Humanitäre Hilfe:Wohin das Geld fließt

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Monika Krause schaut in das innere System von Organisationen für Entwicklungshilfe und beschreibt die Absurditäten von Projektentscheidungen.

Von Judith Raupp

Die deutsche Soziologin Monika Krause hat ein erfreulich sachliches Buch über die Welt der humanitären Hilfe geschrieben. Der Titel "Das gute Projekt" mag zwar nach einem Diskurs über Werte klingen. Doch die Autorin verzichtet auf eine moralische Lehrstunde, was in der emotional aufgeladenen Debatte in der Branche nicht selbstverständlich ist. Krause zeigt schlicht auf, wie Hilfsorganisationen entscheiden, wo und wen sie unterstützen.

Die Autorin sieht die humanitären Hilfsorganisationen als eine Art Fabrik für Projekte. Dabei sind die Geldgeber die Konsumenten, nicht die Hilfsempfänger in den armen Ländern. "Was von den Geldgebern konsumiert wird, sind nicht Kochgeschirr oder Zelte oder Nahrungsmittel, es ist der Akt des Geldgebens", schreibt sie. Die Geldgeber erwarten sodann, dass die Hilfsorganisationen ihr Produkt herstellen, also Projekte für Bedürftige auf die Beine stellen.

Diese Logik schreibt den Hilfsbedürftigen eine eher passive Rolle zu: Sie werden Teil des Produkts. Nur aufgrund der Tatsache, dass ihnen etwas fehlt, können die Hilfsorganisationen Geldgebern Projekte anbieten. Die Bedürftigen haben wenig Einfluss auf diesen Ablauf. Natürlich ziehen die Empfänger auch einen Nutzen aus dem Projekt. Sie bekommen Essen, Trinkwasser, Medizin oder einen Schlafplatz. Aber ihre Notlage ist die Voraussetzung, dass die Hilfsorganisationen Arbeit bekommen. Krause beschreibt die Menschen in den armen Ländern daher als "Mittel und Zweck zugleich".

Die 39 Jahre alte Autorin ist in der Wissenschaft zu Hause. Sie lehrt an der London School of Economics and Political Science Soziologie. Für ihr Buch, das auf Englisch und Deutsch erschienen ist, hat sie von 2005 bis 2010 in Archiven recherchiert. Sie hat Kurse für professionelle Helfer besucht sowie 50 Länderreferenten und Programmleiter der größten Hilfsorganisationen interviewt. Das Werk bietet fundiertes Wissen, kommt aber teilweise sehr akademisch daher.

Das ist schade. Denn jeder, der Steuern bezahlt oder zu Weihnachten spendet, sollte verstehen, wie Hilfsorganisationen das Geld ausgeben, das sie von Spendern oder aus der Staatskasse bekommen. Allein im vergangenen Jahr haben die Menschen in Deutschland mehr als fünf Milliarden Euro gespendet. Die Regierungen der reichen Staaten haben 143 Milliarden in Hilfs- und Entwicklungsprojekte investiert - wohl nicht immer zum Nutzen der Bedürftigen.

Krause stellt jedenfalls fest, dass die Hilfsorganisationen einer Logik folgen, die "relativ unabhängig von den potenziellen Wünschen oder Bedürfnissen der Empfänger ist". Sie zitiert ein Beispiel aus dem Sudan. Dort verteilte eine Organisation Essen und Medikamente. Die Bevölkerung wünschte sich aber Angelhaken und Netze, um selbst fischen zu können. Der Programmleiter im fernen Hauptsitz der Hilfsorganisation lehnte dies ab.

Wer nicht in das Muster einer Organisation passt, hat eben Pech

Dies ist kein Einzelfall. Angestellte von Hilfsorganisationen erzählen immer wieder von derartigem Widersinn. Krause fand zudem heraus, dass Helfer tendenziell jene Bedürftigen unterstützen, denen leicht zu helfen ist. Denn die Geldgeber wollen mit möglichst wenig Aufwand möglichst viele Bedürftige erreichen. Hilfsorganisationen kategorisieren Länder teilweise mit Hilfe von Software nach Chancen und Risiken. Kosteneffizienz entscheidet, wo Projekte stattfinden. Eine Folge davon ist: Just dort, wo es besonders gefährlich und grausam zugeht, müssen die Menschen oft allein klar kommen. Ein Beispiel dafür ist Somalia.

Dass Hilfsorganisationen mehr auf Effizienz achten, ist früheren Misserfolgen geschuldet. Zu viele Wohlmeinende haben in den Anfangsjahren ihr Glück versucht, ohne dass jemand geprüft hätte, ob sie den Armen tatsächlich helfen. Auch die Strategie institutioneller Geldgeber ist gescheitert. Sie haben einst teure Infrastruktur aufgebaut, wollten so die Wirtschaft ankurbeln und über Arbeit Wohlstand schaffen.

Seit den 80er Jahren versuchen die Helfer zu messen, wie ihre Arbeit wirkt. Sie definieren Ziele, Indikatoren und Verantwortlichkeiten. In ihren Bedarfsanalysen beziehen sie die Hilfsempfänger mehr ein als früher. Sie wollen Projekte überprüfbar und vergleichbar machen, damit sie sich auf Bereiche spezialisieren können, die sie überblicken. So produzieren sie das "gute Projekt", also eine definierte Hilfe für eine definierte Gruppe mit einem definierten Budget. Wer nicht in das Muster einer Organisation passt, hat Pech. Damit liegt die Autorin richtig. Im Ostkongo zum Beispiel bekommen kleine Initiativen junger Einheimischer selten große Unterstützung. Dabei engagieren sich viele von ihnen mehr für ihr Land als die Angestellten eingesessener Organisationen, die seit Jahrzehnten in dem Gebiet die Krise verwalten. Die Entscheider in den Zentralen geben lieber große Summen an wenige etablierte Einrichtungen als viele kleine Beträge an Helfer, die in losen Strukturen arbeiten. Das erscheint ihnen effizienter und erleichtert ihnen vor allem das Management ihrer Programme.

"Das gute Projekt" ist eine gelungene Analyse über die Schwächen der humanitären Hilfe. Das Buch beantwortet aber nicht, wie es besser laufen könnte. Es zielt vor allem auf die Kritik der Entscheidungsstrukturen, weniger auf das Verhalten der Akteure. Dabei könnten sie zumindest versuchen, die Abläufe zu ändern, wenn sie wollten. Die meisten Manager in den Zentralen, die Helfer in den Krisengebieten und ihre einheimischen Angestellten wissen um die Absurditäten in der Hilfsindustrie. Sie haben sich jedoch in ihren gut bezahlten Jobs mit der hohen moralische Reputation bequem eingerichtet. Und selbst viele Hilfsempfänger ziehen den kurzfristigen Nutzen von Geld oder Sachleistung einem grundsätzlichen Wandel vor. "Bedürftig sein" ist für manche mangels Alternativen zum Geschäftsmodell geworden - mit kräftiger Unterstützung der Hilfsorganisationen.

© SZ vom 10.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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