Geisteswissenschaften:Gleich geboren?

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In Donald Trumps Amerika erblüht die Demokratie - aber leider nur in der politischen Theorie. Das zeigten jetzt die Adorno-Vorlesungen der in Harvard lehrenden Politologin Danielle Allen. Sie sprach in Frankfurt an drei Abenden.

Von Volker Breidecker

Der "große Vorteil" der US-Amerikaner gegenüber den Europäern bestehe darin, dass sie die Demokratie ohne eine "demokratische Revolution" erlangt hätten, und dass sie schon "als Gleiche geboren" wurden. Der französische Schriftsteller und Historiker Alexis de Tocqueville befand dies in seiner berühmten und aus eigener Anschauung geschöpften Untersuchung "Die Demokratie in Amerika" (1835).

Längst sind die Amerikaner hingegen ungleicher denn je geworden, und unter Donald Trump ist es auch um die Demokratie schlecht bestellt. Die Nation ist so polarisiert wie selten zuvor, und die Schere der Ungleichheit geht weiter auseinander, im Gesundheits-, Wohnungs- und Erziehungswesen ebenso wie bei der politischen Partizipation. "Denn diejenigen, die Gleichheit und Gerechtigkeit wollen, sind immer die Schwächeren, während die Stärkeren sich über diese Dinge keinen Kummer machen", schrieb vor mehr als zweitausend Jahre Aristoteles in seiner Abhandlung über die "Politik". Der Satz hat seine Gültigkeit nicht verloren.

In Trumps Amerika erblüht die Demokratie - aber leider nur in der politischen Theorie

Wie das Los der Benachteiligten zu korrigieren ist, beschäftigt aber weiter die Philosophen. Die 1971 geborene Harvard-Professorin Danielle Allen hat dazu mit ihren Büchern einiges Aufsehen erregt. Sie schrieb darüber, wie die Folgen von Rassentrennung und Diskriminierung weiterhin Mentalität und Verhalten der Amerikaner belasten ("Don't talk to strangers", 2004). Daneben steht sie im Ruf einer streitbaren Publizistin: In der Nacht von Trumps Amtsantritt lieferte sie sich auf CNN einen erbitterten Schlagabtausch mit einem Sprachrohr der Tea Party, und als Kolumnistin der Washington Post hatte sie schon während der Vorwahlen vor Trump als Gefahr für die Demokratie gewarnt. Jetzt war Danielle Allen für drei Abende nach Frankfurt gekommen, um die zur Erinnerung an den kritischen Philosophen Theodor W. Adorno jährlich veranstalteten Vorlesungen zu halten: Der Name Trump blieb freilich außen vor - das hätte dem akademischen Ethos widersprochen, wie es an amerikanischen Universitäten eingehalten wird. Einen vorsichtig auf "Washington" deutenden Diskutanten beschied sie ironisch: Dort liege eine "andere Leseliste" aus.

Als Politologin und Altphilologin verbindet Allen die Aufmerksamkeit für Sprache und Texte mit dem weiten Horizont der politischen Philosophin. Sie sprach darüber, wie die Mitglieder einer Gesellschaft auf Augenhöhe, als Freie und Gleiche, einander begegnen, miteinander sprechen und agieren können, statt sich durch Klasse, Hautfarbe, Geschlecht, Einkommen, Besitz, Status und Einfluss voneinander abzugrenzen und einander zu beherrschen.

Gegen die Hauptstränge politischer und sozialphilosophischer Theorie, die von Immanuel Kant bis zu John Rawls - dem bedeutendsten Vertreter einer "ausgleichender Gerechtigkeit" - den Freiheitsrechten das Primat über Gleichheitsgebote einräumen, beruft sich Allen auf die amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776, deren Präambel an erster Stelle festhält, "dass alle Menschen gleich geschaffen" sind. Freiheit und Gleichheit, folgert Allen, seien demnach nicht voneinander zu trennen, die zugehörigen Rechte sind weder veräußerbar noch verhandelbar. Damit widerspricht sie der Neufassung der klassischen Vertragstheorien von Hobbes, Locke und Rousseau durch John Rawls. Ihm zufolge ist die ungleiche Verteilung sozialer Güter nämlich dann legitim, wenn alle Vertragspartner davon einen Nutzen forttragen, auch wenn sie zum Zeitpunkt ihres Zusammenschlusses noch gar nicht wissen, was ihnen künftig blüht.

Allen setzt auf die Wiederbelebung basisdemokratischer Formen zur Stiftung sozialer Bindungen. In der Einlösung klassischer Freundschaftsideale - da spricht aus ihr die (linke) Aristotelikerin aus humanistischer Tradition - böten sich im Alltagsleben erste Labore für den Bau vielfältiger "sozialer Brücken" über Nachbarschaften und Communities, über Schulen und Arbeitsplätze bis zu den politischen Institutionen, die allen Gesellschaftsmitgliedern offen stehen sollen: Nicht um Gleichmacherei geht es ihr, sondern um die Anerkennung von "Verschiedenheit ohne Vorherrschaft." Sie bejahte die Frage, ob sie den mündigen Staatsbürger wieder in den Mittelpunkt der Politik stellen wolle - wie das aber in der gegenwärtigen Lage in den USA möglich sei, konnte oder wollte Danielle Allen nicht sagen.

© SZ vom 29.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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