Hannah Ryggens gewebte Bildteppiche:Fies strahlende Allegorien

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(Foto: Trondheim Kunstmuseum, Norwegen, VG Bild- Kunst, Bonn 2019)

In der Frankfurter Schirn-Kunsthalle kann man das Werk der norwegische Weberin und Malerin Hannah Ryggen wiederentdecken - und eine der erstaunlichsten Künstlerbiografien des 20. Jahrhunderts.

Von Catrin Lorch

Hannah Ryggen hatte eine der erstaunlichsten Künstlerbiografien des 20. Jahrhunderts. Als Arbeiterkind im Jahr 1894 im schwedischen Malmö geboren, entwickelte sie ihr Werk in der Abgeschiedenheit eines Selbstversorger-Bauernhofs in Norwegen, knapp unter dem Polarkreis. Aber nicht als Malerin, sondern als Weberin, die konsequent politische Motive in ihre Arbeit einfließen ließ: Äthiopienkrieg, Hitlerdeutschland, Finanzkrise und Atomkraft verwebte sie in monumentale Bildteppiche. Obwohl ihre Werke 1937 bei der Pariser Weltausstellung im norwegischen Pavillon zu sehen waren und in der Nachkriegszeit auf der Biennale von Venedig und in internationalen Museen gezeigt wurden, geriet sie in Vergessenheit.

Doch spätestens seit der documenta 13, als eine Reihe ihrer Wandteppiche in der zentralen Rotunde im Kasseler Fridericianum ausgestellt wurden, ist die Szene sich der Bedeutung der Künstlerin wieder bewusst geworden. Nicht nur wegen ihres politischen Engagements, sondern auch wegen ihrer engen Verbindung zur Natur. Ryggen verarbeitete am selbst gebauten Hochwebstuhl die Wolle ihrer eigenen Schafe, färbte sie mit Kräutern und Beeren. Die aktuelle Ausstellung und der Katalog "Hannah Ryggen. Gewebte Manifeste" der Frankfurter Schirn-Kunsthalle (bis 12. Januar 2020) ist die nächste Stufe der Wiederentdeckung in Deutschland, 25 der empfindlichen Teppiche wurden für die Schau ausgewählt. Erstmals ist das Werk in Deutschland damit in dieser Gesamtheit zu erleben, von frühen Bildern wie "Synderinnen (Die Sünderin)" (1926), das wirkt wie ein Heiligenfries, bis zu den farbig strahlenden Werken der Nachkriegszeit wie dem monumentalen "Wir leben auf einem Stern" aus dem Jahr 1958, das im Eingang des Regierungshochhauses in Oslo hängt. Der Rundgang beweist ihre Originalität, vor den Teppichen wird aber auch sichtbar, wie sehr die eigentlich als Malerin ausgebildete Ryggen immer eine Künstlerin blieb, auch nachdem sie sich für die Weberei entschieden hatte. Vor den meterhohen- und breiten Werken kann man nachvollziehen, dass ihr die jahrtausendealte, weiblich konnotierte Technik einfach mehr entsprach als die Arbeit mit Pinsel und Pigment. Zudem eröffnete die Tradition des Wandteppichs ihr die Möglichkeit, an gewaltigen Formaten zu arbeiten, mit denen sie am liebsten "Schulen und Versammlungssäle eines Arbeiterstaates" geschmückt hätte.

Was sie als Malerin gelernt hatte, übertrug sie konsequent auf die Arbeit mit Wolle und Schiffchen. Hannah Ryggen brachte die stumpfen Farben ihrer Fäden zum Leuchten, wenn sie Kontraste noch einmal an den Rändern aufhellte oder sanfte Übergänge aus unzähligen Abstufungen von Blau- oder Rottönen modellierte. Schon deswegen wirken ihre kantig-naiv gezeichneten Figuren auch nie flach oder leblos. Sie erinnern an indigene oder archaische Kunst.

In ihrer Farbigkeit blieb sie dem Expressionismus verbunden, die Kompositionen, auch wenn sie Rapporte und Muster einwebte, blieben immer spannungsvoll, folgten eng der zeitgenössischen Malerei. Der sogenannte "Picasso-Teppich", Anfang der Fünfzigerjahre gewebt, verschmilzt munter die Figuren der klassischen Mythologie mit strahlendheller Abstraktion. Die schönste Trouvaille bleibt aber "Atomsen (Herr Atom)", die Darstellung der Atomkraft als rundköpfige, kaltblaue, fies strahlende Allegorie. Es ist ein kleiner Mann, der Hannah Ryggens aufrichtig empfundenem Grauen Gestalt verleiht, nicht so sehr vor einer zerstörerischen Technik, denn vor den grausamen Köpfen dahinter.

© SZ vom 23.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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