Im Interview: Julie Christie:"Ich war damals bis zum Hals in russischer Revolution"

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Eine Ikone unter den Charakterdarstellerinnen: Die britische Schauspielerin Julie Christie spricht über das Haifischbecken Hollywood, ihre Sehnsucht nach dem leichten Leben und wie sie Männer erdulden lernte.

Susan Vahabzadeh

Hut ab vor dem Münchner Filmfest - für den CineMerit Award haben sie tatsächlich Julie Christie in die Stadt geholt. Der Weltstar ("Darling", "Doktor Schiwago") meidet konsequent die Öffentlichkeit. Gibt null TV-, kaum Print-Interviews. Ist aber immer noch ins Kino verliebt und fürs Kino engagiert.

Hat sich ihre Rollen schon immer sehr genau ausgesucht: Julie Christie. (Foto: Foto: dpa)

SZ: Vor 22 Jahren waren Sie beim Filmfest auf der Leinwand zu sehen, in "Väter und Söhne", Bernhard Sinkels großer TV-Familien-Saga. Nun sind Sie persönlich in München. Sie halten bekanntlich nicht viel von PR, aber zum Publikum haben Sie gern Kontakt.

Julie Christie: Ich finde es schön, wenn Filme ein Publikum haben. Wenn eine Elektrizität entsteht im Publikum und der Film funktioniert. Und das hat nichts mit mir zu tun, das hat mit jedem guten Film der Kinogeschichte zu tun. Was mich beunruhigt, ist, dass es Leute gibt, die offenbar nur das kennen, was seit - wie heißt er gleich wieder - Quentin Tarantino passiert. Wie kann man einen neuen, originellen Film machen, wenn man nur so was kennt? Nun, da kann ich schon froh sein, dass ich ein paar tolle Filme gemacht habe. Und dass sie gesehen werden. Da hab ich richtig Glück gehabt. Solche Filme kommen ja nicht oft aus Amerika oder England, wenn man mal von Hal Hartley absieht oder Jim Jarmusch, den Independents. Oder den "alten" Regisseuren, Mike Leigh, Ken Loach - und natürlich Winterbottom. Es ist also nicht alles verloren, aber ich denke, gute Filme sind selten.Das gilt wohl auch für Deutschland - obwohl es da immer noch besser ist als in England. Aber wenn Sie an das phantastische Kino denken, das Sie hatten, das beste in der Welt - das beunruhigt mich, dass man diese Filme nicht mehr anschaut, und dass man dann nicht kapiert, dass das Kino heute stärker eingeschränkt und begrenzt wird.

SZ: Sie sind ein großer Fan von Fassbinder.

Christie: Wer wär das nicht. Wenn Sie "Angst essen Seele auf" nehmen - sind Rassismus und Immigration nicht heute genauso aktuell? Das wäre mutig, so was heute zu machen - diese zwei Menschen, bei denen man sich fragt, ob sie sich lieben werden - und sie tun es.

SZ: Heute wirkt das alles wohl zu emotional. Fassbinder, sagen die Leute, das ist doch Kitsch. Nicht zeitgemäß.

Christie: Wirklich? Nun, auch ich bin nicht zeitgemäß. Das kann man nicht ändern, man liebt was man liebt. Auch wenn es oft älter ist. Heute kommen gute Sachen aus Osteuropa, Iran, Mexiko, China. Wir haben fast alle unsere Filmkunstkinos in England verloren. Das ist schade, denn so haben die Jungen, die unsere Vorlieben unzeitgemäß finden, keine Chance, ihren Geschmack zu ändern. Amerikanische Verleihe dominieren.

SZ: Aber die Siebziger waren doch auch im amerikanischen Studiosystem eine aufregende, turbulente Zeit!

Christie: Klar, alle sagen, das war eine tolle Dekade. Aber das war es weltweit, und wenn man die amerikanischen Produktionen etwa vergleicht mit denen damals in Deutschland - die sind so viel mutiger. Nehmen Sie Margarethe von Trotta, die den Terrorismus behandelte. Die amerikanischen Filmemacher heute behandeln den Terrorismus nicht, sie machen was über den Irakkrieg, aber vor Terrorismus haben sie viel zu viel Angst. In Deutschland hat man damals wirklich versucht, einen klaren Blick darauf zu werfen. Jenseits des ganzen Media Junks. Bei uns in England fängt man jetzt gerade mal an, sich mit unseren muslimischen Gemeinden zu beschäftigen - wie ein Mensch, der in England, in der englischen Kultur lebt, dazu kommt, ein Terrorist zu werden. Obwohl ich das Wort nicht gern verwende, weil es gleich so heftige Reaktionen auslöst. Das ist immer so, wenn man solche Worte in der Zeitung liest. Vegetarier, grrr!

SZ: Sie machen sich also immer noch stark für ein politisches Kino?

Christie: Jeder Film ist im Grunde politisch. Weil jeder Mensch politisch ist. Jede Entscheidung, die man trifft, ist eine politische Entscheidung.

SZ: Ihre Entscheidung, Schauspielerin zu werden, ein Filmstar, hatten Sie da jemals ein schlechtes Gefühl?

Christie: Nicht allzu sehr. Manchmal kann ich erst im nachhinein sehen, was ein Film wirklich sagt. Ich habe eine Menge abgelehnt, weil ich meinte, da würde etwas gesagt, was ich selbst nicht sagen wollte. Das schränkt einen natürlich ein. Was das Starsystem angeht - es ist sicher etwas schrecklich Obsessives daran, in der Welt der Berühmtheiten zu sein. Mir tun die jungen Leute heute wirklich leid. Es ist so sehr viel härter heute. Sie wissen, dass sie verkauft werden. Ich bin immer empört - noch so ein unzeitgemäßes Wort. Ich glaube, man ist sich nicht bewusst - das ist die Gnade der Jugend -, dass dies Spiel ist. Wie zerbrechlich man wird, in seiner Abwehrhaltung. Ich wusste damals nicht, wie schrecklich und grausam dieser Einbruch war, das machte einen, ohne dass man es merkte, völlig defensiv. Es verändert deinen Charakter völlig. Erst später erkannte ich, wie defensiv ich geworden war und wie selbstsüchtig - man bekam ja alles, was man wollte, und das wurde zur Gewohnheit. Und dann diese Kluft zwischen dem was ich lebte und dem was über mich geschrieben wird - das ist einfach unbegreiflich, das ist schockierend.

Lesen Sie auf Seite 2 mehr über Christies Einstellung zu Nacktszenen.

SZ: Hatten Sie das Gefühl von Freiheit in Ihrem Leben, Ihren Entscheidungen?

Charakterdarstellerin mit Weitblick: Julie Christie. (Foto: Foto: ddp)

Christie: Ja, das hatte ich. Selbst heute, da ich finanziell nicht mehr so gesichert bin - ich mache selten Filme, und dann sie sie meist nicht so lukrativ. Aber ich mache, was ich will. Und schaue, dass etwas persönliches in jedem Film ist. Wir Schauspieler benutzen unsere Erfahrungen. Manche sagen, es gibt fünf grundlegende Emotionen, und wir bringen sie gemäß unserer körperlichen Verfassung zum Ausdruck. Meine Emotionen werden also genügen, ich werde sie für die Leinwand transformieren, mithilfe der Situationen, der Szenen, des Scripts. das für "Away with Her" war so wunderschön, die Wörte nahmen die Person in ihre Obhut.

SZ: Hätten Sie denn gern mehr Kontrolle? Sie haben nie selber einen Film produziert.

Christie: Produzieren will ich nicht, nicht so was Kompliziertes. Ich will keine Herausforderungen. Jeder sagt er, will sich fordern lassen, ich nicht. Ich will ein leichtes Leben.

SZ: Wussten Sie denn ganz am Anfang, was die richtigen Rollen für Sie waren?

Christie: Nun, als ich "Doktor Schiwago" machte, wusste ich nicht, wer David Lean war. Ich war damals wohl stärker an französischem Kino interessiert.

SZ: Sie wussten also, wer Truffaut war.

Christie: Natürlich hatte ich auch Leans "Brief Encounter" gesehen, aber ich hatte das nie im Leben mit diesen filmischen Epen zusammengebracht, die Lean dann machte. Ich war damals bis zum Hals in russischer Revolution, und als der Film dann rauskam, sagte ich mir: ich weiß nicht recht, ob ich das alles so sehe.

SZ: Wie kam es, das Truffaut Sie wählte für "Fahrenheit 451"?

Christie: Hmm, ich denke, er liebte hübsche Mädchen. Die Art, wie Truffaut Regie führt, ist etwas ganz besonderes. Er lehrte mich seine eigene Sprache.

SZ: Hat Nic Roeg viel Überzeugungsarbeit machen msüsen, um dieLiebesszene in "Wenn die Gondeln Trauer tragen" zu machen?

Christie: Ich denke schon. Das war etwas, was ich überhaupt nicht machen wollte. Es ist nicht normal, richtig abnormal, seine Kleider auszuziehen und get down to fucking. Das gab es damals nur in französischen Filmen oder in solchen aus dem "Swinging" London, die waren aber gar nicht gut. Nic braucht Nacktes in jedem Film. Und er fragt mich auch in meinem Alter, meine Antwort: Nein, vielen Dank.

SZ: Die Szene damals war aber sehr bewegend.

Christie: Ja, sie war großartig!

SZ: Paul Schrader wollte Sie für "American Gigolo".

Christie: Ja, aber die Rolle wollte ich nicht, damals war ich auf meinem feministischen Gipfel.

SZ: Terminliche Probleme haben also keine Rolle gespielt?

Christie: Nein, ich schrieb ihm aus Peru: Ich glaube nicht, dass das frauenfreundlich ist. Heute bin ich mir da nicht mehr sicher. Ich dachte, die Ablehnung zu erklären wäre eine gute Idee. Und später soll er dann gesagt haben, mein Brief sei total selbstbezogen gewesen oder so, die Schuhe wären mir eine Nummer zu groß. So kann man es natürlich sehen.

SZ: Ist das denn nicht eine typisch männliche Reaktion auf feministische Kritik?

Christie: Allerdings! Ich muss aber dazu sagen, dass er mir später noch mal eine Rolle angeboten hat, der Film wurde nie gemacht. Und da wusste ich aber auch schon, dass Männer Teil der Wirklichkeit sind, mit der man leben muss. Die Buddhisten sagen: Alles ist Samsara, das, was man erdulden muss, um ins Nirwana zu kommen. Früher dachte ich, die Problematik des männlichen Egos würde eines Tages verschwinden. Tatsächlich taucht sie aber immer wieder auf. Und dann verstand ich: Das ist Samsara, das ist das, womit ich fertig werden muss! Aber nichts für Ungut. Außerdem ist Schrader sowieso einer der wenigen interessanten amerikanischen Regisseure.

SZ: Viel haben Sie ja nicht in Amerika gearbeitet.

Christie: Nein, weil es so wenig interessante Regisseure gibt. Da war Hal Ashby, Robert Altman, Hal Hartley, und Warren (Beatty) natürlich. "Bulworth" zum Beispiel ist ein wundervoller Film. Warren macht viele clevere Sachen. In jeder Hinsicht. Annette Bening heiraten zum Beispiel. Ich rede so über ihn, weil wir lange zusammen waren und er immer noch ein guter Freund ist, wissen Sie?

© SZ vom 28./29.06.2008/mst - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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