Im Kino: "Fahrenheit 9/11":Der einsamste Bush-Krieger

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Was nicht passt, wird passend gemacht: Michael Moore dokumentiert auch mit seinem neuen Film, wie man sich sein Weltbild bis hin zum "Schleimbeutel"-Vorwurf des Präsidenten zurechtkämmt.

FRITZ GÖTTLER

In Boston tummelt er sich diese Woche, auf dem Parteitag der Demokraten, der am Montag eröffnet wurde. Eine eher ungewohnte Rolle spielt er da, als geladener, durchaus gern gesehener Gast, willkommen und akkreditiert. Eine Rolle, die nicht recht zu seiner Erscheinung passt, zu dem fettleibigen Watschelschritt und dem Rotkäppchenblick unter der Kappe - der gern ungeniert und frech sein Recht aufs Hiersein, aufs Dazugehören signalisiert. Now watch this drive . . .

(Foto: Foto: Verleih)

Er wolle mit seinem neuen Film seinen Teil beitragen, um den amtierenden Präsidenten aus dem Weißen Haus zu treiben, hat Michael Moore immer wieder vor dem Start von ¸¸Fahrenheit 9/11" erklärt, und er beginnt den Film mit dem Florida-Debakel bei der letzten Bush-Wahl im Jahr 2004.

Mit sanfter Suspense-Dramaturgie bewegt man sich dann zielstrebig auf den Sommer 2001 zu, den Tag, der im Titel angekündigt ist. Kurz die Katastrophe von New York, danach die Flugzeuge, die sich auf den Flugplätzen drängeln, Passagiere, die in den Transiträumen warten müssen.

Alle Flüge gecancelt, ein Land sieht sich zum Stillstand verurteilt. Nur ein paar Ausgewählte dürfen dank eines dubiosen Deals der Bush-Regierung losziehen, in die Heimat Saudi-Arabien, Mitglieder der Familie bin Laden. Stillstand versus Bewegung, so skizziert Michael Moore den Zustand seines Landes, dieser Gegensatz löst seine Empörung aus.

Was macht die Mächtigen und die Reichen, die von Bush gehätschelte Elite so besonders, dass sie weiter mobil bleiben darf, während das Land in Stagnation und Resignation verfällt, der Arbeitslosigkeit, der Verarmung, der Mutlosigkeit zum Opfer fällt?

Gegen diese Resignation macht Michael Moore von unten mobil, und wie er sich vordrängelt und überall reindrückt, wie er Terrain okkupiert, das ist schöne alte Kinotradition - investigativer Slapstick, mit dem Moore sich als ein Urenkel des wilden Fatty Arbuckle präsentiert.

In einem Kino, das im einen Augenblick aggressiv, im nächsten ganz sensibel sein kann. Dann zeigt es uns zum Beispiel, in einem TV-Ausschnitt, einen Jungen, der in einem Klassenzimmer hockt, ein Buch - über eine kleine Geiß - in der Hand, und still den andern lauscht. Lesen macht ein Land groß, sagt ein Plakat hinter ihm, in seinem Blick mischt sich Andacht mit Konzentration.

Und Fassungslosigkeit. Der Junge ist 55 Jahre alt und Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, George W. Bush am Morgen des 11. September 2001. Eben hat er von einem Mitarbeiter vom Einschlag des Flugzeugs in den zweiten Tower des World Trade Center in New York gehört. Blackout, Stillstand, sieben Minuten lang. Die Geschichte hält den Atem an.

Michael Moore hat Bush und seine Clique zu Feinden des amerikanischen Volks erklärt. Sein Film scheint seit vielen Wochen vom Glück begünstigt. Die Goldene Palme in Cannes, der angenehme Verleih-Deal mit den Weinstein-Brüdern - nach den Querelen mit Disney-Chef Michael Eisner, der die Überparteilichkeit seines Studios bewahren wollte -, die erregten Reaktionen aus dem Lager der Republikaner (Bush sen.: ¸¸Schleimbeutel!"), der Erfolg an den Kinokassen - am Wochenende überstieg der Film die 100-Millionen-Einspiel-Grenze. Bis zur Wahl im November will Moore den Film in den Kinos halten, im Herbst eine DVD- und Video-Edition nachschicken.

Der Film ist Propaganda, erklären viele Kritiker - und das ist verächtlich gemeint oder anerkennend. Einige nehmen endlich Michael Moore als Filmemacher wahr - von Cannes-Jurychef Tarantino bis zu A. O. Scott, dem Kritiker der New York Times. Man darf die beiden Ebenen nicht trennen - die Ästhetik nicht von der Politik, das Dokument nicht von der Fiktion. Moore manipuliert seine Zuschauer, was die Informationen angeht und die Emotionen, aber Manipulation gehört zum Wesen des Kinos von Anfang an, des großen melodramatischen in Hollywood allemal, von John Ford oder King Vidor. Es geht nicht um die Wahrhaftigkeit der Fakten, sondern um die der Emotionen. So wird die Kasperlfigur George Bush erstaunlich milde abgewatscht - in einigen Szenen wirkt er gar so armselig wie der gestiefelte Kater in ¸¸Shrek 2". Auf einem Golfplatz ermahnt er die Großen der Welt, nicht nachzulassen im Kampf gegen die terroristischen Mörder, dann wendet er sich seinem nächsten Schlag zu: Watch this drive . . . Der eigentliche Hass Michael Moores gilt den Instanzen der Gesellschaft, in Wirtschaft und Politik. Die Ölgeschäfte im Irak, der Kongress, der über den Patriot Act und die Beschränkung bürgerlicher Rechte berät, obwohl das 300-seitige Ding gerade erst aus der Druckerei kommt.

Stagnation und verbrecherische Dynamik - die Dialektik geht immer weiter, und Moores Filme ergänzen sich zur Chronik des Niedergangs. Immer wieder zieht es ihn nach Flint, Michigan, zurück, seine Heimatstadt, der er beim Sterben zuschaut, seitdem General Motors ihr Werk dort stilllegten. Es zerreißt ihm das Herz, wenn er durch die Straßen fährt und die verfallenden, verlassenen Häuser sieht. Hier trifft er Lila Lipscomb, die jeden Morgen ihre Flagge vor ihrem Haus hisst: ¸¸Ich bin eine extrem stolze Amerikanerin . . . Wenn ich meine Flagge hisse, darf sie nicht den Boden berühren, weil ich weiß, wie viele Leben geopfert wurden und wie viel Blut vergossen wurde, damit ich hier sein und meine Flagge haben kann." Das Rückgrat von Amerika, das sind Laura und Millionen anderer - auch republikanischer - Frauen und Männer. Im Irak hat sie ihren Sohn verloren. Sie bricht nach Washington auf, zu denen, die Politik machen, und Michael Moore bleibt dicht dran an ihrem Schmerz, ihrer Verzweiflung. ¸¸Für ein Volk", schreibt der Philosoph Jedediah Purdy, ¸¸kann es sich, genau wie für einen Menschen, verheerend auswirken, wenn es ein Zuwenig oder ein Zuviel an Erinnerung gibt." Kann, muss eine Kamera Scham kennen? Vielleicht sollten auch die Demokraten in Boston sich vorsehen, solange Michael Moore sich bei ihnen herumtreibt.

FAHRENHEIT 9/11, USA 2004 - Regie, Buch: Michael Moore. Kamera: Mike Desjarlais, Kirsten Johnson, William Rexer. Musik: Jeff Gibbs, Bob Golden. Schnitt: Kurt Engfehr, T. Woody Richman, Chris Seward. Mit: Michael Moore, George W. Bush, John Tanner. Falcom, 123 Min.

Quelle: Süddeutsche Zeitung Nr.172, Mittwoch, den 28. Juli 2004

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