Großformat:Flagge für ein zerrissenes Land

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Der Künstler Jasper Johns hat unzählige Versionen der Stars and Stripes gemalt. Keine stellt das heutige Amerika treffender dar als diese kaum bekannte Zeichnung von 1982.

Von Catrin Lorch

Jasper Johns sagte einmal, die "Flag" sei ihm im Traum erschienen. Zwei Jahre nachdem er die Armee verlassen hatte, es war 1954, malte der amerikanische Künstler die Stars and Stripes zum ersten Mal. Die Flagge wurde nicht nur sein bekanntestes Motiv, sondern auch eine Ikone der Pop-Art. Versionen davon hängen in jedem besseren amerikanischen Museum.

Der Reiz lag unter anderem darin, dass sich nicht beantworten ließ, ob Johns eine Fahne gemalt oder eine gemacht hatte. Handelte es sich bei dem kleinen Gemälde mit der spachtelig aufgetragenen Farbe um ein Sternenbanner oder um dessen Abbildung? Und wie ist dann im Museum damit zu verfahren? Immerhin gelten in den USA genaue Regeln, wie die Fahne zu präsentieren ist. Alfred Barr, der Direktor des Museum of Modern Art, wollte die "Flag" sofort ankaufen, als er das Gemälde 1958 in der Galerie von Leo Castelli sah. Weil er fürchtete, man könne ihn für unpatriotisch halten, tat er es doch nicht.

Tatsächlich fanden in dem Jahr, in dem die erste "Flag" entstand, auch erstmals die "Anhörungen für unamerikanische Umtriebe" statt, die der ultrakonservative Senator Joseph McCarthy initiiert hatte. Im Kalten Krieg sorgten sie für ein Klima der Angst unter Politikern, Intellektuellen und Künstlern.

Jasper Johns hat die amerikanische Flagge immer wieder gemalt. "Two Flags (Zwei Fahnen)", eine kaum bekannte Version aus der Sammlung des Museums Ludwig, hat er erst 1980 gezeichnet. Lange wirkte das Blatt wie ein Nachbild - auf das eigene Werk und auf eine Epoche. Seit dieser Woche aber, in der die Amerikaner Donald Trump zu ihrem 45. Präsidenten gewählt haben, wirkt diese späte Version visionär. Als stehe dieses dreckig übermalte Doppelbild für ein beschmutztes und zerrissenes Amerika, in dem sich fortan zwei Öffentlichkeiten unversöhnlich gegenüberstehen.

© SZ vom 12.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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