"Howl" nach Allen Ginsberg:Die ultimative Allen-Ginsberg-Show

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Allen Ginsbergs Gedicht "Howl" wird bei David Marton an der Berliner Volksbühne zu musikalisch unterlegten Bildern. (Foto: David Baltzer / bildbuehne.de)

David Marton stutzt in Berlin das berühmte Langgedicht "Howl" der Beatnik-Ikone auf ein leicht konsumierbares Konzertspektakel.

Von Anna Fastabend

Kurz nachdem sich die junge Zuschauerin die Neunzigerjahrestiefel von den Füßen gezogen hat, um es sich im Schneidersitz bequem zu machen, betritt ein Anzugträger die Spielfläche der Berliner Volksbühne, die Christian Friedländer mit einem Brunnengebilde, einem Stück Parkhausrohbau, einem Bergmassiv, etwas Mauerwerk und einer ganzen Armada Tasteninstrumente bestückt hat. Der Anzugträger spricht minutenlang alles heilig, was ihm in den Sinn kommt: "Holy nose, holy asshole, holy New York, holy San Francisco (...)" Schon klar, mit dem semiwitzigen Wortspiel will der Spezialist für Musiktheater David Marton den Beat-Poeten Allen Ginsberg ganz vatermordmäßig vom Thron stoßen, dessen berühmtes Langgedicht "Howl" die Grundlage dieser nicht mal anderthalbstündigen Uraufführung ist. Eigentlich eine schöne Idee, immerhin ist Ginsberg ja tatsächlich kaum noch zu erkennen hinter all den Teddybärhaufen und Liebesbriefstapeln, die ihm bis heute vorwiegend ältere linksintellektuelle Männer darbieten. Und trotzdem ist dieser Abend nicht mehr als eine Aneinanderreihung hübscher Regieeinfälle, den man danach sofort wieder vergisst, so halbgar und nichtssagend, wie er war.

Besonders ärgerlich: Marton verzichtet bei seiner Inszenierung vollständig auf den ersten Teil des legendären Gedichts, das der Vertreter der Beat Generation am 7. Oktober 1955 in der Six Gallery in San Francisco vortrug und das wie kaum ein anderes das Lebensgefühl der jungen Generation seiner Zeit zum Ausdruck brachte: Ihre Verlorenheit und Verzweiflung, aber auch ihre Rebellion angesichts der knallharten McCarthy-Ära, die dem Konformismus, Konservatismus und Konsumismus huldigte und damit Andersdenkende, People of Color, Homosexuelle, Jazzmusiker und Künstler zum Feindbild erklärte.

Doch statt auf die suggestive Kraft der Sprache zu vertrauen, übersetzt Marton sie in eine lose Abfolge von musikalisch unterlegten Bildern: Hier ein junger Typ im Coca-Cola-T-Shirt, der sich zu den repetitiven Klängen einen runterholt, da eine Frau mit Afrofrisur, die ihren Kinderwagen stehen lässt und eine laut tickende Bombe in einem Schminkkoffer verstaut. Eigentlich ein spannungsgeladener Moment, der aber sang- und klanglos von der nächsten gewollt ironischen Szene abgelöst wird. Dazu dadaistische Gesänge, ein bisschen pseudo Jazz, und die Bühne dreht und dreht sich. Darsteller versuchen, den Berg zu erklimmen und scheitern, Darsteller fläzen im Brunnen und werden nass.

Der Tiefpunkt des Abends: Als Silvia Rieger sich bei der Anklage des Molochs, sprich des seelenlosen Kapitalismus, die Seele aus dem Leib brüllt. Vorher bestand diese Inszenierung zumindest teilweise aus amüsanten Miniszenen - auch wenn man leider den Eindruck hat, dass sich Marton, der bereits "On The Road" von Jack Kerouac an den Münchner Kammerspielen inszenierte, eigentlich nur über die rebellischen Künstler und ihr Ringen nach Freiheit lustig machen möchte. In Zeiten des rechtskonservativen Backlash ein eher befremdliches Statement. Da hilft auch das von Yuka Yanagihara wunderschön gesungene "Lacrimosa" von Mozart nichts, das den Abend viel zu abrupt beschließt.

© SZ vom 26.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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