Im Kino: "Beim ersten Mal":Was Frauen nicht verstehen

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Die volle hirnerweichende Realität des Mannes: Regisseur Judd Apatow bringt sie in "Beim ersten Mal" auf die Leinwand - und wird dafür von den Frauen geliebt.

Tobias Kniebe

Im Inneren des Mannes wohnt ein Traum. Er ist denkbar einfach und unerfüllbar zugleich: In jedem Moment das zu tun und zu sagen, was er tatsächlich denkt und fühlt - und trotzdem von einer Frau geliebt zu werden. Im Leben gibt es diesen Zustand der Gnade nicht. In Film und Fernsehen ist er das Privileg des Idioten, der sich aber trotzdem nicht alles erlauben kann.

Homer Simpson zum Beispiel darf in Faulheit und Indifferenz schwelgen, seiner Lust auf Fernsehen und Fastfood freien Lauf lassen. Schon damit ist er zum Held für Millionen geworden. Aber er ist eine Comicfigur, die sexuelle Komponente bleibt ausgespart, und anders wäre männliche Idiotie auch wirklich nicht zu ertragen.

Oder doch? Geht es nach dem Regisseur Judd Apatow ("Jungfrau, 40, männlich, sucht"), dann muss dieser Traum zumindest im Kino erfüllbar sein: Die volle hirnerweichende Realität des Mannes auf die Leinwand zu bringen - und dennoch von den Frauen im Publikum geliebt zu werden.

Da ist zum Beispiel Ben Stone (Seth Rogan), der Held seines Films "Beim ersten Mal - Knocked Up". Er lebt mit vier unglaublich stinkigen Freunden in einem unglaublich stinkigen Haus in Los Angeles, er nuckelt den ganzen Tag an seinem Haschisch-Bong, und er tut nichts anderes als Filme mit Nacktszenen anzuschauen und genau zu notieren, an welchen Stellen Busen, Hintern und Schambehaarung zu sehen sind.

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Mit diesen Informationen wollen er und seine Freunde eines Tages eine Website programmieren, die "Flesh of the Stars" heißen soll. "Ich lebe meinen Traum", sagt Ben zu seinem Vater, und die Frauen im Publikum lachen herzhaft über diesen Witz - ohne zu ahnen, dass Bens Existenz dem Ideal des Mannes, ein unverfälschtes Leben zu führen, tatsächlich verdammt nahekommt.

Bis auf den fehlenden Sex natürlich. Sex beherrscht zwar das Denken und Sprechen dieser Jungs total - tatsächlich aber findet er kaum statt, und die einzige Frau, die sich in diese Wohngemeinschaft traut, ist nur auf den zweiten Blick als weibliches Wesen zu identifizieren. An dieser Stelle beginnt die Loser-Phantasie, die der Film im Kern natürlich ist: Ben gelingt völlig unverhofft ein One-Night-Stand mit dem hübschen Fernsehgesicht Alison (Katherine Heigl), die gerade zur Moderatorin eines Entertainmentsenders befördert wurde.

Nun gibt es wahrscheinlich kein Wesen auf diesem Planeten, das verbissener, statusbewusster, kontrollfreakiger und hündischer auf der Jagd nach Anerkennung wäre als das hübsche amerikanische Fernsehgesicht. So gleicht es einem Wunder von fast biblischen Ausmaßen, dass die danach plötzlich schwangere Alison sich tatsächlich bemüßigt fühlt, den Vater ihres Kindes näher kennenzulernen.

Die Verzweiflung der Eltern

Die schrecklichen Entdeckungen, die sie dabei macht, spielt der Film zwar nicht herunter, aber er stattet Alison mit einer geradezu engelsgleichen Geduld aus und mit der Gabe, hinter Bens pummeliger, pickliger Oberfläche ein gutes, unprätentiöses Herz zu sehen - vielleicht sogar einen liebevollen Vater. Das sehen die Zuschauer, insbesondere die weiblichen, natürlich auch, weshalb sie dem Paar bald heftig die Daumen drücken.

Trotzdem, und das erhebt "Knocked Up" zu einer gelungenen, zu einer großen Komödie, bleibt der Film in frappierendem, oft sogar schockierendem Kontakt zur Wahrheit. In der Szene zum Beispiel, in der das junge "odd couple" zum ersten Mal den Kinderarzt besucht, sitzen einige Säuglinge im Warteraum, aber eben nicht die unfassbar süßen, die man sonst im Kino sieht. Die nie ausgesprochene Tatsache, dass es auch absolut hässliche Babys gibt, und dass man als werdende Eltern nie ganz sicher ist, ob man wirklich jedes denkbare Ergebnis seiner Fortpflanzung wird lieben können, kommt hier endlich einmal zu ihrem Recht.

Genauso wie die stille und oft auch nicht so stille Verzweiflung, die selbst mit der erfüllendsten Elternschaft einhergeht. Apatow reflektiert sie über Alisons Schwester Debbie (Leslie Mann) und ihren Gatten Pete (Paul Rudd), die zwei wunderhübsche Töchter haben - und es ist sicher kein Zufall, dass Mrs. Mann gleichzeitig die Ehefrau des Regisseurs ist, und die Töchter seine eigenen Kinder sind.

Diese beiden Eltern können sich gegenseitig zum Wahnsinn treiben, sie werden wechselseitig von der Panik ergriffen, nun endgültig zum alten Eisen zu gehören und kein Leben mehr zu haben, und sie greifen zu den absurdesten Tricks und Lügen, um sich noch einen Rest von persönlicher Freiheit zu bewahren. So gelingt dem Film das Kunststück, das Kinderkriegen weder auf ein paar Gynäkologengags und hyperventilierenden Kreißsaal-Slapstick zu reduzieren, noch in die Falle der ideologischen Überhöhung zu tappen.

Im Inneren des Mannes wohnt nämlich auch der Traum, einfach am Rande eines Spielplatzes zu sitzen und seinen Kindern beim Glücklichsein zuzusehen. Der zweifache Vater Pete wundert sich da laut, welch endlosen Spaß seine Töchter am simplen Spiel mit Seifenblasen finden, und gerät darüber in milde Depression. "Ihre lachenden Gesichter zeigen nur deine eigene Unfähigkeit, dich überhaupt noch an irgendwas zu freuen", erklärt er dem werdenden Vater Ben, und der weiß sofort, was gemeint ist.

Die beiden haben Glück, dass sie gerade allein sind - denn auch diese tiefe Wahrheit werden Frauen natürlich nie verstehen. Gerade diese Momente aber sind es, die im Gedächtnis bleiben, wenn das befreiende und oft auch gequälte Gelächter längst verklungen ist.

KNOCKED UP, USA 2007 - Regie, Buch: Judd Apatow. Kamera: Eric Alan Edwards. Schnitt: Craig Alpert, Brent White. Mit: Katherine Heigl, Seth Rogen, Paul Rudd, Leslie Mann, Jason Segel, Jay Baruchel. Universal, 129 Minuten.

© SZ vom 23.8.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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