Hörbuch:"Die Nacht ist meine Wohnung"

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Vier Romane hat Irmgard Keun zwischen 1936 und 1938 im Exil nicht geschrieben, sondern aufs Papier gehauen. Zwei sind bereits als Hörbuch verfügbar, nun ist mit "Nach Mitternacht" der dritte erschienen.

Von Florian Welle

Vier Romane hat Irmgard Keun zwischen 1936 und 1938 im Exil, nicht geschrieben, sondern aufs Papier gehauen. Schneller produziert hat nur Joseph Roth, der in Ostende der Partner, auch der Trinkpartner, des einstigen Fräuleinwunders war. Am Ende der Weimarer Republik erschien Keun mit "Gilgi" wie ein Komet am Literaturhimmel, ehe ihre Bücher von den Nazis als "Asphaltliteratur" verboten wurden.

Keun und Roth waren zwei Seelenverwandte, verzweifelt, gehetzt, vom Alkohol befeuert. Bis die Schriftstellerin sich trennte, kurz ihr Glück in Amerika suchte, um dann nach Europa zurückzukehren und 1940 schließlich in ihrer Heimatstadt Köln unterzutauchen. Dort überlebte sie den Krieg und ebendort starb sie auch 1982.

Hermann Kesten schrieb einmal über Keuns Zeit in Ostende: "Alles an ihr sprach und lachte und höhnte und trauerte. Sie war ganz Schmerz, ganz Empörung, ganz Leidenschaft, ganz Humor." All dies findet sich auch in den Exilromanen wieder, von denen im Audio-Verlag mittlerweile "Kind aller Länder" und "Das Mädchen, mit dem die Kinder nicht verkehrten durften" als ungekürzte Lesungen von Jodie Ahlborn vorliegen. Nun hat sich jüngst "Nach Mitternacht" zu ihnen gesellt. Aber nicht als Hörbuch, sondern als Hörspiel in der Bearbeitung und Regie von Barbara Meerkötter und mit Lisa Wagner in der Rolle der Susanne "Sanna" Moder, der 19-jährigen Ich-Erzählerin dieser Geschichte aus Nazideutschland im Jahre 1936, wo Denunziation und Berufsverbote zum Alltag gehören.

Die leicht brüchige Stimme von Lisa Wagner besitzt immer etwas gleichermaßen Verletzliches wie Unerschrockenes, und so ist die Schauspielerin eine Idealbesetzung für eine typische Keun-Heldin wie Sanna. Auf den ersten Blick naiv, doch dann mischt sich in diese vordergründige Gutherzigkeit eine gehörige Portion Willensstärke und Entschlossenheit. In "Nach Mitternacht" kommt aber noch etwas hinzu. Sanna befällt im Verlauf der Handlung - diese spielt an zwei Tagen, in denen sie mit ihrer Freundin Gerti nach einem Besuch Hitlers von Lokal zu Lokal durch Frankfurt driftet - eine Müdigkeit, die immer stärker wird: "Meine Lider haben kaum noch Kraft, sich von meinen Augen zu heben."

Und doch wird am Ende Sanna, die diese 48 Stunden bis dahin fast passiv miterlebte, so als würde sie traumwandeln oder ein Film an ihr vorüberziehen, all ihre verbliebene Kraft zusammennehmen und ihrem Geliebten Franz, der sich endlich wieder bei ihr gemeldet hat, zur Flucht aus Deutschland verhelfen. Sein Vergehen: Er hat einen Tabakladenbesitzer erwürgt, der ihn bei den Nazis angeschwärzt hat, damit er nicht auch ein Zigarettengeschäft eröffnen kann. Franz kam daraufhin in "Schutzhaft", während sein Kompagnon Paul hingerichtet wird. Thomas Wodianka spricht diesen Franz sanft und zurückgenommen.

Barbara Meerkötter hat "die betäubende Müdigkeit" von Sanna als stilistische Grundlage für ihre Hörspielbearbeitung genommen. Alle Personen, mit denen Sanna in Kontakt kommt - und das sind eine Menge, von der verhassten Tante Adelheid über aufdringliche SA-Verehrer bis zu all den vom Regime ausgegrenzten, verfolgten und in den Sarkasmus, den Suff oder in die Emigration fliehenden Freunden -, scheinen wie durch einen Schleier zu ihr und damit zu uns als Hörer zu sprechen. Nie von ganz nah, immer ein wenig aus der Ferne, wattiert. Dazwischen montiert sind lediglich einige wenige Geräusche wie das Plätschern von Regen, die kurz Realismus andeuten. Alles in allem aber herrscht eine fast surreal zu nennende Atmosphäre.

Das ist ganz richtig inszeniert: Denn der Roman besitzt mit der Bertchen-Szene eine der unwirklichsten, gespenstischsten Keun-Passagen überhaupt. Da sagt eine Fünfjährige, von Krankheit geschwächt, im Lokal ein Gedicht auf den Führer so lange auf, bis sie tot umfällt. Im Roman geschieht dies ziemlich am Anfang, Barbara Meerkötter hat sie genau in die Hörspiel-Mitte gestellt, um ihre Bedeutung zu unterstreichen. Auch für Sanna und ihre Entwicklung: "Ich stehe auf der Straße, die Nacht ist meine Wohnung. Bin ich betrunken? Bin ich verrückt? Die Stimmen und Geräusche um mich fielen von mir ab wie ein Mantel, ich friere. Die Lichter sterben. Ich bin allein. Bertchen Silias ist tot."

Irmgard Keun : Nach Mitternacht. Mit Lisa Wagner, Thomas Wodianka. 2 CDs, Laufzeit eine Stunde und 36 Minuten. Der Audio Verlag, Berlin 2018. 16,99 Euro.

© SZ vom 12.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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