"Es wächst heran ein Geschlecht." So beginnt tatsächlich die Bildbeschreibung auf der Rückseite eines Agenturfotos. Es zeigt kleine Jungen mit sehr seitengescheitelten Haaren und den kurzen Hosen der Hitlerjugend. Solche Fotografien sind selten zu sehen, sie sind in der Nachkriegszeit mit der Propaganda des NS-Regimes untergegangen, Fußnoten zu den großen, gewaltigen Lügen, Verbrechen und Grausamkeiten dieser Epoche.
Doch genau diese Motive sind es, die dem Münchner Galeristen Daniel Blau auffielen, wann immer er in den vergangenen Jahren Konvolute von Fotografien sichtete, die ihm von Zeitungsarchiven - vor allem in den USA - angeboten wurden: die Fotos von Kindern und Jugendlichen, die als Botschafter eines neuen Deutschlands fotografiert wurden. Wie sie sich beim Bund Deutscher Mädel im Schnee beim Tauziehen messen, wie sie marschieren als "les jeunesses hitlériennes défilantes", bei Fahneneiden, Aufmärschen, Wehrübungen. Mit Fackeln, Fahnen, Waffen.
Daniel Blau hat zwei davon für dieses Großformat ausgewählt, die nicht in sein Buch "Verführt. Deutsche Jugendliche 1933 - 1945" fanden. Sie zeigen einerseits, wie ausgefeilt die Motive und Inszenierungen der staatlich gesteuerten Propaganda waren. Andererseits berichten sie davon, wie alltäglich das alles gewesen sein muss. Und wie viele es waren, die von der pädagogischen Maschine zugerichtet wurden, deren Alltag zwischen Hitlerjugend, Sportveranstaltung, Kraft-durch-Freude-Urlauben verging. Zwölf Jahre sind eine lange Zeit für Kinder.
Die hier abgebildeten Motive standen am Anfang dieser langen Recherche - wie auch die Erkenntnis, dass unter den vielen Tausend Gesichtern, die ihm in diesen Aufnahmen entgegenblicken, auch die Erwachsenen waren, die dem in den Sechzigerjahren geborenen Daniel Blau als Kind begegneten. Dass all die Verführten und Verformten die Nachkriegsgesellschaft bildeten.