Im Kino: Claude Chabrols "Geheime Staatsaffären":Der Traum der Beute von der Jagd

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Isabelle Huppert begibt sich in Claude Chabrols Film "Geheime Staatsaffären" über den Elf-Aquitaine-Skandal auch auf die Suche nach den Missoni-Kleidern.

Susan Vahabzadeh

Es muss hart gewesen sein für Eva Joly, als sie sich in Oslo Claude Chabrols "Geheime Staatsaffären" angesehen hat. Es geht um eine Untersuchungsrichterin, die geschaffen wurde als ihr Ebenbild für diesen Film, und in einem Beitrag in Le Monde hat sie beklagt, er erzähle gar nicht wirklich von ihrem größten Fall, habe ihn nur klein gemacht. Wahrscheinlich hat sie sich angegriffen gefühlt.

Isabelle Huppert in dem neuen Chabrol. (Foto: Foto: Verleih)

Irgendwie hat sie natürlich Recht, sonst wäre Claude Chabrol nicht mehr er selbst - und er ist es ganz und gar mit diesem Film. Er interessiert sich für die Mechanik in den Köpfen, die Psychologie, den Antrieb - es geht nicht um eine wahrheitsgetreue Wiedergabe der Ermittlungen in der Elf-Aquitaine-Affäre; das sollen andere übernehmen. Chabrol tut das, was er am besten kann, er macht sich einen Reim darauf, was jemanden antreibt, sich einen solchen Job anzutun. Dass es in diesem Fall eine Frau ist, das spielt tatsächlich eine Rolle. Die Opfer, die sie bringt für diesen Job, sind viel größer als bei einem Mann. Sie bringt sie nicht nur, sie wird auch noch dafür bestraft. Einer der Gründe, warum Chabrol diesen Film machen wollte, war wahrscheinlich, dass er ganz versessen drauf war, Isabelle Huppert, seit Jahren seine Lieblingshauptdarstellerin, in dieser Rolle zu sehen.

Piranha wird sie genannt. Die Ermittlungsrichterin Jeanne Charmant Killman ist im Begriff, den größten Fall ihrer Karriere vor Gericht zu bringen, eine Riesenkorruptionsaffäre, in die hochrangige Politiker verwickelt sind. Sie hat gerade eine der Schlüsselfiguren, den Vorstandsvorsitzenden Humeau (François Berleand) festnehmen lassen, der nun in ihrem Büro auf einem Stühlchen schwitzen und sich kratzen muss, weil er im Knast keine Salben kriegt für seine Hautkrankheit. Zuhause verliert ihr Mann fast die Nerven angesichts der neuen Entwicklungen - er will sie nicht mit irgendwelchen Fällen teilen und kann nicht ertragen, dass die Arbeit sie verändert hat. Man hat sie vorher schon einmal gesehen beim Lunch mit einem ihrer Informanten, Sibaud (Patrick Bruel), der sie charmiert - diese nur scheinbar freundschaftliche Beziehung zeigt ganz schön, warum sich die Frau alle Weichheit hat abgewöhnen müssen: Mal abgesehen davon, dass er ihr nur deswegen etwas erzählen kann, weil er selber schuldig ist, wäre sie nicht sehr klug, würde sie auch nur eine Sekunde lang vergessen, dass er Verrat begeht. Er wird dasselbe mit ihr tun, bei der ersten Gelegenheit. Jeanne muss selbst eine Spur verschlagen sein, sonst kann sie hier nicht gewinnen. Sie hat sich eingelassen auf eine Welt, in der die Dinge nie schlecht sind, nur weil irgendeine Form von Moral oder Fairness verletzt wird, sondern ausschließlich, wenn sie nichts nutzen. Anything goes.

Chabrol hat "Geheime Staatsaffären" als Porträt angelegt - was wahrscheinlich tatsächlich der passabelste Weg ist, kinotauglich vom Elf-Aquitaine-Skandal zu erzählen, ohne sich in halsbrecherische Erklärungsversuche stürzen zu müssen, die den Film vermutlich langatmig machen würden und die am Ende doch keiner verstünde.

Aber alles hat einen doppelten Boden in dieser Geschichte. Eine Abstrafung der Ackermänner dieser Welt wäre Chabrol vermutlich zu billig - er hat eine sehr subtile Art gefunden, Unruhe zu stiften, die Aufteilung von Gut und Böse durcheinander zu bringen in diesem Spiel, in dem die Rollen zu Beginn klar verteilt scheinen. Jeanne, die Aufrechte, gehört nicht zu den Verlieren einer Gesellschaft, in der jeder abzockt, der die Gelegenheit bekommt. Beförderung jagt Beförderung, sie lebt recht bequem zwischen ihren Antiquitäten. Ihre Kleider erzählen eine eigene Geschichte, die zarten Seidenblüschen und sündhaft teuren Anzüge, die roten Handschuhe und die passende Tasche, die sie zu ihrem eleganten Markenzeichen gemacht hat. Einmal recherchiert sie mitten in der Nacht den Missoni-Kleidern hinterher, die einer ihrer Angeklagten seiner Freundin gekauft hat, ganz fachfräuisch hat sie auf einem Foto messerscharf erkannt, was das ist, was die Geliebte trägt und was es kostet ... Die Jägerin und die Beute träumen den selben großbürgerlichen Traum. Am Ende, wenn alles vorbei ist, gibt es einen Moment der Nähe zu Humeau, und Jeanne steht nicht vielen Menschen nahe. Du hast die Macht, sagt ihr Neffe einmal, die man dir zugesteht. Jeanne steht gar nicht außen - sie steckt mittendrin.

"L'ivresse de pouvoir" heißt der Film im Original, und trunken von der Macht ist auch Jeanne, sonst würde sie nicht ertragen, wie der Druck immer größer wird - der Piranha hat sich mit viel größeren Fischen angelegt, sie wird bedroht, kann sich nur noch mit Leibwächtern bewegen, aber wirklich erlauben kann sie sich die Augenblicke der Angst nur, wenn sie allein ist und keiner es sieht ... Angst hinter einer Maske aus Marmor, hinter einer Fassade der Härte versteckte Sensibilität, das spielt Huppert besser als irgendwer sonst.

Chabrol hat nicht den Stab gebrochen über diese Frau, Heilige sind ihm wahrscheinlich zuwider, in seinen Filmen zumindest entpuppen sie sich im allgemeinen sowieso als Scheinheilige. Jeanne hat sich nur eingelassen auf ein zynisches Spiel, in dem es keine Erlösung gibt.

GEHEIME STAATSAFFÄREN/L'IVRESSE DE POUVOIR, F 2006 - Regie: Claude Chabrol. Buch: Odile Barski, Claude Chabrol. Kamera: Eduardo Sierra. Schnitt: Monique Fardoulis. Musik: Matthieu Chabrol. Mit: Isabelle Huppert, François Berleand, Patrick Bruel, Robin Renucci, Maryline Canto, Thomas Chabrol. Concorde, 110 Minuten.

© SZ v. 19.07.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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