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Tomi Ungerer ist einer der bekanntesten Kinderbuchzeichner der Welt. Wir zeigen Skizzen zu seinem märchenhaften Buch "Der Hut".

Von Roswitha Budeus-Budde

In Tomi Ungerers großem Œuvre, zu dem allein 140 Bücher zählen, fällt das Bilderbuch "Der Hut" aus dem Rahmen. Bekannt wurde der Künstler, 1931 im Elsass geboren, mit Titeln wie "Die drei Räuber", oder "Zeraldas Riese" und "Kein Kuß für Mutter", in denen er für Kinder, aber auch für Erwachsene seine Erfahrungen mit menschlicher Dummheit, Bosheit und Grausamkeit und seine politischen Visionen von einer friedlichen Welt zeichnete und erzählte. Im Museum Folkwang in Essen sind nun seine Bilder bis zum 16. Mai zu sehen.

Schon den kindlichen Betrachtern zeigt er lustvoll - besonders in den Bilderbüchern aus den 60er- und 70er-Jahren - was sich wirklich hinter Räubern, Riesen und Biestern verbirgt, hinter Figuren also, vor denen sie sich traditionell fürchten. Es sind die Ängste der Erwachsenen. Ungerers Helden entzaubern sie und lassen sie zu Freunden werden. So werden die Kinder zu Siegern.

Die Idee für das Bilderbuch "Der Hut", zu dem wir hier Vorskizzen zeigen und das 1971 in New York erschien, entsprang einer Wette. Er sollte sich zu einem beliebigen Thema eine Geschichte ausdenken, erzählte Ungerer. Und so kam ihm die Idee, einen Hut zu zeichnen, der mit magischen Fähigkeiten ausgerüstet war und fliegen konnte. Der sollte auf dem Kopf eines Kriegsveteranen landen, den Ungerer hier und später auch im Bilderbuch, Benito Badoglio nennt. Wie in einem modernen Märchen verhilft er dem Außenseiter der Gesellschaft zu Reichtum und Glück.

Der Meister provoziert hier ohne zu schockieren, wie er es in seinen Zeichnungen für Erwachsene so liebt. Zum Beispiel als Karikaturist des New Yorker in seinen politischen Kampagnen gegen den Vietnamkrieg. Die ihn schließlich, es ist die McCarthy-Ära, auf die Schwarze Liste der Einwanderungsbehörden brachte. Seine Karikaturen, seine erotischen Obsessionen, etwa in dem Band "Fornicon", brachten ihm nicht nur in den USA Verbote und empörte feministische Reaktionen ein, die er immer wieder abwehrt: "Ich habe nie Pornografie gemacht, sondern erotische Satire. Es war keine Obsession, es war immer ein Spiel."

Zu sehen sind auf den Skizzen der Hut, inzwischen ein Zylinder, wie er dem Veteranen Badoglio Beweglichkeit verleiht, schließlich tanzt er als glücklicher Bräutigam. Und der Hut verschwindet über den Dächern der Stadt, auf der Suche nach dem nächsten, der in Not ist. Gut zu erkennen ist schon Ungerers besonderer Zeichenstil auf den Skizzen, temperamentvoll, beweglich, ein wilder Strich voller überraschender Einfälle. Er sagte einmal in einem Interview: "Jede Zeichnung ist ein Krieg, ich habe einfach zu viel Ideen."

Vielleicht kann man dieses Bilderbuch, dessen Neuauflage vor sechs Jahren im Diogenes-Verlag erschien, schon als Vorläufer seines größten Erfolges sehen, dem "großen Liederbuch", mit Zeichnungen zu 204 deutschen Volks- und Kinderliedern, das 1975 erschien. Auch darin durchbricht er augenzwinkernd und frech die biedermeierliche Stimmung.

© SZ vom 02.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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