Großformat:Wider die Zensur

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Marta Minujín hat 1983 den Athener Parthenon aus verbotenen Büchern nachgebaut. Auf der nächsten Documenta wiederholt sie diese Aktion, dieses Mal jedoch in Originalgröße.

Von Catrin Lorch

Wie geht man mit den Hinterlassenschaften einer Diktatur um? Als nach dem Ende der Militärherrschaft in Argentinien diese 25 000 Bücher wieder auftauchten, war es ja vor allem ein Wiedersehen. Denn es waren verbotene Werke, die von den Militärbehörden beschlagnahmt worden waren. Die Künstlerin Marta Minujín, 1943 in Buenos Aires geboren, organisierte die Rückgabe dieser Bücher, völlig unübersehbar. Indem sie 1983 eine Skulptur daraus baute, "El Partenón de libros (The Parthenon of Books)", eine Replik des Parthenon-Tempels auf der Akropolis. Das Gerüst dieses Buchtempels, das die Künstlerin an einer Straße im Süden von Buenos Aires zusammenschweißen ließ, war ein Viertel so groß wie die gewaltige Ruine in Athen, dem Sinnbild westlicher Demokratie. Nachdem Säulen, Tympanon und Gebälk mit den sorgsam in Folie verschweißten Büchern gefüllt worden waren, ließ Minujín die Konstruktion von Kränen anheben. Die Rückgabe der verlorenen Gedanken begann.

Marta Minujín wird im kommenden Jahr wieder einen Tempel bauen, einen "Parthenon of Books". Und dieses Mal soll er genauso groß werden wie das Original. Voraussichtlich wird vor dem Fridericianum in Kassel nicht viel Grün übrig bleiben, wenn die Konstruktion einmal steht, der Parthenon wird dann den Ort überwölben, auf dem am 19. Mai 1933 im Zuge der "Aktion wider den undeutschen Geist" von den Nationalsozialisten mehr als 2000 Bücher verbrannt wurden. Anfang der Vierzigerjahre stand dann das Fridericianum selbst in Flammen, damals eine Bibliothek, und mehr als 350 000 Bücher zerfielen zu Asche.

Die Documenta 14 hat Marta Minujín zu der Aktion eingeladen. Der "Parthenon of Books", der daran erinnert, dass Zensur und die Verfolgung von Autoren immer noch Realität sind, könnte eines der größten Kunstwerke der Nachkriegszeit überhaupt werden, ein unübersehbares Wahrzeichen der nächsten Ausgabe der Weltkunstschau, die am 8. April in Athen, ihrem zweiten Spielort beginnt, und am 10. Juni in Kassel eröffnet wird.

Bis dahin müssen nun 100 000 Bücher zusammen kommen, damit das Material reicht. Der künstlerische Leiter der Documenta, Adam Szymczyk, bittet um Spenden - und nicht nur Verlage sind aufgerufen, sondern jeder ist eingeladen, zur Realisierung beizutragen und ein in der Vergangenheit oder auch jetzt in der Gegenwart von der Zensur verbotenes Buch einzusenden. Die Documenta, die auf der Frankfurter Buchmesse vom 19. bis zum 23. Oktober in der Agora auf dem Messegelände die Spenden entgegennimmt, hat auf ihrer Website die von den Nationalsozialisten verfemten Titel veröffentlicht - erstaunlicherweise eine der ersten womöglich vollständigen Aufstellungen der im Nationalsozialismus verbotenen Bücher.

© SZ vom 08.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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