Großformat:Stillleben mit "SZ"

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(Foto: sz)

Eine bisher unveröffentlichte Aufnahme aus dem Atelier von Wolfgang Tillmans, dem Starfotografen der zeitgenössischen Kunst, zeigt südliches Flair.

Von Catrin Lorch

Dass man Menschen auf Youtube "beim Sterben zusehen" kann, steht in der Zwischen-Überschrift, im Kleingedruckten kommen auch Gott vor, der Krieg und Handyvideos. Es ist ein dichter Bildausschnitt, den die Kamera hier gewählt hat: Man schaut aus aller Nähe auf diese Zeitungsseite, darüber liegt der angetrocknete Strunk einer exotischen Pflanze. Hat Wolfgang Tillmans das so arrangiert - oder lag das kräftige Grün zufällig auf dem Schwarz-Weiß des Papiers, sodass die zart ausfransenden Cremetöne der Stacheln genau auf den gleichen Farbton im Bast-Untersetzer zeigen?

Mehr, als dass diese Ausgabe der Süddeutschen Zeitung vom 11. Oktober 2014 mit ihm damals weit gereist sei, mag Wolfgang Tillmans zu der Entstehung von "still life, Calle Real II" (2014) nicht sagen. Und dass man auf solchen Reisen - während derer man beispielsweise im Flugzeug Gelegenheit habe, eine Tageszeitung wirklich komplett zu lesen - bemerke, dass darin die ganze Welt abgebildet sei.

Der im Jahr 1968 geborene Wolfgang Tillmans wurde Anfang der Neunziger Jahren mit ikonischen Aufnahmen für Magazine und Bücher berühmt. Der als erster Fotograf überhaupt mit dem bedeutenden Turner-Preis ausgezeichnete Künstler hat mit seinen Fotografien, Ausstellungen und Foto-Installationen die Bildästhetik seiner Generation geprägt wie kein anderer.

"still life, Calle Real II" hält es aus, lange angesehen zu werden. Obwohl sich der abgebildete Zeitungsartikel genauso verschließt wie die dicken Blätter der Agave. Statt dem Text hinterherzublicken, kann man auch daran denken, dass, nach dem Lesen, die Blätter von Zeitungen so welk werden wie Blüten. Und vielleicht gerade noch dazu gut sind, beim Gemüseputzen untergelegt zu werden oder Fisch einzuwickeln. Auf diesem Foto wird eben nichts dokumentiert. Warum sollte "still live" auch mehr von seiner Entstehung preisgeben als, nur beispielsweise, die Spargelstangen eines Édouard Manet. Dieses Motiv, das Wolfgang Tillmans hier als Großformat erstmals zeigt, ist ein Stillleben aus eigenem Recht; eine ganz und gar zeitgenössische Antwort auf ein großes Genre.

In München werden demnächst unbekannte Aufnahmen aus Tillmans Atelier auch noch an anderer Stelle gezeigt werden: Er gestaltete für die erste Spielzeit des Intendanten Matthias Lilienthal das Programmheft und die Plakate der Kammerspiele mit.

© SZ vom 02.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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