Hörspiel:Geschichte hören

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FM Einheit hat eine "Tonträgeroper" mit Andreas Ammer erarbeitet. (Foto: Muffatwerk)

"Deutsche Krieger" im Muffatwerk

Von Dirk Wagner, München

In einer formvollendeten Inszenierung müsste neben Fernseher und Volksempfänger auch ein Grammofon auf der Bühne der Muffathalle stehen, wo FM Einheit und Andreas Ammer ihre 1996 veröffentlichte Hörspieltrilogie "Deutsche Krieger" von einer Band begleitet live aufführen. Schließlich wird hier deutsche Geschichte des 20. Jahrhunderts quasi im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit mit Tondokumenten erzählt, die Ammer und Einheit für ihre "Tonträgeroper" aus den jeweils dominierenden Massenmedien der Geschichts-Abschnitte gewannen: aus dem Fernsehprogramm für den Baader-Meinhof-Komplex, aus Radioaufnahmen für den Zweiten und Schellackplatten für den Ersten Weltkrieg.

Doch das Prädikat "formvollendet" liegt ohnehin den beiden Künstlern nicht, die ihre Werke bei aller sorgfältigen Aufbereitung stets als Momentaufnahme eines Prozesses sehen. Da kann es schon passieren, dass wie hier ein vermeintlich perfektes Werk 20 Jahre später musikalisch überarbeitet wird. Im Grunde begann jene Arbeit Mitte der Neunziger ohnehin schon mit der Überarbeitung von Ammers Hörspiel "Kaiser Wilhelm Overdrive". Originaltöne aus der Zeit des Ersten Weltkriegs wirken hier in einer Collage. Doch der wichtigste O-Ton, nämlich die Rede, mit der Kaiser Wilhelm zum Krieg mobilisiert, ist eine Fälschung: In Ermangelung der Technik hatte der Kaiser jene Rede erst später aufgenommen. Ammer und Einheit inszenieren solche inszenierte Geschichte gleich wieder neu, indem sie die Rede des Kaisers mit Ausschnitten aus Heines Ballade "Belsatzar" kommentieren. Dargeboten wird diese ebenfalls auf Schellack vom Schauspieler Alexander Moissi mit dem damals üblichen übertriebenen Pathos.

Und auch die genutzten O-Töne des in der Nazi-Diktatur zum Massenmedium ausgeweiteten Radios im zweiten Teil der Trilogie, "Adolf Hitler Enterprise", entlarven Geschichtsfälschungen, wenn zum Beispiel ein Radiosprecher Hitlers Totenzimmer beschreibt. Vor dem aufgebahrten Hitler würde darin Goebbels beten. Sodann spricht dieser selbst: "Er soll uns bleiben, was er uns ist und immer war, unser Hitler." Mit dem heutigen Wissen um Hitlers Selbstmord kann man solche damaligen Geschichtsfälschungen leicht belächeln.

Die mediale Stimmungsmache in der Berichterstattung über Baader-Meinhof scheint indes noch in die heutige Zeit zu wirken. Der Bayerische Rundfunk, der die ersten Teile der Trilogie produziert hatte, unterstützte den Teil über den Deutschen Herbst, "Ulrike Meinhof Paradise", nicht mehr. Prompt fehlten Ammer und Einheit die Zugänge zu den Rundfunkarchiven. Unter anderem half darum das Münchner Label Trikont mit der vergriffenen Schallplatte "Der Krieg geht weiter" aus, auf der einige im Hörspiel verwendete O-Töne dokumentiert sind. Als das Stück Anfang des Jahres in Berlin erstmals live aufgeführt wurde, durfte jener dritte Teil erneut nicht gespielt werden, so dass die Live-Version am Freitag in der Muffathalle uraufgeführt wurde, ergänzt um Bilddokumente auf einem Fernsehschirm. Kurz vor Ulrike Meinhofs 40. Todestag am 9. Mai verführt die mitreißende Musik, die die O-Ton-Collagen kommentiert, fast zum Mittanzen. Ein gruseliger Tanz freilich zu den Anschlägen der RAF, zur Aufrüstung der inneren Sicherheit samt der Vorschläge von Politikern, die Todesstrafe wieder einzuführen, und zur Forderung von Bürgern, die Leichen der Terroristen auf der städtischen Müllkippe zu entsorgen.

Alexander Hacke von den Einstürzenden Neubauten, der in der Inszenierung die Gitarre spielte, präsentiert übrigens am 18. Mai mit Danielle de Picciotto im Unter Deck, Oberanger 26, das gemeinsame Album "Perseverantia".

© SZ vom 10.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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