Im Kino: "Die Reise des jungen Che":Mei, is des Che!

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Wir wissen längst: Jede Revolution endet auf dem Sofa. Doch, was Walter Salles an Weichzeichner bemüht, um Che Guevara mit Gloriole aufzuhübschen, schrammt hart an der Kante des Signifikanten.

FRITZ GÖTTLER

Der (Original-)Titel führt natürlich in die Irre, er kündigt mehr an, als der Film "The Motorcycle Diaries" präsentieren kann.

Und dazu dann noch eine Liebe: Eine schöne Mesalliance, im traditionellen Comedy-Format - Happy-End theoretisch möglich, aber unwahrscheinlich. (Foto: N/A)

Denn die mächtige gleichwohl schon ziemlich klapprige Maschine, die von den beiden jungen Fahrern zärtlich La Poderosa (die Mächtige) getaufte Norton 500 gibt noch vor der Hälfte des Films ihren Geist auf, da ist es dann vorbei mit der märchenhaften Motorradekstase. Von da an sind die zwei zu Fuß unterwegs und als mittellose Tramper/Schnorrer auf die Großzügigkeit und Gunst der Bevölkerung angewiesen.

Es war einmal, zu Beginn des Jahres 1952 ... Zwei bürgerliche Kids aus Buenos Aires wollen die große Tour machen, die sie aus der Jugend ins Erwachsenenalter führen soll, wollen per Motorrad den lateinamerikanischen Kontinent erkunden, Länder und Leute, die ihnen viel fremder sind als die nordamerikanische und europäische Kultur.

Ein klassisches Thema, auch dem Kino durchaus vertraut, das die Welt und das Ich, den Einzelnen und die Gemeinschaft ins Wechselspiel bringt. Und festgefügte Denk- und Beziehungssysteme produktiv auseinander nimmt. Die Freundschaft, schrieb Derrida in "Politik der Freundschaft", bringt den Begriff des Territoriums aus den Fugen.

"Sie gibt uns zu denken auf, dass ein Freund, da mehr als einen, niemals einen eigenen Ort hat. Er sollte nicht darauf vertrauen, in der ökonomischen Intimität irgendeines ,Zuhauses' Ruhe oder Nahrung zu finden ... Die Freundschaft ist unheimlich."

Ziemlich heimelig geht es los in diesem Film.

Ernesto Guevara de la Serna, 23, studiert Medizin, er jobbt wo immer er eine Gelegenheit findet, auf Öltankern oder in Krankenhäusern, ist sich seiner Wirkung auf Frauen bewusst und liest was Rang und Namen hat auf dem Feld der internationalen Literatur.

Sein Freund Alberto Granada, 29, ist ein Biochemiker, erfahrener und draufgängerischer, aber mit genauem Blick für das, was der junge Gefährte braucht. Two for the road, ein Gespann für ein klassisches Roadmovie, Modell Lehr- und Wanderjahre.

Eine Liebe kommt dazu, Ernesto und Chichina Ferreira (Mía Maestro), er der ungehobelte Proll, sie eine Tochter aus der Oligarchen-Bourgeoisie von Córdoba. Eine schöne Mesalliance, im traditionellen Comedy-Format - Happy-End theoretisch möglich, aber unwahrscheinlich. Chichina gibt Ernesto fünfzehn harte amerikanische Dollars mit - er soll ihr dafür in Amerika einen Badeanzug kaufen.

Im Film gibt er das Geld dann einem ausgepowerten, verfolgten Kommunistenpaar - ein pittoreskes, sentimentales, prärevolutionäres Detail, ein Verrat an der Freundin, aber auch an der historischen Genauigkeit.

Vor dem Abschied von seinem Mädchen kam der vom Vater - der einst den gleichen Traum hatte wie nun Ernesto, aber ihn nie verwirklichen konnte. Das tut nun der Sohn, eine Mission, die schwer wiegt - und kaum sind die beiden Jungs mit ihrer schwerbeladenen Maschine angefahren, können sie nur mit Mühe die erste Kollision vermeiden, als ein mächtiger Bus sich um die Straßenecke schiebt.

Walter Salles bekennt sich zum Erbe des Neorealismus, der die Kameras aus den Studios holte und näher an die Gesichter auf den Straßen brachte, und der übers brasilianische Cinema Novo seine Generation beeinflusst.

Der Film folgt den Büchern, die Che und Alberto später über diese gemeinsame Reise und ihre Erfahrungen schrieben, aber er ist auch, sagt Walter Salles, die Konfrontation einer neuen Generation von Filmemachern mit dem eigenen Kontinent, von dem sie kaum etwas wissen. Ein Kollektivwerk, geschaffen von jungen Argentiniern, Chilenen, Peruanern, Mexikanern, Brasilianern ... Wir sind ein Volk, erklärt der junge Che am Ende auf einem kleinen Fest zur Feier seines 24.Geburtstags, in einer Mischung aus Trunkenheit und Luzidität - und die vielen Grenzen und verschiedenen Staatsidentitäten sind alle Produkte des Kolonialismus.

Den offenen Kurs, dem der Erfahrungstrip folgt, blockt Salles mit Vorstellungen ab, die er von Borges übernommen hat: Jeder Mensch, hat der geschrieben, ist in jedem einzelnen Moment seines Lebens alles, was er bis dahin bereits war und alles, was er noch sein wird. Der junge Ernesto ist bereits der spätere Che, das verleiht den Begegnungen mit der sozialen Wirklichkeit in Lateinamerika eine Bedeutungshaftigkeit, die den Film bald um seine schöne Gelassenheit bringt.

Alles ist signifikant, von der Zukunft her bestimmt: ein kurzer Wortwechsel mit einem deutschen Immigranten, Seitensprünge mit Provinzmädchen und -ehefrauen, Begegnungen mit ausgebeuteten Minenarbeitern und Andenbauern, die Leprakolonie schließlich am Ufer des Amazonas, in der der asthmakranke Arzt Ernesto sein Potenzial als Erlöser gewinnt, wo er an seinem Geburtstag schwimmend den Strom durchquert und mit den Kranken Vereinigung feiert.

Stets taucht, hat Derrida beständig gewarnt, beim Phänomen der Freundschaft die Verrücktheit auf, und es ist, als hätte Walter Salles diese Vorstellung ziemlich Furcht bereitet.

Die Freiheit, die er beim Dreh proklamierte - 16mm-Kamera, Filmen in chronologischer Folge, Verarbeitung von Erfahrungen on the road -, hat er der Ikone der Weltrevolution geopfert.

Der Film hat auf dem Sundance Festival großen Erfolg gehabt - Robert Redford hat koproduziert - und hat durch die Präsenz des alten Alberto Granada in Cannes Eindruck gemacht.

Aber die Aura von Che schließt den Film hermetisch ab, stumpft seine Bilder ab, setzt diffuse Solidarität mit den Unterdrückten, Ausgebeuteten, Kranken an die Stelle risikobereiter Freundschaft.

Die groteske Verrücktheit der Jugend vermisst man, wie sie zum Beispiel John Ford und Henry Fonda hinkriegten in "Young Mr. Lincoln". Das Unheimliche der Freundschaft, das ist bei Gael García Bernal, der den Ernesto spielt, sehr viel stärker zu spüren in seiner Rolle in Almodóvars "La Mala Educácion".

So verwirrend jugendlich, so fremdartig, wie er durch diesen Film schreitet, wirkt er bei Salles nur in wenigen Momenten. Bei der Begegnung mit einer wirklich anderen Kultur etwa, den alten Inkabauten auf dem Machu Picchu. Da kennt er sich selber nicht wieder, ist er sich zum Alien geworden.

DIARIOS DE MOTOCICLETA/THE MOTORCYCLE DIARIES, USA, D, GB 2004 - Regie: Walter Salles. Buch: José Rivera. Nach "The Motorcycle Diaries" von Ernesto Che Guevara und "With Che Through Latin America" von Alberto Granado. Kamera: Eric Gautier. Mit: Gael García Bernal, Rodrigo de la Serna, Mía Maestro, Mercedes Morán. Constantin, 126 Minuten.

© SZ v. 27.10.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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