Ein Vampirfilm ohne Blutrausch, von einer Autorin, die sich auf Charlotte Brontë beruft - kann das denn ein Blockbuster werden? Es lagen große Hoffnungen auf dem Eröffnungswochenende von "Twilight", der Verfilmung des ersten Bands von Stephenie Meyers Vampir-Mädchenroman-Serie, die Catherine Hardwicke gedreht hat - und der Film hat sie alle übertroffen. Er hat das viertbeste Start-Einspielergebnis des US-Kinojahres gebracht, den höchsten Betrag, mit dem je ein Film gestartet ist, den eine Frau gemacht hat.
Drei Viertel der Besucher waren Frauen, und so hatten sich Catherine Hardwicke und ihre Produzenten das ja auch gedacht. "Teeniemädchen regieren die Welt", kommentiert der Präsident der Boxoffice-Analysefirma Media By Numbers, Paul Dergarabedian, die neuen Zahlen. "Es wurden immer die Jungs umworben, und endlich hat jemand gemerkt, dass auch Mädchen Filme lieben, und wenn man etwas macht, das mit ihnen zu tun hat, dominiert man die Kinokassen."
Frauen entscheiden
Man geht in Hollywood schon lange davon aus, dass Frauen oft entscheiden, was der Partner oder die ganze Familie anschauen - aber weil die ganz großen Einspielergebnisse fast ausschließlich von Actionfilmen gemacht wurden, hat das inhaltlich meist nur zur Folge gehabt, dass ein paar frauenfeindliche Gags aus dem einen oder anderen Drehbuch gestrichen wurden.
Das Blockbuster-Terrain gehörte fast ausschließlich Autorennen, Agentenjagden, Superhelden. Von Frauen bevorzugte Filme - romantische Komödien, ernsthafte Problemfilme, Melodramen - unterliegen an der Kinokasse, seit es Kino gibt.
Die maßgeblichen Entwicklungen haben tatsächlich erst in den letzten Jahren stattgefunden - inzwischen kommen erfolgreiche amerikanische Fernsehserien fast nicht mehr ohne weibliche Identifikationsfiguren aus, auch im Kino fallen die letzten Bastionen.
Bei den Event Movies beispielsweise, den richtig großen Kassenknüllern, die in kurzer Zeit viel Geld einspielen - wie 2008 "High School Musical 3", "Sex and the City" und der "Hannah Montana"-Film. Es habe, so kürzlich Variety, noch kein Kinojahr gegeben, in dem drei explizit für Mädchen gemachte Filme am Eröffnungswochenende auf Platz eins der amerikanischen Kinocharts gelandet sind - nun, mit "Twilight" sind es vier.
Eine neue Entwicklung
Der "Mamma Mia!"-Siegeszug im Kino war langsam, aber eindrucksvoll. Die DVD hat in England inzwischen die Verkaufsrekorde, die seinerzeit "Titanic" aufgestellt hat, übertroffen. Das ist, man glaubt es kaum, tatsächlich eine neue Entwicklung.
In Hollywood ging man immer davon aus, dass man mindestens ein halbes Dutzend berühmter Frauen in einem Film braucht, damit sie ihn tragen - als vor zwölf Jahren Robert De Niro "Marvin's Room" produzierte, musste er noch selbst eine Gastrolle übernehmen, weil man seinen beiden Hauptdarstellerinnen nicht genug Zugkraft zutraute: Diane Keaton und Meryl Streep.
Es ist allerdings schwer zu klären, in welche Richtung Produzenten denken müssten für mehr weibliches Publikum - außer dass es möglichst gewaltarm werden sollte. Vergleicht man ansonsten die fröhliche und erfrischend konventionsabweisende Alt-Hippie-Komödie "Mamma Mia!" mit Catherine Hardwickes halbwüchsigen Vampir-Spießern - verwerflich sind im "Twilight"-Universum Sex und alles, was nicht zum kalkweißen Bürgertum gehört -, muss man ernüchtert feststellen: Weniger können zwei Filme kaum gemein haben als diese beiden.
Was am Ende vielleicht weniger mit einem weiblichen Publikum an sich zu tun hat als mit den komplett unterschiedlichen Moralvorstellungen europäischer Frauen und amerikanischer Mädchen - alle weiblich zwar, aber nicht wirklich Teil derselben Welt.