Hörbuch:Kein Gras drüber

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Josef Winkler: Lass dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe. Ungekürzte Autorenlesung. Der Diwan Hörbuchverlag. 6 CDs, ca. 410 Minuten. Winterbach 2018, 24,90 Euro. (Foto: Verlag)

Josef Winkler liest den bitteren Brief an seinen Vater. Die Textsuada "Lass dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe" versucht, jahrzehntelange Sprachlosigkeit zu überwinden.

Von Florian Welle

Die Nachricht muss Josef Winkler wie ein Schock getroffen haben, der nur mittels Schreiben verarbeitet werden konnte. Erst vor wenigen Jahren erfuhr der Büchner-Preisträger, dass Odilo Globocnik, SS-Scherge und als Leiter der "Aktion Reinhardt" einer der größten NS-Verbrecher, nach seinem Suizid 1945 von den Briten auf einem Gemeinschaftsacker vor dem Ort Kamering unter die Erde gebracht worden ist. Genau dort, in den sogenannten Sautratten, wo Winklers Vater jahrein, jahraus das Feld bestellte und der 1953 geborene Schriftsteller als Bub buckelte. Darüber, wessen Knochen hier verrotteten und das Getreide, das man ja auch selbst verzehrte, gedeihen ließen, verlor der Vater sein Leben lang (er starb 2005 im Alter von 99 Jahren) kein Wort.

Winklers Textsuada "Lass dich heimgeigen, Vater, oder Den Tod ins Herz mir schreibe" hat man als Versuch zu lesen, diese jahrzehntelange Sprachlosigkeit zu überwinden. Gleich die ersten, konsequent in alter Rechtschreibung verfassten Zeilen lauten: "Lieber Tate! Böser Tate! Warum hast du geschwiegen, warum hast du es wohl verschwiegen, denn du mußt, wie all die anderen Dorfleute, wenn du uns deine Kriegserlebnisse und Kriegsabenteuer erzählt hast ... gewußt haben, gib's zu, mein Tate -, daß im Kärntner Drautal, in dem wir aufgewachsen sind, unweit von unserem kreuzförmig gebauten Heimatdorf Kamering, auf den Sautratten ... der aus Klagenfurt stammende Judenmassenmörder Odilo Globocnik verscharrt worden ist. Warum hast du uns nicht erzählt, auf welchem Boden wir stehen ..."

"... ich hatte sogar eine eigene Blutlache, mein Vater -, sie gehörte nur mir ..."

Winklers unverhohlen autobiografisches Werk in zehn Kapiteln mit barock anmutenden Titeln wie "Der Pfauenschrei beim abendlichen Betläuten und das frische Gras von den Sautratten auf den scharf gedengelten Schröckenfux-Sensen", das Roman zu nennen schwer- fällt, ist eine wütende, anklagende, verständnislose, derbe, unerbittliche, bittere Rede wider das Schweigen des Vaters - wiewohl der damaligen zur Trauer unfähigen Eltern im Allgemeinen.

Immer wieder umkreist Winkler in ellenlangen, musikalischen Sätzen sein Thema, oder kommt anhand von Signalwörtern wie "Sautratten", "Skelett", "Judenmassenmörder" obsessiv darauf zurück, nachdem man, für ihn typisch, zwischendrin einiges über das bäuerliche Leben und Denken gelesen hat, die Enge, den Katholizismus, die Erziehungsmethoden. Die Schläge des Vaters begreift der ihm anscheinend in vertrackter Hassliebe verbundene Sohn gar als Teil seiner Individuation: "Als du mich, mein Tate, in der Neuen Küche schlugst und das Blut aus meiner Nase rann, stand ich stolz und ergriffen in meiner eigenen Blutlache - ich hatte sogar eine eigene Blutlache, mein Vater -, sie gehörte nur mir, ich war also wer!" Lieber Tate, böser Tate: Unwillkürlich kommt einem dabei Kafka in den Sinn mit seinem Brief an den Vater.

Und es verwundert überhaupt nicht, wie Winkler seinen Traumatext als Hörbuch eingelesen hat: Äußerst klar im Duktus, mit lauter Stimme, die sich so gut wie nie zurücknimmt. Als Verlautbarung im wahrsten Sinne des Wortes. Hier hat sich einer im Schreiben Gehör verschafft und nun will er nicht nur still gelesen, sondern auch außerhalb der Buchdeckel vernommen werden.

© SZ vom 30.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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