"Ich erwarte die Ankunft des Teufels":Seht, ein Genie!

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Diese Frau hat dem Literaturkanon wirklich noch gefehlt: Mary MacLane war mit neunzehn schon Skandalautorin, und das in den frühen Jahren des 20. Jahrhunderts. Jetzt gibt es ihr Debüt endlich auf Deutsch. Eine große Wiederentdeckung.

Von Insa Wilke

Was hätte wohl Mary MacLane, dieses Teufelsweib, dazu gesagt, dass im 21. Jahrhundert auf einmal wieder die Herren das Sagen haben? Hierzulande zeigt das generische Maskulinum gerade sein wahres Gesicht, denn wo in den Nachrichten von Experten die Rede ist, sind eher selten Expertinnen gemeint. Oder warum nuschelt die Leopoldina auf die Frage, warum in ihrer Corona-AG auf 24 Experten nur zwei Expertinnen kommen, so verlegen etwas von einem "langfristigen Prozess" in ihren Bart? Es geht für Frauen wohl immer noch darum, laut zu werden und sichtbar. So etwas ähnliches dachte sich auch Mary MacLane, damals, am 31. Januar 1901 in Butte, Montana, als sie sich von ihrer faden Familie, diesen "Tieflandschotten", zurückzog und in ihrem Zimmer schrieb: "Ich, neunzehn Jahre alt und im weiblichen Geschlecht geboren, werde jetzt, so vollständig und ehrlich wie ich kann, eine Darstellung von mir selbst verfassen, Mary MacLane, die in der Welt nicht ihresgleichen kennt." - Peng! Was für ein Auftritt!

Auf knapp 180 Seiten legt diese Neunzehnjährige fest, wer sie ist. Sie lässt es sich nicht von außen zuschreiben, sondern nimmt in den Monaten Januar bis April 1901 den Stift in die Hand und setzt sich selbst zusammen. Vielleicht ist das auch heute noch gar nicht so selbstverständlich, bedenkt man, wie tief Frauen immer noch Freundlichkeit, Zurückhaltung, Bescheidenheit in den Knochen stecken.

Mary MacLanes Debüt "Ich erwarte die Ankunft des Teufels" ist weniger politisches Pamphlet als ein aus dem Furor des Lebenshungers geschriebener Bekenntnistext. Kein Aufschrei, aber ein Ausbruch einer ihrer selbst gewissen Person, geltungssüchtig und so behaglich schnurrend narzisstisch, dass manche Formulierungen wirken, als hätte der heutige US-Präsident bei MacLane gelernt: "Sie dürfen das Bild vorne in diesem Buch betrachten und bewundern. Es ist das Bild eines Genies - eines Genies mit einem guten, starken, jungen Frauenkörper, - und im Inneren des abgebildeten Körpers befindet sich eine Leber, eine MacLane-Leber, von bewundernswürdiger Perfektion."

Eine durchdachte Inszenierung sollte ihr Debüt sein, aber Leben und Werk sind hier eins

Auf der Trinität ihres Genies, ihres hungrigen hölzernen Herzens und ihres guten, jungen Frauenkörpers harft MacLane so penetrant herum, das man zeitweise die Wände hochgehen möchte und sich doch immer wieder fragt: Wie kommt ein Mädchen ihrer sozialen Klasse, in einem der Zentren der amerikanischen Bergbauindustrie, wohlbehütet im Wirbel des wirtschaftlichen und sozialen Wandels lebend, dazu, sich so hingebungsvoll mit ihren inneren Organen zu beschäftigen? Überhaupt allem Saftigen, Deftigen, Heftigen zu huldigen bis hin zum Leibhaftigen selbst, dem "Teufel / mit den stahlgrauen Augen", dem sie ihre Existenz widmet. MacLane orientiert sich an einer zu ihrer Zeit klar männlich geprägten Ästhetik: der des Hässlichen, des Genies, des Nihilismus und Vitalismus. Andererseits ruft sie einen feministischen Kanon auf, wenn sie sich auf die französische Revolutionärin Charlotte Corday, die britischen Schriftstellerinnen Charlotte Brontë und George Eliot, die russische Malerin und Tagebuchautorin Marie Bashkirtseff und die südafrikanische Schriftstellerin und Bürgerrechtlerin Olive Schreiner bezieht. Idole, die sie - welche Hybris - überflügeln will. Wohl deshalb verortet sie sich, ebenso in souveräner Opposition zu Autoren wie Henry James mit seinen "verwinkelten Sätzen" oder zur "freundlich-damenhaften Phrasierung" ihres Zeitgenossen William Dean Howells. Würde sie wie jene schreiben, meint MacLane, klänge sie "wie ein kleiner Phonograph aus Blech, der in halsbrecherischem Tempo blumige Poesie ausspuckt, oder eine sonore Kirchenorgel, aus deren Tiefen in gravitätischer Stimmung die Melodie von Goo-Goo Eyes strömt."

So unverschämt, witzig und formbewusst - und dann wieder so pubertär. MacLanes Refrain "Niemand versteht mich" erinnert an den Expressionisten Georg Heym, der ein Jahrzehnt nach MacLane seinem Tagebuch in schönstem Jugendirresein anvertraut, er halte das elektrische Knistern seiner Haare für einen Beweis seines göttlichen Ursprungs. In der Sehnsucht nach Öffentlichkeit verwandt, trennt MacLane von Heym allerdings das "verpestete Wort", das ihr im Weg steht: "Frau". Und während Heyms Tagebuch naiv wirkt, vermittelt "Ich erwarte die Ankunft des Teufels" eher den Eindruck einer durchdachten Inszenierung. Und die sollte ihr Debüt auch sein; es kündigt bereits an: Diese Autorin versteht sich als Performance-Künstlerin avant la lettre und Leben und Werk sind ihr eins.

Dieser erste Text aus MacLanes Feder, dem später zwei Bücher, ein Film und zahlreiche Artikel und Interviews folgten, geht geschickt mit Authentizität und Inszenierung um. Passagenweise rhythmisiert sie ihn stark, arbeitet mit verschiedenen Tempi und kommt immer wieder zu Höhepunkten wie dem Gebet, das sie am 8. März entwirft: "Gütiger Teufel, erlöse mich", beginnt die Litanei: "Von schwarzer Unterwäsche - und jeder Farbe außer weiß; von Hüften, die wackeln, wenn man geht", von "freundlichen alten Damen, die unzählige langweilige, offensichtliche Lügen erzählen" und anderem Ungemach.

Für die Arbeitskämpfe hatte sie so wenig einen Blick, wie die Arbeiter für die Rechte der Frau

Ann Cotten, die Mary MacLanes Debüt übersetzt und kommentiert hat, verleiht ihm im Deutschen Rasanz und einen ambivalenten Charakter. Aber den wirklich meisterlich geschrieben Passagen, stehen Momente gegenüber, in denen MacLane ihr philosophisches Genie ankündigt und beispielsweise an der "Kunst, gut zu essen" beweisen will. Da tut sich gähnende Leere auf, weil sie trotz der Beschwörung eines saftigen "Porterhousesteaks" mit "grünen Frühlingszwiebeln" wenig Fleisch an die klappernden Knochen ihrer "peripatetischen Schule" bringt.

In ihrem Nachwort schreibt Ann Cotten, dass die Meisterschaft dieses Textes im "rhythmischen Pas-de-deux von Welt und Schrift" liege. Was ihm aber fehlt, ist die gedankliche Durchdringung der Performance. Ann Cotten setzt im Nachwort einen politischen Kontrapunkt zu MacLane, die als "einsames, 19-jähriges Genie über die öden Hügel spazierte und auf den Heiland in Form des Teufels wartete", während, so Cotten, "unten in Butte, der größten Boomtown jener Zeit, Kämpfe für Arbeiterrechte" stattfanden.

Die Journalistin Juliane Liebert, die sich in einem zweiten Nachwort auf die Editions- und Rezeptionsgeschichte von MacLanes Debüt konzentriert, erinnert an die englische Tagebuchautorin Anne Lister, die eine ähnliche klassenbedingte Einäugigkeit kennzeichnete. Nun kann man diesen Damen vielleicht nicht vorwerfen, dass sie zu ihrer Zeit noch keinen Blick für die der Landschaft eingeschriebene indigene Kultur und die soziale Ungleichheit hatten und muss andersrum sagen, dass die kämpfenden Arbeiter die Rechte der Frauen wenig im Blick hatten. Aber umso mehr macht die Lektüre deutlich: Was für ein Gewinn, dass es heute ein zunehmendes Bewusstsein für "Intersektionalität" gibt, also für die Privilegien, die eine Person haben kann, während sie als Frau, Arbeiter oder person of color benachteiligt wird. Dieses Bewusstsein macht es möglich, dass in Protestbewegungen wie beispielsweise in Chile Indigene, Frauen, Umweltaktivistinnen, Schüler gemeinsam gegen ihre sich überschneidenden und unterschiedlichen Benachteiligungen eintreten. Sie unterlaufen so einen simplen Unterdrückungsmechanismus: mangelnde Solidarität.

Mary MacLane ist nur 48 Jahre alt geworden. Ihre Person und ihr verblüffendes Werk tauchen dank dieser Ausgabe nun zum ersten Mal auf dem Radar der deutschsprachigen Leserschaft auf. Wie wichtig ist es, unser kulturelles Gedächtnis um die Möglichkeit einer Mary MacLane erweitern zu können. Gegenwärtig inspirierend aber wird "Ich erwarte die Ankunft des Teufels" erst durch die sorgfältige Kommentierung dieser Ausgabe.

Mary MacLane: Ich erwarte die Ankunft des Teufels. Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einem Nachwort von Ann Cotten. Reclam Verlag, Leipzig 2020, 206 Seiten, 18 Euro.

© SZ vom 09.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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