Im Kino: "Bedingungslos":Wie geht's uns denn heute?

Lesezeit: 3 min

Von grässlichen Nähten entstellt, der Körper funktionslos, der Geist nicht zugänglich: In Ole Bornedals "Bedingungslos" wird die Femme fatale ihrer Macht beraubt.

Tobias Kniebe

Es hat doch immer etwas seltsam Verdrehtes, wenn das Kino der Zauberkraft einer Femme fatale zu trotzen versucht. Wenn in Murnaus "Sunrise" die Reinheit des angetrauten Weibes triumphieren darf, wenn Michael Douglas in "Fatal Attraction" vor dem Heiligenbild der betrogenen Ehefrau zusammenbricht. Die Gesellschaft erlegt dem männlichen Protagonisten auf, der Versuchung zu widerstehen: Dem dunkel lockenden Vamp gerade nicht zu folgen, vor der Macht des Begehrens unter die kalte Dusche zu flüchten. Das Publikum aber - auch wenn es hinterher nur die härtesten Strafen für angemessen hält - verlangt natürlich das Gegenteil. Ein Held, der es wagte, ein unmoralisches Angebot schon am Anfang mit einem trockenen Nein zurückzuweisen, würde das Räderwerk des Erzählens knirschend zum Stillstand bringen. Er wäre der schlimmste Spielverderber überhaupt.

Verwirrung der Leidenschaft: Ole Bornedals "Bedingungslos". (Foto: Foto: Flimverleih)

Die Frage ist also auch in Ole Bornedals "Bedingungslos" nicht, ob die anfangs gezeigte dänische Eheidylle (hochsympathischer, etwas chaotischer Mann, liebende, tolle, wenn auch gestresste Gattin, zwei reizende Kinder) vielleicht unbeschadet bleibt. Es geht allein darum, welche Form die Versuchung diesmal annimmt - und ob, bei der schätzungsweise hunderttausendsten Wiederholung des Themas, überhaupt noch eine Variante denkbar ist, die wirklich verführerisch sein kann. In dieser Hinsicht legt der Film, der das Problem und damit auch die halbe Geschichte des film noir gleich mitreflektiert, noch einmal einen echten Knaller vor.

Bornedals Trick ist es, die Femme fatale zunächst einmal jeder Fatalität, jeder oberflächlichen Attraktivität, ja sogar jeglicher Initiative zu berauben. Ihr Gesicht ist von grässlichen Nähten entstellt, ihr Körper funktionslos, ihr Geist gar nicht zugänglich. Nach einem schweren, sensationell gefilmten Autounfall, der auch die Zuschauer durchschüttelt, liegt sie im Koma. Und Jonas (Anders W. Berthelsen), der gefährdete Held, der bei dem Crash am Rande beteiligt war und ihr Erste Hilfe geleistet hat, will sie im Krankenhaus besuchen. Nur Familie, wird ihm beschieden. Also gibt er sich als Freund der jungen Verletzten namens Julia (Rebecka Hemse) aus - und zögert einen Augenblick zu lange, als ihre Familie ihn am Krankenbett kennenlernt, umarmt und sogleich beschwört: Ob sein Kuss die Bewusstlose zum Leben erwecken könnte? Jonas spielt mit.

Und schon wäre er ein Schwein, wenn er nun nicht mehr wiederkehren würde; schon schreibt ihm der verzweifelte Vater einen Blankoscheck, damit er der potentiell Querschnittsgelähmten wenigstens anfangs ein bisschen Liebe schenkt, selbst wenn diese nicht echt sein sollte; und schon akzeptiert ihn Julia, die erwacht und sich an beinah nichts erinnert, als ihren Lover. In Kambodscha und Vietnam haben sie sich kurz zuvor kennengelernt, es muss Liebe auf den ersten Blick gewesen sein.

Von wildem Sex ist da die Rede

Jonas holt die Details, die er ihr erzählt, aus seiner Phantasie. Von wildem Sex ist da die Rede, den es in seinem Leben schon lang nicht mehr gibt. "Nimm mich", sagt Julia auf dem Krankenbett. Und, vielleicht, damit er ihr zerstörtes Gesicht nicht sehen muss: "Dreh mich um." In diesem Moment geht Jonas' Ehe kaputt. Den Schmerz in diesem Prozess, auch das Leid seiner Frau, die er im Unwissen lässt, nimmt der Film vollkommen ernst.

So wenig aktiv Julias Verführung ist, so zwingend und vor allem ehrlich erscheint sie. Der Verdacht, dass eine Femme fatale im Grunde gar nicht agiert, dass sie erst durch den Blick des Begehrenden fatal wird, dass der männliche Protagonist sie erst in seiner Phantasie überhaupt erschafft - hier wird er in einer Klarheit zum Thema, die man seit Hitchcocks "Vertigo" nicht mehr gesehen hat.

Julia existiert, weil es eine anders nicht füllbare Leere in Jonas' Leben gibt - da kann es auch keine Illusion mehr geben, dass er noch zu Frau und Kindern zurückkehren könnte. Dafür aber darf die Lüge zunächst gewahrt bleiben - der Held will nichts anderes als ein neues Leben mit der dann doch recht schnell genesenden Julia beginnen. Schon aber verdichten sich die Anzeichen, dass Julias Vergangenheit, die man in kurzen Flashbacks als eine durchaus gewaltsame erlebt, ihr noch folgt. Wenn sie nicht zu ihrer Erinnerung zurückfindet, dann kommt die Erinnerung eben zu ihr- und Jonas ist plötzlich nur noch Zaungast in einem ganz anderen Drama, das ihn gar nicht wirklich betrifft...

Warum der Held aber ganz am Anfang, im Stil von "Sunset Boulevard", schon als Toter zu uns spricht, um die ganze Geschichte zu erzählen? Es gibt, wie sich zeigen wird, für sein Sterben keinen zwingenden Grund außer der Schizophrenie des Publikums: Der Mann, der sich stellvertretend für uns ins Abenteuer stürzt, muss dann auch stellvertretend für uns bestraft werden. Noch immer.

KÆRLIGHED PÅ FILM, DK 2007 - Regie, Buch: Ole Bornedal. Kamera: Dan Lautsen. Mit: Anders W. Berthelsen, Rebecka Hemse, Nikolaj Lie Kaas, Charlotte Finch. MFA, 99 Minuten.

© SZ vom 09.04.2009/irup - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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