Große Teile der Sammlung für das "Museum der Unschuld" sind auf dem Boden von Orhan Pamuks Studio in Beyoglu, einem Stadtteil von Istanbul, ausgebreitet, aufgestellt, aufgereiht. Jeden Gegenstand zeigt er gerne. Er prüft den Besucher, ob er weiß, an welcher Stelle des Buches das Ding vorkommt. Dann lacht er, aus lauter Freude über den Fund. Das Foto ist seine Idee.
Orhan Pamuk inmitten seiner gesammelten Gegenstände in seinem Studio in Istanbul.
(Foto: Foto:)SZ: Es gibt die merkwürdigsten Museen, Knopf-Museen zum Beispiel, und auch literarische Museen bewahren seltsame Dinge auf. Im Goethe-Museum in Weimar werden die Hosenträger des Dichters aufgehoben. In Ihrem "Museum der Unschuld" wird man vielleicht ähnliche Dinge finden. Aber es hat eine Besonderheit: Es ist einer fiktiven Person gewidmet.
Orhan Pamuk: Spielt das Fiktive tatsächlich eine so große Rolle? Ein Museum bezieht seine Bedeutung, seine Autorität ja nicht durch die Unterscheidung von wirklich und unwirklich, sondern durch die Dinge, die darin ausgestellt werden. Es geht darum, dass man etwas sieht. In meinem Roman "Rot ist mein Name" habe ich erzählt, wie sehr der Glaube, der religiöse wie jeder Glaube, darauf angewiesen ist, dass man etwas sieht. Das gilt für den Koran, aber nicht nur für ihn. Immer hat das Sehen und das Sehen-Müssen auch etwas mit der Schwäche des Glaubens zu tun. Was umgekehrt die Stärke des Museums begründet.
SZ: Aber die Leute beugen ja nicht die Knie.
Pamuk: Doch, sie sind leise und aufmerksam. Ein Museum kann durch die Ausstellung von Gegenständen ganze Vorstellungswelten herbeizwingen. Dem Roman "Das Museum der Unschuld" habe ich einen Satz von Samuel Taylor Coleridge vorangestellt: "Wenn ein Mensch im Traum das Paradies durchwanderte, und man gäbe ihm eine Blume als Beweis, dass er dort war, und er fände beim Aufwachen diese Blume in seiner Hand - was dann?" Und, schauen Sie: Es wird nicht nur eine Blume, es wird ein ganzes Museum geben!
SZ: Mir scheint, dass Ihre Vorstellung von einem Museum sehr religiös ist. Oder genauer: dass sich in Ihrem Museum die Entstehung des Museums aus der Religion wiederholt.
Pamuk: Ja, das stimmt, und die Kulturwissenschaften haben über den religiösen Ursprung des Museums viel nachgedacht. Doch gelten diese Forschungen in der Regel den großen Museen. Mein Museum aber ist klein, und auch wenn ich möchte, dass der Besucher die Exponate mit Andacht betrachtet, so spielt doch noch ein anderes Motiv hinein - etwas Privates, der Umstand, dass dieses Museum dem Glück und der Liebe einzelner Menschen gewidmet ist.
SZ: Verlangt der Glaube, ob nun Islam oder Christentum, nicht auch Liebe? Mehr Liebe, als ein einzelner Mensch zu geben vermag? Und ist nicht in der Liebesgeschichte zwischen Füsun und Kemal, die Sie in Ihrem Roman erzählen, zumindest Kemal eine Figur der Überforderung?
Pamuk: Aber es trifft doch gar nicht zu, dass die Liebe einer einfachen, eindeutigen Richtung folgt. Eher ist sie eine Art Energie, in der sehr verschiedene Motive gebündelt sind. Da ist zunächst etwas Physisches, Sexuelles, das mag einfach wirken. Aber sobald die Liebe das Bewusstsein erreicht, etwas Mentales wird, werden die Verhältnisse komplizierter. Immer sind da mehrere Beweggründe, die miteinander und gegeneinander Verschwörungen anzetteln, Pläne schmieden, diplomatische Maßnahmen ergreifen. Und wenn ein Teil des Bewusstseins losziehen möchte, um den begehrten Menschen zu gewinnen, sind da andere, die das Vergebliche in diesen Bemühungen erkennen, die Eitelkeiten, die Irrtümer. Und die anderen Teile wissen, dass es nicht einmal beim Einfachsten, beim sexuellen Begehren, zu befriedigenden Lösungen kommen wird. Im Roman "Museum der Unschuld" geht es in hohem Maße um die Verwirrungen innerhalb dieser einen Energie, der Liebe. Sie dürfen nicht übersehen, dass Kemal seine Geschichte dreißig Jahre nach den ursprünglichen Ereignissen aufschreibt. Und das bedeutet auch, dass er das Geschehen in einem milderen, freundlicheren Licht sieht, als es sich ihm darstellte, als es Gegenwart war.
SZ: Woher kommt dann das Bedürfnis, die Liebe in lauter Gegenständen dokumentiert zu sehen? Ihr ein Museum zu bauen?
Pamuk: Solange eine Liebe glücklich ist, sucht sie Bestätigung in Dingen. Paare bauen Nester, sie setzen Kinder in die Welt, sie richten sich ein. Aber das Paar im "Museum der Unschuld" ist nicht glücklich. Das Museum entsteht aus Enttäuschung, aus unerwiderter Liebe. Die Objekte dokumentieren die Liebe weniger, als dass sie dazu dienen, die Frau zu symbolisieren. Kemal spürt an ihnen der vergangenen Wärme nach, riecht an ihnen, befühlt sie. Er braucht das, um sich zu erinnern. Proust hat diesem Verhältnis einen großen Roman gewidmet.
SZ: Füsuns Ring und die Madeleine bei Proust?
Pamuk: Ja, und ist es nicht überhaupt so, dass die Kunst des Romans auch in der Hervorrufung von Wahrnehmungen besteht?
SZ: Wie kam es zu der Idee, einen Roman und ein Museum zu verknüpfen?
Pamuk: Die Idee hatte ich schon vor zehn, elf Jahren. Am Anfang wollte ich ein Buch schreiben, das von einem schon existierenden Haus handelt, das man dann in ein Museum verwandeln kann - wie das Haus eines prominenten Menschen.
SZ: Das war, als Sie "Mein Name ist Rot" geschrieben hatten?
Pamuk: Danach wollte ich sofort mit diesem Buch beginnen. Doch als ich zu schreiben begann, merkte ich, dass ich noch nicht so weit war. Aber die Idee lebte weiter, ich kam jeden Tag an einem bestimmten Haus vorbei und dachte mir: Dieses Haus müsste es sein. Plötzlich war es zu verkaufen, und ich erwarb es, immer noch mit dem Gedanken, es so, wie es war, zum Gegenstand eines Romans zu machen. Erst um das Jahr 2000 entstand die Idee, es zu entkernen und das Museum mit dem Buch zu schaffen.
SZ: Sie weisen immer wieder darauf hin, dass Ihr Museum klein ist, dass es privat bleiben soll. Ist das nicht ein Widerspruch zum Prinzip des Sammelns?
Pamuk: Das Museum ist klein, weil das Haus klein ist, weil es eine begrenzte Menge von Gegenständen enthält und die meisten dieser Gegenstände klein sind. Aber es stimmt: Ich habe angefangen, auch Objekte zu sammeln, die nicht unbedingt etwas mit der Geschichte zu tun haben. Es gibt so unendlich viele Arten des Sammelns. Als ich die Quittenreibe fand ....
SZ: Dieses grobe Ding, das Sie an Martin Heidegger und Anselm Kiefer erinnert.
Pamuk: Da entschloss ich mich, ihm ein ganzes Kapitel zu widmen. Und ich hatte sofort den Gedanken, dass man die Reibe auf eine besondere Art ausstellen müsse, so dass man ihre Rohheit, ihre Brutalität erkennt. Ihre Dinglichkeit ist interessant, sie ist ein bisschen rostig, altmodisch, vernachlässigt. Es gibt Gegenstände, die ich von vornherein besaß, wie die Fliege meines Vaters, und mit denen ich Figuren meines Romans ausstatten wollte. Umgekehrt gibt es Objekte im Roman, von denen ich bei ihrer Beschreibung dachte: Ich finde sie, wenn ich mit dem Schreiben fertig bin.
SZ: Bei Ebay?
Pamuk: Ja, auch. Und das sind verfluchte Gegenstände, weil man sie dann doch nicht findet. Dann entschloss ich mich, nur die Dinge zu beschreiben, die ich auch wirklich besitze - sie um mich herumzulegen und zu sagen: Wenn ich jeden einzelnen dieser Gegenstände beschrieben habe, ist das Buch an seinem Ende angekommen. Dann gab es eine Zeit, in der ich meine Tochter jeden Morgen zur Schule brachte. Der Weg führt an einem Flohmarkt vorbei, ich sah viele Dinge, die mich verführten, und dachte: Ich kaufe sie, für den Roman, für das Museum.
Lesen Sie auf Seite Zwei, was Pamuk noch seiner Sammlung hinzufügen will.