Glaubensforschung:Angriff der Neoatheisten

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Ist Religion eine destruktive Kraft? Ein Kreuz treibt den Oxfordprofessor Dawkins zu drolligen Wutausbrüchen. Doch die Debatte um Fundamentalismus und die neuen Atheisten verstellt den Blick auf die Glaubensforschung.

Andrian Kreye

Es ist natürlich eine leichte Übung, sich über Glauben und Nichtglauben lustig zu machen. Man muss nur nach den richtigen Geschichten suchen. Am Pfingstmontag wurde beispielsweise das Creation Museum in Petersburg, Kentucky, eröffnet. Auf fünfeinhalbtausend Quadratmeter zeigt die Organisation Answers in Genesis dort Exponate und Installationen, die beweisen sollen, dass unser Planet Erde nur 6000 Jahre alt sein kann, so wie es in der Bibel geschrieben steht.

Kleine Evolutionspause. (Foto: Foto: dpa)

Dazu gibt es ein Planetarium, Erklärungen zum intelligenten Designer- Gott sowie Modelle von Dinosauriern im Garten Eden und auf der Arche Noah. Auf der anderen Seite geistern derzeit Schnurren über den sonst so klugen Oxfordprofessor Richard Dawkins durch die Presse, der seinen Atheismus mit drolligen Wutausbrüchen predigt. So soll er die Angestellte eines Flughafens angeschnauzt haben, das Kreuz um ihren Hals beleidige seinen Intellekt. Sie solle es gefälligst sofort abnehmen.

Rotes Tuch Religion

Nun war es schon immer so, dass es beim Streit um den Glauben weniger um Gott geht als um den Menschen und das Bild, das er sich von sich selber macht. Manch wissenschaftlicher Erkenntnisschritt stellt den Götterfunken in Frage und somit auch die Deutungshoheit über diese Welt. So aggressiv wie in den letzten Jahren wurde der Diskurs allerdings schon lange nicht mehr geführt. Der Siegeszug des Fundamentalismus von Rom über Jerusalem und Mekka bis ins amerikanische Hinterland hat den liberalen Agnostizismus des 20. Jahrhunderts nun so in die Ecke getrieben, dass sich ein kämpferischer Atheismus rührt.

Der Philosoph und Neurowissenschaftler Sam Harris hatte vor drei Jahren mit seinem Buch "Das Ende des Glaubens" den Anfang gemacht. Als Reaktion auf die Anschläge des 11. September geschrieben, kreist sein Buch vor allem um die Fundamentalismen, die er als akute Bedrohung für den Fortbestand der Zivilisation betrachtet. Auf Harris folgten der Philosoph Daniel C. Dennett von der Tufts University in Massachusetts und der Evolutionsbiologe Richard Dawkins von der Oxford University.

Für Dennett ist Religion in seinem Buch "Breaking the Spell" ein Erklärungsmodell, das spätestens mit den naturwissenschaftlichen Erkenntnissen des 19. Jahrhunderts ausgedient hatte. Dawkins geht in seinem Buch "Gotteswahn" noch einen Schritt weiter und sagt den Religionen ganz direkt den Kampf an. Sie seien nicht nur irrational, sondern geradezu destruktiv, schreibt er. Nur ein Ende des Glaubens erlaube den Fortschritt der Menschheit.

Das göttliche Wesen aus dem Labor

Zu den Wissenschaftlern hat sich nun der Essayist und Kulturkritiker Christopher Hitchens mit seiner Streitschrift "God Is Not Great: How Religion Poisons Everything" gesellt. Darin zerpflückt er mit rhetorischer Brillanz die Mythen vom Glauben und der Religiösität. Nun versteht sich Christopher Hitchens meisterhaft darauf, die Öffentlichkeit zu provozieren. Sein Kapitel über den Islam hat er beispielsweise mit der Überschrift "War Mohammed ein Epileptiker?" versehen.

Hitchens gibt sich vorsichtig, bezieht sich auf "herzlose Christen", die dies behaupten, erinnert allerdings daran, dass die Erleuchtungen des Propheten in ihrer Symptomatik der Erleuchtung des Paulus auf dem Weg nach Damaskus glichen. An diesem Punkt aber knüpft er an jene Berührungspunkte zwischen Forschung und Glaube an, die den aktuellen Debatten den wahren Zündstoff geben.

Seite 2: Die beiden Schulen der Glaubensfroschung und weniger wissenschaftliche Ansätze.

Der kanadische Neurowissenschaftler Michael Persinger ist dem Phänomen an der Laurentian University in Toronto längst nachgegangen. Persinger entwickelte einen helmförmigen Apparat, der ein magnetisches Feld erzeugt, mit dem er die Schläfenlappen seiner Probanden manipuliert. Dabei gelang es ihm, ein Phänomen zu erzeugen, das dem entspricht, was Gläubige als Erscheinung eines göttlichen Wesens im Raum wahrnahmen. Persinger erklärte dazu, es gebe bei diesen Phänomenen gewisse Überschneidungen mit Symptomen der Epilepsie.

Naturwissenschaftliches Neuland

Keine Frage, dass solche Forschungsergebnisse nicht nur das religiöse Empfinden in Frage stellen. Überhaupt wagen sich die Naturwissenschaften längst an Themen, die nicht nur den Glauben an sich, sondern auch das aufgeklärte Menschenbild in Frage stellen. Erste Forschungsergebnisse, die den freien Willen zur reinen Funktion genetischer und biochemischer Abläufe erklären, wurden nicht nur von Religionsvertretern angegriffen.

Der Neurowissenschaftler Steven Pinker von der Harvard University liebt es beispielsweise, das Menschenbilder der Aufklärung mit naturwissenschaftlichen Argumenten zu zerpflücken. Wenn daraus geschlossen wird, die Kontrolle des menschlichen Geistes mittels Psychopharmaka sei zulässig, gilt das indessen auch in säkularen Kreisen als Frevel an der Willens- und Charakterbildung des Menschen.

Nun aber wagt sich die Naturwissenschaft auch noch an einen der letzten der ihm bislang entzogenen Bereiche: an den Glauben selbst. Dabei unterscheiden sich die wissenschaftlichen Methoden sehr voneinander - und von den mehr oder weniger wissenschaftlichen Angriffen der Neoatheisten wie Harris, Dennett und Dawkins. Denn diese begehen in ihrer Argumentation einen prinzipiellen Fehler. Sie berufen sich zwar auf die wissenschaftlichen Grundlagen der Evolutionstheorie von Charles Darwin, die ja dem Schöpfungsgedanken widerspricht. Sie lassen jedoch außer Acht, dass Darwin weder den Glauben an sich, noch seine Existenzberechtigung in Frage stellte. Im Gegenteil: Darwin war davon überzeugt, der Glaube an eine allgegenwärtige spirituelle Größe sei ein universelles Phänomen.

Glaube als evolutionäres Nebenprodukt

Derzeit teilt sich die Glaubensforschung in zwei Schulen. Auf der einen Seite gibt es den darwinistischen Ansatz, wie ihn Scott Atran, Forschungsdirektor für Anthropologie am Centre national de la recherche scientifique in Paris, verfolgt. Auf der anderen Seite stehen die evolutionspsychologischen Überlegungen, wie sie Justin Barrett, der Direktor des Centre for Anthropology and Mind an der Oxford University, anstellt.

Scott Atran stellte sich schon in den frühen siebziger Jahren die Frage, warum die Menschen seit Urzeiten so hart daran arbeiten, ihr eigentliches Bedürfnis nach logischen Erklärungen mit dem Glauben zu überwinden. Warum, so fragte er in seinem Buch "In Gods We Trust", sind Gesellschaften bereit, einen hohen Preis für den Glauben zu bezahlen, der sie wertvolle Ressourcen wie Zeit, Kraft und Material koste? Welche Gefahr für das Überleben konnte mittels Glauben abgewendet werden? Welche Funktion hatte der Glauben für den Einzelnen und für das Kollektiv? Und warum hatten Glaubensgemeinschaften traditionell bessere Überlebenschancen?

Seite 3: Religiöse Gesellschaftsphänomene und rhetorische Notwehr im Kampf um die Deutungshoheit.

Bald schon kam die darwinistische Glaubensforschung zu dem Ergebnis, dass der Glaube zwar fest im Bewusstsein des Menschen verankert und kein reines Produkt kultureller Einflüsse und Erziehungen sei. Eine Funktion, die den Glauben als evolutionären Vorteil definiert, fanden sie indessen nicht. So kamen sie zum Schluss, der Glaube müsse ein Nebenprodukt der Evolution sein, das seine ursprüngliche Funktion längst eingebüßt habe.

Eines steht für Scott Atran jedoch fest - Religionen werden immer Teil der Menschheitsgeschichte sein. Das war auch sein größter Vorwurf gegen Harris, Dennett und Dawkins, mit denen er sich im vergangenen Jahr heftige Debatten lieferte. Er stelle ja keineswegs die Forderung in Frage, die Welt von dogmatischen Glaubenssystemen zu befreien, die barbarisch, anachronistisch und unmenschlich seien, argumentierte er. Doch lieferten sie weder ausreichend wissenschaftliche Fakten noch Bezüge auf aktuelle Glaubensforschungen.

Desäkularisierung einer postideologischen Welt

Glaubensmodelle seien nämlich weder grundsätzlich richtig oder falsch, auf keinen Fall aber bedeutungslos. Sie seien keinesfalls zwingend, doch oft genug von praktischem Nutzen. Dieser Nutzen könne oft genug die Kosten überwiegen, weil der Glaube eine fest verwobene Gemeinschaft schaffe, die im darwinistischen Wettbewerb anderen Gemeinschaften überlegen sein könne.

Solch undogmatische Betrachtungen des Glaubens finden sich auch in der evolutionspsychologischen Herangehensweise von Justin Barrett. Dieser sieht den Glauben nicht als überlebenswichtige Strategie von Gemeinschaften, sondern zunächst als Entwicklungsstadium der menschlichen Psyche. Mit einfachen Experimenten wies Barrett nach, dass Kinder im Alter von drei bis vier Jahren noch einen unerschütterlichen Glauben an die Unfehlbarkeit der Mutter besäßen. Erst mit dem fünften bis sechsten Lebensjahr werde dieser Glaube an die mütterliche Allwissenheit vom eigenen Wissen und Willen abgelöst.

Den Weg in die Theologie werden auch diese beiden Erklärungsmodelle nicht finden. Doch im Gegensatz zum dogmatischen Atheismus liefern sie Erkenntnisse, die Grundlage für eine tiefgründige Erforschung religiöser Gesellschaftsphänomene sein können, egal, ob es sich um radikale Subkulturen wie die islamistischen Selbstmordattentäter handelt - oder um breite Strömungen wie den Siegeszug der religiösen Rechten in der amerikanischen Politik. Nur wer das Erlösungsmoment des Attentäters und das Motivationspotential christlich-fundamentalistischer Wählerschichten versteht, kann auch die historischen Entwicklungen begreifen.

Trotzdem ist der Zorn der Neoatheisten nachvollziehbar. Es waren ja nicht die Wissenschaftler, die den Kulturkampf um die Deutungshoheit mit solcher Schärfe anzettelten. Die Desäkularisierung der postideologischen Welt hat längst ein Tempo aufgenommen, das reale Folgen für säkulare Weltbilder und für die Wissenschaften hat. Das mag aus europäischer Sicht zunächst nicht nachvollziehbar sein. Siegeszüge radikaler Glaubensgruppen - wie zum Beispiel den Triumph der Hamas im Gazastreifen, der zum Erliegen des dortigen Kulturlebens führte - gelten als Probleme exotischer Krisenherde.

Zwischen Glück und Angst

Ebenso fern wirkt die Desäkularisierung der amerikanischen Gesellschaft, in der immerhin 87 Prozent der Bevölkerung die Existenz Gottes nie anzweifeln würden und die meisten Bürger eher einen Moslem, einen Schwarzen oder einen Homosexuellen zum Präsidenten wählen würden als einen Atheisten. Das aber ist die Wählerschaft, für die George W. Bush seine rückschrittliche Wissenschaftspolitik konzipierte, die inzwischen den Wissenschaftsvorsprung der USA gefährdet.

Doch auch im säkularen Europa schwelt der Kulturkampf. Papst Benedikt XVI. wurde im vergangenen Jahr bei einer Tagung zum Thema Schöpfung und Evolution in Castel Gandolfo deutlich. "Es ist noch nicht Zeit zur Versöhnung der beiden Reiche" sagte er. Und: "So geht es im Grunde darum, eine Dimension der Vernunft wieder zurückzugewinnen, die wir verloren haben."

Rhetorische Notwehr oder nicht - einige Antworten bleiben die Neoatheisten und Wissenschaften schuldig. Es ist vor allem die Hoffnung, die dem vernunftsbestimmten Weltbild fehlt. Denn auf die Angst vor dem Tode haben bisher nur die Religionen Antworten gefunden. Auch diesen Mangel aber hat die Wissenschaft schon erkannt. So bemerkte Michael Persinger bei seinen Experimenten mit der Erleuchtung einen entscheidenden Unterschied zwischen gläubigen und nichtgläubigen Probanden. Die Gläubigen fühlten die Präsenz einer göttlichen Größe und Glück. Die Nichtgläubigen erlebten die Angst vor dem Tod. Was bleibt, ist die alte Frage: Warum gibt es etwas und nicht nichts?

© SZ vom 30.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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