkraft. Die Brüder sind das animalische Amerika, aus Logan wird schließlich Wolverine, aus Victor Sabretooth, zwei der härtesten Mutanten unter den notorischen X-Men. Ihre Fähigkeit zur Regeneration spiegelt auch jene Neugeburt wider, die Amerika in den letzten Monaten erfahren hatte, der düstere Wolverine verkörpert den dunklen, oft verdrängten Untergrund der Lichtgestalt Obama.

Die Kriegsjahre und -jahrzehnte, das sind die wahren Ursprünge von Wolverine. Irgendwann hat er genug und steigt aus. Zieht sich in die Rockies zurück, auf die kanadische Seite. Arbeitet als Holzfäller und lebt in einer Hütte in den Bergen, mit einer Frau, die das Gesicht einer Ureinwohnerin hat, deren Augen eine Strahlkraft entwickeln, die ein Mysterium andeuten. Ein anarchisches Idyll - wenn Logan am Morgen zur Arbeit geht, hat er sein eigenes Gerät dabei, eine Motorsäge, er ist kein Lohnarbeiter. Er ist Unabhängiger geblieben.

Das Idyll hat keine Zukunft, weil die Vergangenheit in es hineinstößt. Sie wuchert wild in diversen Comics, sogar eine Kindheitsgeschichte steckt darin - in der Manier der gothic novel, mit zwei Vaterfiguren, Rivalität, Verführung und Mord -, die der Film in konzentrierter und konfuser Form rekapituliert. Über fünf Jahre hat man am Origins-Film gearbeitet, parallel zu den Folgen der grandiosen X-Men-Trilogie.

Bryan Singer hat sie wesentlich geprägt, die ersten beiden Filme inszeniert, bevor er sich dann Superman und Stauffenberg zuwandte. Die Geschichte um Wolverine hat der Autor David Benioff entwickelt, der in der letzten Dekade zum Spezialisten für Lost-Boys-Geschichten wurde - von ihm stammt das Script zu Spike Lees "25th Hour", über den Riss in Amerikas Psyche nach dem 11. September, das zu Wolfgang Petersens "Troja" und zu "Drachenläufer". Sein Roman "Stadt der Diebe" erzählt vom Überleben in der belagerten Stadt Leningrad, wo in der Stunde der existentiellen Not und Verzweiflung die Freiheit ins Unermessliche wächst.

Man darf von dem Film keine wirklich konsistente Erklärung erwarten, keine Psycho-Analyse eines pathologischen Einzelkämpfers mit adamantiumgestähltem Körper und scharfen Krallen, im Kampf gegen Rassismus und Aggressivität. Der seinen Körper bemerkenswert leicht regenerieren kann, aber hilflos ist gegen das Spiel der Erinnerungen. Der sich einspannen lässt in dem faschistoiden Projekt "Weapon X", das Mutanten zu Kampfautomaten machen soll. Er vergisst darüber fast die Solidarität mit seinen entarteten Kumpanen, den Freaks, die er - in diesem Film - an dem Ort findet, wo die Gesellschaft sie hinbugsieren will, auf dem Jahrmarkt oder in der Halbwelt von Vegas.

Erst am Ende leitet der Film über zu dem von Vaterfiguren dominierten, von der Sehnsucht nach Geborgenheit in der Gruppe geprägten X-Men-Terrain. Bis dahin schlägt sich Logan mit den Schergen des Colonel Stryker (hier: Danny Huston) herum - der im zweiten X-Men-Film zum Großintriganten wird - und erfährt jene grenzenlose Freiheit im Handeln, von der Amerikas Mythologien des Alltags inspiriert sind.

Deren Helden werden in Hollywood eben in den Fünfzigern lokalisiert, von den X-Men bis zur Star-Trek-Crew, deren Ursprungs-Film nächste Woche in unsere Kinos kommt - wie Wolverine sind auch sie Brüder im Geiste von James Dean & Steve McQueen, ihres Traums vom great escape. Der wildeste dieser Brüder freilich ist Victor - Liev Schreiber, der parallel zu "Wolverine" den kämpferischen Bruder von Daniel Craig in "Defiance - Unbeugsam" gibt. Sein Motto: Keep on running, and never look back.

X-MEN ORIGINS: WOLVERINE, USA/Neuseeland/Australien 2009 - Regie: Gavin Hood. Buch: David Benioff, Skip Woods. Kamera: Donald M. McAlpine. Mit: Hugh Jackman, Ryan Reynolds, Liev Schreiber, Dominic Monaghan, Lynn Collins, Danny Huston. Twentieth Century Fox, 105 Minuten.

© SZ vom 30.4.2009/korc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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