Herr der Ringe (III):Hallöchen, hier ist Teil 3

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Stoßgebet bei der Vorpremiere in Berlin: "Bitte, ihr tapferen Neuseeländer, ihr Wahnsinnigen vom anderen Ende der Welt! Enttäuscht uns nicht!" Und dann erfüllen Peter Jackson und die "Herr der Ringe"-Mannschaft sämtliche Hoffnungen der Welt.

TOBIAS KNIEBE

Dies ist, man kann es nicht anders sagen, eine Zeit des Scheiterns. Gewaltige Kräfte werden mobilisiert, Millionen bewegt, hehre Ziele beschworen - und klägliche Ergebnisse präsentiert: Die Jagd auf Osama bin Laden, der Krieg im Irak, der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, selbst Toll Collect - wo Hybris war, herrscht Heulen und Zähneklappern.

Die ganze Trilogie ist, auch hinter der Kamera, die Feier eines mythischen Gemeinschaftsprojekts, das über die normale kapitalistische Motivation (hübsche Gewinne für alle) weit hinausgeht. (Foto: N/A)

Auch das Kino scheint davon infiziert: Zuletzt war "Matrix Revolutions" zu bestaunen, ein rauchendes Wrack des Größenwahns, auf "Star Wars Episode III" freut sich längst keiner mehr, und wann immer von Riesenbudgets die Rede ist, ahnt man bereits die künftigen Katastrophen. Kein Wunder also, dass die Welt am Mittwoch besorgt nach Berlin blickte: Dort zog, eine Woche vor dem eigentlichen Kinostart, der "Herr der Ringe" in seinen dritten und letzten Kampf - und als die Lichter im Saal der Europapremiere ausgingen, flog manches stille Stoßgebet zum Himmel: Bitte, ihr tapferen Neuseeländer, ihr Wahnsinnigen vom anderen Ende der Welt! Enttäuscht uns nicht! Beweist, dass so etwas überhaupt noch möglich ist, wenigsten im Reich der Fiktion: Ein großes Werk auch groß und in Würde zu Ende zu bringen.

Und ja, sie haben es geschafft. Diese tapferen Neuseeländer haben nicht nur standgehalten, sie haben den Einsatz noch einmal erhöht und alles in den Kampf geworfen, was zu mobilisieren war: Wo bisher zehntausend waffenstarrende Monster zum Angriff marschierten, sind es nun zweihunderttausend. Wo bisher ein paar turmhohe Kriegselefanten gemächlich durch die Lande zogen, stürmen sie nun zu Dutzenden in die Schlacht. Wo bisher ein paar Drachen spähend durch die Lüfte flogen, greifen sie nun wie Sturzkampfbomber ins Geschehen ein. Und die Schicksalswege der Protagonisten, in eher hölzernen Sätzen beschworen, verdichten sich nun zu Dramen von Shakespearescher Resonanz. "Die Rückkehr des Königs" ist mit Abstand der beste der "Herr der Ringe"-Filme. Und die Fans, die schon die ersten beiden Teile in die ewige Kino-Hitliste katapultiert haben, von denen letzte Woche 120000 die Straßen in Wellington säumten, um Peter Jackson und seine Darsteller zu feiern - sie haben diese Steigerung wahrlich verdient.

Eine letzte enorme Kraftanstrengung für alle Figuren - darum geht es. Keine Pflanze wächst mehr in den schwarzen Vulkanlandschaften, die der Hobbit Frodo (Elijah Wood) nun durchwandern muss, kein Sonnenstrahl durchbricht das Dämmerlicht im Reich des Bösen. Er verzweifelt an der Aufgabe, den alles beherrschenden Ring zu vernichten - aber vielleicht ist auch er längst korrumpiert von dessen dunkler Macht. Gegen die Einflüsterungen des grausam mutierten Begleiters Gollum, der sich selbst nach dem Schatz verzehrt, ist er nicht mehr immun - und beinah verstößt er Sam, seinen treuen Freund. Der wiederum, die letzte Bastion des Common Sense, entwickelt immer größeren Heldenmut - und geht als wahrer Sieger aus den Prüfungen hervor.

Die anderen Gefährten rüsten sich derweil zum Endkampf mit den Armeen der Finsternis, der sich auf eine Festung namens Minas Tirith konzentrieren wird - eine Art megalomane, schneeweiße Version des französischen Mont St. Michel. Der Zauberer Gandalf (Ian McKellen) organisiert dort den Widerstand, das Reiterheer von Rohan eilt zur Hilfe, und Aragorn (Viggo Mortensen), der verlorene Sohn des Königreichs Gondor, kann seiner Bestimmung nicht länger entfliehen: Er ergreift das Schwert seiner Vorfahren, mobilisiert ein Totenheer, das seit Jahrhunderten auf Erlösung wartet, und kehrt als König in die Schlacht zurück. Aber selbst nach diesem epischen Kräftemessen, das eine Stunde dauert und unter Tolkienisten gern auch World War Zero genannt wird, ist der Sieg noch nicht gesichert. Denn noch immer müssen zwei schwächliche Hobbits, nun gänzlich am Ende ihrer Kräfte, die Vernichtung des Rings zu Ende bringen - und dabei nicht zuletzt ihre eigene Gier überwinden ...

Die Erlösung, so unausweichlich sie kommt, kostet nicht nur übermenschliche Kraft, sondern übersteigt auch die individuellen Fähigkeiten von Hobbits, Elben, Zwergen und Zauberern. Die ganze Trilogie ist, auch hinter der Kamera, die Feier eines mythischen Gemeinschaftsprojekts, das über die normale kapitalistische Motivation (hübsche Gewinne für alle) weit hinausgeht.

Die Loyalität, mit der die "Ringe"-Armee ihrem Feldherrn Peter Jackson ergeben war, erinnert fast an archaische Zeiten. An manchen Punkten schien es so, als sei praktisch jeder Neuseeländer mit eingespannt gewesen, verstrickt in einen heiligen Krieg um das Herz des Kinogängers. Und Jackson geht es, man kann es nicht anders sagen, um Überwältigung in jedem Bild. Er zelebriert nicht nur die bedingungslose Vernichtung des Bösen, er will auch die bedingungslose Kapitulation des Zuschauers - bis zum letzten, tränenerstickten Lebewohl. Und, wider besseren Wissens,ergibt man sich am Ende gern.

Wenn zweitausend Reiter über ein Schlachtfeld preschen, wo sie hunderttausend gepanzerte Ork-Monster niederwalzen, während die Kamera rasant über das Geschehen fliegt - dann ist dies offensichtlich Jacksons Vision einer perfekten Filmszene. Schwindelerregende Bewegung, hemmungslose Massenchoreographie, gottgleiche Perspektiven - welchem anderen Regisseur würde man das so leicht verzeihen?

Kämen er und sein Team aus Amerika, aus einem europäischen Land mit Großmacht-Vergangenheit, oder gar aus Deutschland - man könnte weder diese Aufnahmen ertragen noch die Appelle an einen kriegerischen Idealismus, die im Kern der Geschichte lauern. Denn ganz entscheidend ist eben doch, wer dieses Kriegsspiel veranstaltet: die Erben friedlicher Kiwizüchter und Schaffarmer.

Von den vielen Abschiedsszenen, die Jackson sich am Ende gönnt, ist die letzte besonders sprechend: Sam und seine Hobbit-Kleinfamilie, Vater, Mutter, zwei Kinder, ein blühender Vorgarten, Lächeln, Frieden - so entlässt uns der Film. In Tolkiens Roman müssen die Helden bei ihrer Rückkehr feststellen, dass der böse Zauberer Saruman das Auenland geschändet und verwüstet und die Hobbits versklavt hat.

Der Feind hat ihren letzten Zufluchtsort infiziert, die ursprüngliche Unschuld ist nirgendwo mehr zu finden. Peter Jackson schreckt davor, höchst signifikant, zurück: Saruman verschwindet ohne Spur, das Auenland wird niemals angetastet. In diesem Schluss ist eine sehr aktuelle Sehnsucht zu erkennen: Dass der Konflikt, wenn wir in der Fremde nur tapfer genug kämpfen, niemals bis zu den eigenen Hütten gelangen wird. Die Wirklichkeit sieht, wie wir wissen, anders aus: Da ist der vollständige Sieg nicht mehr zu haben, und Saruman ist einfach nur abgetaucht. Bald, sehr bald wird der erste Selbstmordattentäter ins Auenland aufbrechen.

THE LORD OF THE RINGS: THE RETURN OF THE KING, USA/NZ 2003 - Regie: Peter Jackson. Buch: P. Jackson, Fran Walsh, Philippa Boyens. Kamera: Andrew Lesnie. Fabelwesen, Miniaturen: Richard Taylor. Musik: Howard Shore. Mit: Elijah Wood, Ian McKellen, Liv Tyler, Viggo Mortensen, Sean Astin, Orlando Bloom. Warner, 210 Minuten. Der Film startet kommenden Mittwoch.

© SZ v. 11.12,2003 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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