Geschlechtergerechtigkeit:Lernen von Margaret Thatcher

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Monika Grütters' runder Tisch "Frauen in Kultur und Medien" im Kanzleramt führte anschaulich vor, wo die Probleme liegen.

Von Jan Kedves

Ob man nun ausgerechnet ein Bonmot von Margaret Thatcher bemühen muss, wenn es um die Ungleichbehandlung der Geschlechter in Kultur und Medien geht? Fraglich. Genau dies tat Kulturstaatsministerin Monika Grütters (CDU) am Dienstag, als sie im Kanzleramt zum runden Tisch "Frauen in Kultur und Medien" lud. "Wenn Sie in der Politik etwas gesagt haben wollen, fragen Sie einen Mann. Wenn Sie etwas erledigt haben wollen, fragen Sie eine Frau", zitierte sie zur Begrüßung die Eiserne Lady, aber aus dem Saal kicherte es nicht so laut zurück, wie sie wohl gehofft hatte. Hätte sie das Zitat weggelassen, wäre außerdem Zeit geblieben, auch die Rednerinnen zu ihrer Rechten vorzustellen.

Denn die Gäste zu ihrer Linken, Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat und Helmut Anheier von der Hertie School of Governance, begrüßte Grütters ausführlich und namentlich. Doch drei Damen zu ihrer Rechten - Jeanine Meerapfel, Präsidentin der Berliner Akademie der Künste; Annemarie Helmer-Heichele, Vorsitzende des Bundesverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler; und Susanne Stürmer, Präsidentin der Filmhochschule Babelsberg - blieb es überlassen, sich im Verlauf der drei Stunden selbst vorzustellen. Und das bei einer Veranstaltung, bei der es um Geschlechtergerechtigkeit gehen sollte.

Diskutiert wurden die Ergebnisse der Ende Juni vorgestellten, von Grütters beim Deutschen Kulturrat in Auftrag gegebenen Studie "Frauen in Kultur und Medien". Vor allem aber die Frage, welche Konsequenzen aus ihr zu ziehen sind. Die Zahlen wirken nämlich, als stammten sie aus den Fünfzigerjahren: Im Jahr 2015 verdienten Musikerinnen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren 22 Prozent weniger als männliche Musiker. Bildende Künstlerinnen aus derselben Altersgruppe verdienten 33 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen. In 85 Prozent der deutschen Filmproduktionen spielen Männer die Hauptrolle. Und so weiter, und so fort.

Bei US-Orchestern spielen Bewerber hinter einem Vorhang. Ihr Geschlecht bleibt verborgen

Ja, Schockierendes gab es an diesem Nachmittag genug zu hören. Nur war man sich nicht einig, wie mehr Gerechtigkeit zu erreichen sei. Ob man Absolventinnen besser coachen und zu härteren Gehaltsverhandlungen ermuntern solle? Ob man männerdominierte Redaktionen per Twitter anschwärzen solle? Ob man mehr Quotenregelungen brauche, nachdem freiwillige Selbstverpflichtungen meist doch nur Lippenbekenntnisse geblieben seien? Am besten alles auf einmal?

Der Intendant der Stiftung Berliner Philharmoniker, Martin Hoffmann, betonte, dass sich in seinem Orchester schon viel getan habe und dass bei Probespielen nun wirklich nicht durch die Genderbrille geschaut werde, sondern allein das Können entscheide: "Geschlecht ist bei uns keine Kategorie." Das brachte viele der anwesenden Direktorinnen, Redaktionsleiterinnen und Geschäftsführerinnen zum Kopfschütteln, ließ es doch nur den Schluss zu, dass Musikerinnen tatsächlich schlechter spielen als Männer. Zur Zeit sind bei den Berlinern gerade mal 21 der 128 Musikerstellen von Frauen besetzt.

Vermutlich ein Fall von "unconscious bias", unbewussten Vorurteilen, die selbst bei Menschen, die sich in Sachen Geschlechtergerechtigkeit für vorbildlich halten, dazu führen, dass sie letztendlich doch immer wieder Männer bevorzugen. Über diese Vorurteile und wie man sie angehen könne, wurde an diesem Nachmittag viel diskutiert. Jeanine Meerapfel etwa berichtete, in den USA würden Vorspiele bei Orchestern immer hinter Vorhang stattfinden. Die Bewerber und Bewerberinnen müssten sogar ihre Schuhe ausziehen, damit das Orchester auf der anderen Seite nicht aufgrund von Laufgeräuschen auf hochhackige oder flache Schuhe schließen könne. Seit den Siebzigern sei der Anteil von Musikerinnen bei den zehn amerikanischen Top-Orchestern so von zehn auf 40 Prozent gestiegen. Vielleicht sollten die Berliner Philharmoniker das auch mal ausprobieren?

Grütters ermunterte ihre Gäste immer wieder dazu, konkrete Vorschläge zu machen, Beschlüsse gab es aber noch keine. Konkreter soll es im Frühjahr werden, wenn sich bei einem zweiten runden Tisch vier Arbeitsgruppen bilden, zu den Themen "Frauen in Führungspositionen", "Gremien/Kulturförderung", "Lohnlücke im Bereich Kultur und Medien" sowie "Vereinbarkeit von Familie und Beruf". Noch vor der Sommerpause, sprich: vor Ende der Legislaturperiode möchte Grütters dann Maßnahmen beschließen und auch finanzieren. Die Zeit drängt. Oder wie die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ursula Schauws es ausdrückte: Es sei ja wahrscheinlich, dass sich die politische Zusammensetzung ab der nächsten Legislaturperiode so verändern werde, dass die Wichtigkeit des Themas Gendergerechtigkeit wieder infrage gestellt werden könnte. Womit sie die AfD meinte. Ja, die Angst vor einem kulturellen Rollback kann vereinen - auch diejenigen, die sich sonst nicht einig sind.

© SZ vom 22.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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