Heimatliteratur:Wenn Agnes zum Strafgericht ins Tal hinabsteigt

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Peter Keglevic: Wolfsegg. Roman. Penguin Verlag, München 2019. 317 Seiten, 20 Euro. (Foto: N/A)

Dieses Melodram wirkt seltsam aus der Zeit gefallen: "Wolfsegg" von Peter Keglevic entpuppt sich als altbackener Schicksalsroman aus den Alpen.

Von Burkhard Müller

Ein Autor, der seinen Roman "Wolfsegg" nennt, braucht einiges Selbstvertrauen: Denn Wolfsegg, so hieß der zentrale Ort in Thomas Bernhards letztem großen Werk "Auslöschung": das Familienschloss des Helden, auf das er sich nach langen Wanderungen zurückzog. Das titelgebende Wolfsegg in Peter Keglevics Buch ist deutlich kleiner proportioniert, eine Hütte irgendwo in den österreichischen Alpen über der Baumgrenze, auf keiner Karte verzeichnet, das perfekte Refugium für jemanden, der Grund hat, sich zu verstecken.

Hier verschanzt sich die 15-jährige Agnes Waldner aus Hinterwald (ja, es gibt viel Wald in diesem Buch) mit ihren beiden kleineren Geschwistern, für die sie verantwortlich ist, nachdem sie Vater und Mutter verloren haben. Es war eine ärmliche kleinbäuerliche Familie gewesen, mit nichts als einer Sau und ein paar Hühnern und Ziegen. Der Vater Wenzel hatte als Jäger und Waldhüter für einen adligen Großgrundbesitzer gearbeitet, war aber zuletzt gefeuert worden; dass er sich nunmehr als Wilderer schadlos hält und tage-, ja wochenlang verschwunden bleibt, schafft eher Probleme, als dass es sie löst.

Der Vater zwingt den Übeltäter mit vorgehaltener Flinte zu einem öffentlichen Schuldbekenntnis

Die Mutter Marie ist unheilbar an Krebs erkrankt. Und als ob das alles noch nicht reichen würde, bekommt Agnes es auf ihrer Lehrstelle bei der Raika, dem österreichischen Gegenstück zur BayWa, mit ihrem miesen Vorgesetzten Scholtysek zu tun, der sie zu vergewaltigen versucht und, als sie sich zur Wehr setzt, ihr einen Diebstahl in die Schuhe schiebt, weshalb sie in Schanden entlassen wird.

Der Vater ist entschlossen, seine Tochter zu rächen. Mit vorgehaltener Flinte zwingt er den Übeltäter zu einem öffentlichen Schuldbekenntnis. Das sorgt für einen ungeheuren Skandal, Scholtyseks Kumpel dringen ins Haus der Waldners ein, verwüsten es, veranstalten eine Hetzjagd auf den geflohenen Wenzel und erlegen ihn schließlich mit einem Schuss, was natürlich vertuscht wird; die Mutter übersteht es nicht. Für die Kinder ist in diesem Ort ihres Bleibens nicht länger, sie ziehen empor ins Gebirge. Doch von dort steigt Agnes, gerüstet mit dem Jagdarsenal des Vaters, ins Tal hinab, um ein fürchterliches Strafgericht über die Betreiber des Kinderheims Maria Hilf! zu halten, wo auch sie einst als Kind missbraucht wurde ...

Das ganze Melodram wirkt merkwürdig aus der Zeit gefallen. Auch wenn man berücksichtigt, dass es gegenwärtig einen starken Bedarf an Heimatliteratur süddeutsch-alpinen Zuschnitts gibt, einen Bedarf an knorziger Misere und Helden, die mit dem Herzen auf dem rechten Fleck sich nicht unterkriegen lassen, "kraftvoll, archaisch, düster", wie es der Klappentext verheißt, kommt einem die soziale und ökonomische Konstellation dieses Romans doch vor, als wäre so etwas das letzte Mal in den Siebzigern oder höchstens noch in den Achtzigern möglich gewesen: damals, als sich auch in Österreich der sozialdemokratische Umbau der Gesellschaft vollzog und mit einiger Verzögerung auch die Bergregionen erreichte. Diese Pfarrer, diese Wilderer, diese Ziegenbauern, ganz allgemein diese Schicksale gehörten damals schon einer aussterbenden Spezies an und dürften seither ziemlich komplett ausgestorben sein.

Dem Duktus und dem Plot merkt man an, dass der 1950 in Salzburg geborene Verfasser, der spät zur Literatur gefunden und 2017 den Roman "Ich war Hitlers Trauzeuge" veröffentlicht hat, sonst vor allem als Regisseur fürs Fernsehen tätig ist. Das auf schlechte Weise Fernsehspielmäßige verrät sich am meisten bei den Dialogen. "'Weil, wenn'st mit mir gehst, lassen dich die anderen in Ruh. Weil ... dir ist schon klar, du bist hier ein Mädel ... in einer, verstehst, Männerwelt! Und da wär Schutz angebracht - logo, oder?'"

Redet so irgendein Mensch, sei es in den Alpen oder sonstwo in der Welt? Im Fernsehspiel mag das noch angehen, man sieht dazu Schauspieler, die ihre Rollen sprechen, das erzeugt wenigstens einen Schein des Glaubhaften. Aber hier hängen die Dialoge im luftleeren Raum der Buchseite. An diesem Roman erstaunt nichts so sehr, wie dass er überhaupt geschrieben werden konnte.

© SZ vom 17.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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