Großformat:Tagebuch eines Tanzes

Acht Jahre hat der US-amerikanische Choreograf John Neumeier in den Achtzigerjahren an "Peer Gynt" gearbeitet. Wir zeigen die Fotos der ersten Probe von damals.

Von Dorion Weickmann

29. Oktober 1988, Ballettsaal der Hamburger Staatsoper. Zugegen sind: die Tänzerin Gigi Hyatt, der Tänzer Ivan Liška, der Choreograf John Neumeier. Angesetzt ist die erste Probe von "Peer Gynt" nach Henrik Ibsen. Die Idee dazu kam dem Ballettdirektor bereits 1981. Perfektionistisch wie der Amerikaner ist, hat er Jahre mit Recherchen zugebracht. Hat das Libretto wieder und wieder umgeschrieben und hartnäckig nach einem Komponisten gesucht, dessen Musik seine Fantasie entzündet. Bis er auf Alfred Schnittke stieß.

An diesem Herbsttag entwirft und verwirft Neumeier zweieinhalb Stunden lang Situationen und Schrittkombinationen. Jede Etappe wird fotografisch festgehalten. Obwohl der versierte Tanz-Erzähler vorher alles genau durchdacht hat, reagiert er im Ballettsaal intuitiv: "Tierbilder entstehen plötzlich", notiert er anschließend in sein Arbeitsjournal, in das er auch die Fotos klebt, die wir zeigen. Eines erinnert ihn an eine Szene aus Federico Fellinis "La Strada": "Egal, wie sehr ein Hund dich liebt, er kann doch nur bellen", schreibt Neumeier dazu. Das Bild, auf dem Liška (alias Peer) einen Troll markiert, versieht der Chronist in eigener Sache mit dem passenden Ibsen-Zitat.

Neumeier dokumentiert den gesamten Probenprozess in Tagebuchform. Das macht er immer so. Zuverlässig stellen sich auch dieses Mal Selbstzweifel ein: "Kann ich dieses Ballett jemals zu Ende bringen? Kann ich überhaupt choreografieren?", fragt er sich auf halber Strecke zur Premiere am 22. Januar 1989.

Die Texte, Skizzen und Fotoaufnahmen aus diesem Tagebuch hat Neumeier jetzt für eine Neufassung des Balletts herangezogen. Diesen Sonntag geht sein "Peer Gynt" in Hamburg wieder über die Bühne.

© SZ vom 27.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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