Gorki-Theater Berlin:Müde Mütter

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Schnelle Pointen mit Herz: Sibylle Bergs neues Stück "Und dann kam Mirna" handelt von den Mühen und Frustrationen alleinerziehender Frauen.

Von Peter Laudenbach

Letztes Jahr konnte man im Berliner Maxim Gorki Theater vier jungen Frauen dabei zusehen, wie sie mit sich und der Welt nicht zurechtkommen. Der Stücktitel war Programm: "Es sagt mir nichts, das sogenannte Draußen". Mit allem, was die vier mit gutem, bösem Witz gegen die Zumutungen des Lebens vorbrachten, hatten sie sehr einleuchtend recht. Sie waren eine Erfindung (oder das Pointen-Sprachrohr) der klugen Sibylle Berg, die hinter der Maske ihrer funkelnden Misanthropie wahrscheinlich die menschenfreundlichsten Theaterstücke schreibt, die derzeit für Eintrittsgeld zu haben sind.

Irgendwann macht Jungsein keinen Spaß mehr, weil man einfach nicht mehr jung ist

Ein Jahr und ein Berg-Theaterstück später sind aus den rotzigen Teenagern überforderte Thirtysomethings geworden. Auch diesmal macht der Stücktitel klar, was sich in ihrem Leben verändert hat: "Und dann kam Mirna". Spätestens jetzt müssen die vier Mütter erwachsen werden, oder zumindest so tun - offenbar ein schweres Los: "Ich bin über Nacht von einem autoaggressiven, interessanten jungen Menschen mit einem Hang zur Systemkritik und verrückten Ideen zu einer . . . " Statt auszusprechen, zu was sie geworden sind, schauen die vier Frauen mürrisch und leicht angewidert an sich herab. Eben lag das Leben noch vor ihnen, und das soll es jetzt gewesen sein? An Gnadenlosigkeit sich selbst gegenüber macht den Berg-Damen keiner was vor: "Irgendwann macht das Jungsein keinen Spaß mehr, weil man einfach nicht mehr jung ist." Rumms.

Die vier tollen Schauspielerinnen Suna Gürler, Rahel Jankowski, Cynthia Micas und Çiğdem Teke servieren Bergs Sarkasmen im gutgelaunten Angriffsmodus - und weil sie dazu Tanzschritte andeuten, im Chor sprechen oder sehr lässig mit Identitätszuschreibungen und Mutterrolle jonglieren, kommen garantiert keine Betroffenheits-Larmoyanz oder fades Einfühlungstheater auf. Wie der höhnische Kontrast zu den vier müden Müttern ist der Auftritt der vier altklugen, mitleidlosen, hinreißenden, etwa zehnjährigen Töchter (Annika Weitzebdoef, Aydanur Gürkan, Fèe Mühlemann, Zoé Rügen), denen die Mütter vor allem peinlich sind: "So ist sie immer, wenn sie ihr Johanniskraut nicht genommen hat." Berg weiß, wie sich vertrackte Intimbeziehungen, die prinzipiell verunglücken, als Komik-Lieferanten nutzen lassen, schon weil sie ohne Komik unerträglich wären.

Sebastian Nüblings angenehm krampffreie Regie verlässt sich auf den schnellen, Haken schlagenden Text, ohne ihn mühsam zu illustrieren. Endlich mal ein Regisseur, der einer Stück-Vorlage vertraut, statt alles besser wissen zu wollen (und ein Mann, der einer Frau eindeutig den Vortritt lässt). Das ist auch deshalb eine Freude, weil Sibylle Bergs neues Stück hinter und mit ihrer Hochfrequenz-Pointen-Dramaturgie die Kompliziertheiten und Unerfreulichkeiten, mit denen sich alleinerziehende Mütter abkämpfen, ziemlich genau und für ihre Verhältnisse ungewohnt warmherzig zu fassen bekommt.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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