Heike-Melba Fendel:In der Summe

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Für zehn Tage ist der Mann ausgezogen, für "Zehn Tage im Februar". Außerdem hat er eine Kontaktsperre verhängt. Die Reaktion der Frau: Ich lasse mich nicht verlassen. Sie ist im Filmbusiness tätig und es sind die zehn Tage der Berlinale 2013.

Von Meredith Haaf

In den Wogen einer Trennung fühlt sich das Leben sehr provisorisch an, daher passt kein Monat so sehr zu einem Herzen, das in die Klemme geriet, wie der Februar. Abgesehen davon, dass man nie so gut ins Kino gehen kann wie im Februar, und sich Liebesschmerz mit nichts, aber auch gar nichts so gut begegnen lässt wie mit Kinobesuchen. Den Titel des sehr unterhaltsamen Romans von Heike-Melba Fendel "Zehn Tage im Februar" kann man also ruhig metaphorisch verstehen, auch wenn sich die Rahmenhandlung konkret auf die zehn Tage der Berlinale 2013 bezieht.

Eine Frau, die im Berliner Stadtteil Alt-Tempelhof lebt, eine nicht näher beschriebenen "Firma" in der Filmbranche betreibt und über Abendroben verfügt, die sie zu Anlässen auf roten Teppichen trägt, findet einen Zettel in ihrem aufwendig sanierten Eigenheim: Ihr Mann ist ausgezogen, für zehn Tage, das sei besser so für beide, und eine Kontaktsperre hat er ebenfalls verhängt. Ein unilaterales Manöver, auf das die Frau reagiert: "Ich lasse mich nicht verlassen." Sie schmeißt sich in ihre Robe, schwingt sich auf ihr Fahrrad und rast zur Berlinale-Eröffnung. Auf Seite 35 sitzt die Erzählerin zum ersten Mal im Kino, "Grandmaster" von Wong Kar-Wai. Sie versteht den Film nicht, aber das wirft sie ihm nicht vor. Sie und Wong Kar-Wai, den sie nur kurz persönlich getroffen hat in ihrer beruflichen Funktion, haben eine lange und komplizierte Geschichte: "Es gebe Tage, an denen schmecke einem kein Wein, hat mir einmal ein Weinhändler gesagt, als ich mich für keine seiner Empfehlungen entscheiden konnte. Es gibt auch Tage, an denen passt einem kein Film."

Heike-Melba Fendel: Zehn Tage im Februar. Roman. Blumenbar Verlag, Berlin 2017. 208 Seiten, 18 Euro. E-Book 13,99 Euro. (Foto: verlag)

Filme sind Resonanzraum für all ihre Lebensphasen

Es gibt allerdings im Leben dieser Frau nichts, was annähernd so stark ist wie ihre Beziehung zum Film. Kommt sie an einem Plakat mit dem Gesicht des Schauspielers Tim Robbins vorbei, kann sie nicht anders, als das Foto auf den Mund zu küssen. "Der Mann", wie sie ihn ausschließlich nennt, macht sie dauernd nur wütend, in seiner Berechenbarkeit und seinem Wunsch nach einer Existenz ohne existenzielle Dramen. Dass die Erzählerin nachts die Kissen schmutzig weint und tagsüber kaum essen kann vor Verlassenheitsgefühlen, erfahren wir eher nebenbei. Die Freundschaften zu anderen Frauen sind nicht zahlreich und oft belastet, meistens durch deren Männerbeziehungen. Filme sind Referenzrahmen und Resonanzraum für all ihre Lebensphasen - insbesondere die Filme der neuseeländischen Regisseurin Jane Campion.

Jedes zweite Kapitel erzählt in Rückblenden, wie der Film schon früh die Macht über die Lebensentscheidungen der Erzählerin übernommen hat. Als junge Studentin in den späten Siebzigerjahren reist sie von Köln nach Berlin, nur um "Der Pate" im Kino zu sehen. Eine Berliner Zufallsbekanntschaft empfiehlt ihr, nach Cannes zu reisen. Damit ist ihre Welt eröffnet: "Ich hatte noch nie so viele Filme auf einmal gesehen, vier oder fünf an jedem der zehn Tage. Einige mochte ich, viele sagten mir nichts. Aber in der Summe sagten sie mir etwas. Auch die Summe der Menschen, denen ich begegnet war, und alles, was ich mit ihnen erlebt hatte, sagten mir etwas."

Und so erzählt Heike Melba-Fendel eine Art doppeltes Coming of Age - das intellektuell-kulturelle Erwachen einer jungen Frau und die emotionale Entwirrung einer nicht mehr ganz so jungen Frau, die zu allem außer zum Stillstand bereit ist. Es ist vielleicht nicht der angenehmste Weg, sein Leben Prinzipien zu unterwerfen, von denen man sagen würde, dass es sie doch nur im Kino gibt. Aber, und das ist die Geschichte, die Fendel umstandslos erzählt, es ist eine Möglichkeit. Irgendwann ist auch der Februar vorbei.

© SZ vom 28.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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