Hörspiel:Sex, Drugs und Raketen

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Klaus Buhlert hat nach Thomas Pynchons gewaltigem Roman das Hörspiel "Die Enden der Parabel/Gravity's Rainbow" inszeniert. Ein wilder Anfangssound eröffnet 14 mitreißende, komische, aufregende Stunden.

Von Florian Welle

Vor Jahren hat Klaus Buhlert Arno Schmidts "Schwarze Spiegel" mit dem wunderbaren Ulrich Wildgruber als Hörspiel inszeniert. Die Erzählung beschreibt eine postatomare Welt, für die Buhlert eine metallisch-kalte Klanglandschaft entworfen hat, die unvergesslich bleibt. Deshalb war davon auszugehen, dass dem vielfach ausgezeichneten Hörspielregisseur auch die Eingangsepisode von Thomas Pynchons "Die Enden der Parabel/Gravity's Rainbow" gelingen würde. Hier jedoch hat er sich noch einmal selbst übertroffen. Dass er sie viermal umgearbeitet hat, merkt man ihr zu keiner Zeit an.

Am Beginn von Pynchons gewaltigem Raketenroman steht der Albtraum des englischen Geheimdienstchefs Pirate Prentice. Darin wird London durch eine in Peenemünde abgeschossene V2 -Rakete in Schutt und Asche gelegt. Der Hörer wird daher in den ersten Minuten mit einem wilden Sound aus verfremdeten Klängen, verzerrten Stimmen und Sirenengeheul konfrontiert, der ihn in die Geschichte hineinzieht. Zwei Sätze charakterisieren treffend Pynchons Vorlage und auch die Adaption: "Es wird ein Spektakel geben" und "Nein, das ist kein Freikommen, sondern ein immer heftigeres sich Verstricken."

Danach beruhigt sich das Hörspiel, melancholisch-verhangene Klavier- und Gitarrentöne tauchen auf, und wir sitzen mit Pirate Prentice und Mitarbeitern beim Londoner Bananenfrühstück. Es ist der 18. Dezember 1944. Die V2, diese "verfluchte Scheißrakete", hat die Hauptstadt getroffen.

"Großartig und irre" findet der Regisseur das 1973 erschienene Buch

Die Hörspielproduktion von SWR und DLF in Kooperation mit Hörbuch Hamburg lässt im wahrsten Sinne aufhorchen. Zum ersten Mal überhaupt hat Thomas Pynchon, das große Phantom der US-amerikanischen Literatur, das Okay zur Bearbeitung eines seiner Hauptwerke gegeben. Doch bis es so weit war, war Geduld gefragt. Von der ersten Anfrage des Chefdramaturgen der SWR-Hörspielabteilung, Manfred Hess, im Jahr 2005 bis zu Pynchons "go ahead, Manfred" verging mehr als ein Jahrzehnt. Die Inszenierung dieses 1973 erschienenen postmodernen Kraken von Roman - auf 1200 Seiten hetzen 400 mehr oder weniger mit Drogen zugedröhnte Figuren herum - dauerte fast drei weitere Jahre. Freilich: Hess und Buhlert haben zusammen schon den "Ulysses" gestemmt.

Die Handlung spielt mit Ausflügen in Vergangenheit und Zukunft (am Ende landet die V2 in einem Hollywoodkino im Jahr 1970) von Ende 1944 bis zum ersten Atombombenabwurf. Und weil von den Engländern über die Amerikaner bis zu den Russen alle hinter den Plänen der Nazi-Geheimwaffe herjagen, wechseln die Schauplätze rasant, geht es von London an die Côte d'Azur, in das in Auflösung begriffene Nachkriegsdeutschland, in den Harz, nach Berlin und in den Norden. Immer dabei: abgedrehte Spione, skurrile Wissenschaftler, Altnazis, sogar Herero-Truppen und der Krake Grigori. Und (meist) mitten drin: der GI Tyrone Slothrop, dem immer "ein Ständer in der Hose zuckt", wenn eine V2 im Anflug ist. Als eine Art lebendes Frühwarnsystem ist er für alle Seiten das Objekt der Begierden.

"Die Enden der Parabel/Gravity's Rainbow" beschreibt eine zerfallende Welt; beherrscht von Militär und Industrie, Überwachung und Paranoia. Das Symbol, in dem all dies zusammenschnurrt, ist die V2. Die vermeintliche deutsche Wunderwaffe ist für Pynchon sexuell konnotiert. Im Roman, der mit expliziten, auch sadomasochistischen Szenen nicht geizt, gesellen sich weitere Phallussymbole hinzu: Bananen, Champagnerkorken, Heißluftballons. Doch sie hat noch eine weitere Funktion. Da sie zuerst einschlägt, ehe ihre Detonation zu hören ist, hebelt sie das Prinzip von Ursache und Wirkung aus.

36 Schauspieler sprechen 99 Figuren, jede hat einen eigenen Ton

Genau das aber hat Pynchon zu seinem poetologischen Programm erhoben. Bei ihm überschneiden sich Zeitebenen und Bewusstseinszustände, türmen sich Anspielungen und Verweise, werden Handlungsfäden gewoben, fallengelassen, wieder aufgegriffen, kurz: Herrschen Anarchie und Chaos. In den Worten Buhlerts: "Das Buch ist großartig und irre." Übrigens auch irre witzig. Buhlert ist es gelungen, diesen Geist hörbar zu machen, und sei es, dass er einen Satz wie "Esel brüllen ihr I-Ah und scheißen" einfach mal im Raum stehen lässt. Klaus Buhlert ist promovierter Akustiker, Musiker und Komponist. Stets hat es den Anschein, als läse er die großen Romane der Weltliteratur wie Partituren. Was man seinen Hörspielmanuskripten auch anmerkt.

Das hat den Vorzug, dass er den sperrigsten Werken einen Rhythmus verleiht, der es nicht selten leichter macht, zunächst den Adaptionen zu folgen als sich in den literarischen Vorlagen zurechtzufinden. Sparsam gesetzte Musik - hier anzitierte Jazzstandards, ein rumpelnder Mundharmonika-Blues oder ziemlich gechillte Klangflächen - besitzt Leitmotivcharakter. Hat man bei diesem wahnwitzigen Roadtrip quer durch Raum und Zeit einmal den Überblick verloren, was vorkommen kann und darf, wird man, dank ihnen, zurück ins Geschehen gezogen. Und selbst die Dialoge des bis in alle Nebenrollen exquisit besetzten Ensembles gehorchen melodischen Prinzipien. Jede Figur hat ihren eigenen Ton, was die Zusammenarbeit mit Buhlert für Schauspieler stets zu einer (heraus)fordernden Reise macht.

In "Die Enden der Parabel/Gravity's Rainbow" gibt es noch 99 Figuren, gesprochen von 36 Schauspielern von Bibiana Beglau über Felix Goeser, Peter Kurth, Jens Harzer und Thomas Thieme bis Corinna Harfouch. Und dann sind da noch Franz Pätzold, der als Erzähler den größten Part spricht und dabei auf unheimlich lässige Art das Tempo vorgibt, und Golo Euler als Slothrop. Dieser besticht durch potente Rotzigkeit und faultierhafte Schluffigkeit bis hin zu nonchalanter Verpeiltheit.

Zum ersten Mal arbeitete er fürs Hörspiel und ist eine echte Entdeckung. Seine Frage - "Was zum Teufel geht hier vor?" - lässt sich auch auf die gesamte, überaus gelungene Hörspielumsetzung beziehen.

Thomas Pynchon: Die Enden der Parabel. Gravity's Rainbow. Hörspielbearbeitung. Musik und Regie von Klaus Buhlert. Hörbuch Hamburg, Hamburg 2020. 13 CDs, Laufzeit ca. 14 Stunden. 79,99 Euro.

© SZ vom 15.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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