Hörbuch:Reiß mich auf!

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James M. Cains berühmtester Roman "Der Postbote klingelt immer zweimal" aus dem Jahr 1934 ist eine Aufzeichnung aus der Todeszelle. Stefan Kaminski liest die dialoglastige Geschichte so, dass es den Hörer kräftig durcheinanderschüttelt.

Von Florian Welle

James M. Cain fackelt nicht lange. Gleich zu Beginn lässt er seinen jungen Ich-Erzähler, den Tramp Frank Chambers, vom Heuwagen fliegen und knallt ihn so nicht nur vor die Füße seines zukünftigen "Höllenweibes", der verheirateten Cora, sondern auch direkt vor den Latz des Lesers. Fortan hängt man gebannt an seinen Lippen. Hört, wie er sich immer wieder hochrappelt, nur um sich dann erneut an und mit Cora blutig zu schlagen. Einfach, weil es ist, wie es ist. Mal läuft es gut, mal schlecht. Und dann, wenn wirklich alles in Butter zu sein scheint, nachdem man Coras Mann Nick ermordet hat, halt richtig saudumm. Und so "baumelt, baumelt, baumelt" man in den Zeiten der Great Depression schließlich am Strick.

Cains berühmtester Roman "Der Postbote klingelt immer zweimal" von 1934 ist eine Aufzeichnung aus der Todeszelle. Handelt es sich also um eine Lebensbeichte? Das wäre ein falscher Begriff, weil darin so etwas wie Glaube mitschwingt. Den jedoch gibt es schlichtweg nicht bei Cain, über den Tom Wolfe einmal gesagt hat, dass es keiner "so durchzieht" wie er: "Hemingway nicht, ja, nicht mal Chandler." Oder, mit seinem Taugenichtshelden Frank gesprochen: "Ich hatte ins Blaue gezielt und genau ins Schwarze getroffen."

Alex Capus, der den abgründigen Stoff für den kürzlich gegründeten Schweizer Kampa Verlag mit einer zeitgenössischeren Sprachhärte neu übersetzt hat, stellt den ernüchternden Cain in einem Nachwort deshalb auch an die Seite der Existenzialisten. Und er denkt, wie schon in seinem jüngsten Werk "Königskinder", über die Frage nach, wie man eine Geschichte eigentlich erzählt. Dabei zeigt er sich ganz begeistert von der "schwer plotgetriebenen" Erzählkunst Cains. Selbst die vielen Zufälle der dialoglastigen Story können dieser selbst nichts anhaben, verpassen ihr lediglich ständig neue Twists, die den Leser hübsch hin und her würfeln.

Aber nicht nur ihn. Dank der Lesung durch Stefan Kaminski wird man auch als Hörer kräftig durchgeschüttelt. Kaminski trifft den hartgekochten Grundton Cains bis in die Nebenfiguren wie den geckenhaften Winkeladvokaten Katz und den hinterhältigen Staatsanwalt Sackett. Und dann erst bei dem in Hassliebe verbundenen Paar!

Obwohl er selten nüchtern ist, klingt Kaminskis Frank brutal trocken. Cora hingegen liest er stets mit einem Hauch in der Stimme, erotisch und fragil zugleich. Jederzeit aber kann aus diesem Hauchen ein Fauchen werden. Katzen, kleine wie große, spielen im "Postboten" ja eine nicht unwesentliche Rolle, und das eigentlich Frappierende an dem Buch ist das Animalische in der Beziehung zwischen Cora und Frank. Ihr ziemlich unverhohlen eingeschrieben sind Sadomasochismus und der Todestrieb ",Reiß doch, reiß mich auf' (...) Sie ging zu Boden, ihre Augen leuchteten. ,Oh ja, Frank, ja'."

James M. Cain: Der Postbote klingelt immer zweimal. Ungekürzte Lesung mit Stefan Kaminski. DAV, Berlin 2018. 3 CDs, ca. 3 Stunden 29 Minuten, 17,99 Euro.

© SZ vom 31.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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